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Hotel Amerika. Maria LeitnerЧитать онлайн книгу.

Hotel Amerika - Maria Leitner


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Die Frauen kreischten; keine wusste, wie der Aufzug zum Stillstehen gebracht werden konnte. In tödlichem Schreck rennt der Führer die Treppen hinauf, dem Aufzug nach; er kann ihn nicht erreichen, der Aufzug ist schneller als er. Bis der Führer im nächsten Stock ankam, stieg der Aufzug schon weiter. Die Frauen schrieen in Panik und winkten ihm zu. Je höher er steigt, um so schwerer fällt ihm das Rennen, um so größer wird seine Angst. Später kann er überhaupt nicht mehr denken; er weiß nur, er muss den Aufzug erreichen, sonst geschieht ein schreckliches Unglück.

      Die Treppen schienen zu wachsen; der Aufzug hatte schon einen Vorsprung von zwei Stockwerken, es war keine Hoffnung vorhanden, ihn zu erreichen, und doch kroch er ihm nach, auf Händen und Füßen!

      Endlich, es erschien ihm eine Ewigkeit, eine Ewigkeit voll Grauen und Schrecken, erreichte der Aufzug das höchste Stockwerk, das dreißigste, und hielt an, ganz ruhig, so als ob nichts geschehen wäre. Der Führer kam herangekrochen, kalkweiß, als hätte jeder Blutstropfen sein Gesicht verlassen, mit schäumendem Mund, an allen Gliedern zitternd, öffnete den Aufzug, ließ die Frauen hinaus und fiel dann hin, halb bewusstlos.

      Die Frauen schrieen nach dem ausgestandenen Schreck durcheinander.

      »Mensch, wir dachten schon, das ist unsere letzte Fahrt.«

      »Nicht für eine Million Dollar möchte ich das noch mal mitmachen.«

      »Mach dir nur keine überflüssigen Sorgen, keiner wird dir eine Million Dollar geben, aber wenn die Herren denken, die Aufzüge für das Personal brauchten nicht extra gut zu funktionieren, kannst du den Spaß ganz umsonst noch mal erleben.«

      »Wir beschweren uns, zum Teufel auch.«

      Der Führer lag am Boden und konnte noch immer nicht sprechen.

      »Eine Maschine kann schon mehr als so ein armes Menschlein.«

      »Ja, für den Lift sind dreißig Stockwerke nichts, und der Mensch ist gleich hin, wenn er nur sechzehn Stockwerke schnell hinauflaufen will.«

      Man schaffte den Führer hinunter in die Wäscherei. Nur langsam kam er zur Besinnung. Das erste, was ihm einfiel, war, dass seine Vorgesetzten nichts erfahren durften, man würde ihn entlassen. Man würde nie zugeben, dass der Mechanismus versagt hatte, sondern erklären, er sei der Schuldige, Er hatte Angst um sein Brot, nicht um sein Leben; er wollte keinen Arzt, er wollte weiterarbeiten. »Warte doch, bis du dich beruhigt hast, du stirbst ja.« Eine Negerin mit safrangelber Haut und mächtiger schwarzer Haartolle brachte ihm Wasser und einen Stuhl. »Komm, ruh dich aus, sei nicht so wild auf Arbeit, die läuft dir schon nicht weg. Auf Jonny kannst du dich ruhig verlassen, der vertritt dich schon richtig, und keiner wird was merken. Komm hinter den Wäscheberg, niemand wird dich sehen. Soll ich dir was vortanzen, damit du auf andere Gedanken kommst?«

      Sie schnalzt mit der Zunge, bewegt rhythmisch ihre schmalen Hüften. Auf dem verzerrten Gesicht des Aufzugführers erscheint ein leichtes Lächeln.

      »Siehst du, du kannst schon lachen, nun wird noch alles gut mit dir. Verlass dich darauf, wir werden schon das Maul öffnen und unsere Meinung sagen, ohne dir zu schaden.« Mit wiegenden Schritten verlässt sie ihn. Diese Neger, die in dunklen, schmutzigen Straßen zusammengepfercht in einem Stadtteil leben, den kein Weißer bewohnen möchte, sind die einzigen, die den amerikanischen Befehl ›Du sollst lächeln‹ auch wirklich befolgen. Sie, die die schwierigsten, die schmutzigsten Arbeiten verrichten, die durch Verbotstafeln immer wieder auf ihr Sklavendasein aufmerksam gemacht werden, diese Parias bestimmen einen großen Teil des Rhythmus dieser Stadt. Der Aufzugführer sieht mit leeren Augen der Tanzenden nach; er versucht vergeblich, seinem Atmen den ruhigen Rhythmus wiederzugeben; auf seinen Lippen erscheint immer wieder blutiger Schaum.

      Die Belegschaft der Wäscherei pilgert hinter den Wascheberg, alle wollen ihn sehen. Alle schreien, dass sie ihre Meinung über die schlecht funktionierenden Aufzüge den zuständigen Stellen nicht verhehlen werden, – aber sobald Aufsichtspersonal in Sicht kommt, schweigen sie. Shirley legt zierliche, in Seidenpapier gewickelte Wasche in ihr Körbchen. Sie trägt Wasche aus, keine besonders schwere Arbeit. Shirley kommt überall hin, hört allerlei, aber sie ist heute froh bei dem Gedanken, dass es zum letzten Mal sein wird, dass es aufhören wird, dieses Hin- und Herrennen durch das ganze Haus, das Klopfen an den Türen, die Höflichkeitsbezeugungen. Sie wird dann auch nichts Schlechteres sein als die Gäste, die Damen mit der feinen seidenen Wäsche, sie wird genau so schöne tragen wie sie, wenn nicht noch schönere …

      Alles, was um sie herum jetzt geschieht, hört sie nur mit halbem Ohr. Ja, die Aufzüge für das Personal, da kann man sich manchmal ärgern. Überhaupt, es gibt so vieles, worüber man sich ärgern kann, wenn man arm ist und kein Geld hat. So eine arme Kreatur rennt dem Aufzug nach, macht sich Sorgen und hat Gewissensbisse; und wenn sie draufgeht, kümmert sich kein Teufel um sie. Nun, Shirley wird herauskommen aus all dem Dreck, sie wird ein anderes Leben führen als bisher, ein gutes Leben. Sie wird nicht ewig ausgeschlossen bleiben von allem, was angenehm ist.

      Fünftes Kapitel

      Jedes Mal, wenn Celestina das Reich der Gäste betritt, wird sie überwältigt von der wunderbaren Stille und Ruhe, die hier in jedem Winkel herrschen. Die Schritte ersterben in weichen Teppichen. Mit Bedacht wird bei der Arbeit Lärm vermieden; die Stimmen des Personals senken sich zum Flüstern. Der Gang der Stubenmädchen wird schwebend, die Haushälterinnen scheinen überhaupt nicht den Boden zu berühren, wenn sie die Korridore der Gäste betreten. Celestinas Arbeitsstätte zeichnet sich durch besondere Vornehmheit aus. In diesem Stockwerk befinden sich die teuersten Appartements, große Konferenzsäle und dem ›individuellen Geschmack‹ entsprechend eingerichtete Empfangsräume.

      Jedes Stockwerk untersteht einer besonderen Haushälterin. Sie tragen alle das gleiche schwarze Seidenkleid und das gleiche verbindliche Lächeln; das allen gemeinsame Lächeln wie die Kleider scheinen in der gleichen Fabrik angefertigt zu sein. Nur die Namen der Haushälterinnen sind verschieden. Celestinas Vorgesetzte ist Frau Magpag. Die Etagenvorsteherin heißt Fräulein Wesley. Ihr Schreibtisch steht in der Halle, den Personenaufzügen gegenüber. Es gibt nicht weniger als ein Dutzend Aufzüge für die Gäste, aber niemand kann hinauffahren oder hinabfahren, ohne von Fräulein Wesley gesehen zu werden. Fräulein Wesley nimmt auch die Nachrichten, die an die Gäste ihrer Etage aus allen Teilen der Welt kommen, entgegen. Mit dem »ticker«, dem elektrischen Fernschreiber, zeichnet sie mit merkwürdigen Buchstaben die Mitteilungen auf, die sie an ihre Gäste gelangen lassen muss. Der elektrische Stift schreibt von selbst, als führe eine Geisterhand Fräulein Wesleys Finger.

      Was Fräulein Wesley nicht zu wissen bekommt, erfahren die Detektive, die lautlos und unauffällig umherwandeln und nur manchmal vor einer Tür stehen bleiben. Hinter den sorgfältig geschlossenen Türen führen die Gäste ihr Leben für sich, und man weiß von ihnen nur das, was zufällig durchsickert.

      Celestina beginnt, die Marmorfliesen der Aufzüge zu scheuern. Die Lifts für die Gäste sehen sehr verschieden aus von den riesigen schmutzigen Kästen, die dem Personal zur Verfügung stehen; die Böden sind mit Perserteppichen belegt, die Wände mit Leder tapeziert; es gibt besondere Vorrichtungen, die jede unangenehme Schwankung auffangen; wie leichte Vögel schießen diese Aufzüge lautlos auf und nieder.

      Während Celestina mechanisch die ihr zufallende Arbeit verrichtet, muss sie immer wieder an Shirley denken. Sie findet es wohl begreiflich, dass ihre Tochter dem schweren Leben entfliehen möchte – aber kann ihr diese Flucht gelingen? Wird es ihr später nicht noch schlechter gehen? Shirley ist mir böse, denkt sie, während sie den Boden wischt und vor ihrer Nase elegantes Schuhwerk vorbeidefilieren sieht; Shirley ist böse auf die Mutter, die ihr kein besseres Leben geboten hat. Ja, Celestina hat nichts tun können, damit Shirley es besser habe als sie selbst. Aber wie und was hätte sie das Mädchen lernen lassen sollen, wo das Geld nicht einmal für das Allernotwendigste reichte …? Und dann schien es Celestina überdies gar nicht notwendig, dass Shirley auch so ein Büromädel wurde, das auf andere, die noch schwerer arbeiten, herabblickt. Nein, ihre Tochter sollte das Leben, das sie zu führen gezwungen war, kennen lernen, – sie, die jung und frisch ist und auch nicht dumm. Die Junge könnte eher als die alten, müden Köpfe auf Gedanken kommen, die einen Ausweg aus dem Elend zeigten. Aber wenn sie sich einfach aus dem Staube macht, nützt sie niemandem, nicht einmal sich selbst


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