Familie Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
konnte nicht weitersprechen.
»Wenn es Ihnen recht ist, komme ich sofort.« Da Anian keine Antwort erhielt, legte er den Hörer auf. Er holte seine Lederjacke, steckte Handy und Schlüssel ein und war schon auf dem Weg in die Buchenstraße.
*
Christina ahnte glücklicherweise von alldem nichts. Sie hatte seit der Beruhigungsspritze geschlafen und war auch nicht aufgewacht, als die Schwester am Abend kam, um Blutdruck und Fieber zu messen.
Mitten in der Nacht erwachte sie kurz. Sie hatte einen beunruhigenden Traum gehabt, an den sie sich nach dem Aufwachen nicht mehr erinnern konnte, da ihr kleiner Schatz Muriel bei Lisa und Helene Wolrab gut aufgehoben war, seufzte sie nur und fiel dann in einen tiefen Genesungsschlaf.
Ein Teil des Klinikpersonals hatte am Morgen die Nachricht des verschwundenen kleinen Mädchens mit Bestürzung gehört. Da kaum jemand wußte, daß Christina eine Tochter hatte, erfuhr diese jedoch vorerst nichts von dem tragischen Verschwinden. Auch Lisa ließ sich nichts anmerken, als die mit Christina telefonierte. Sie bemühte sich, ihre Stimme leicht und unbeschwert klingen zu lassen, was ihr nicht ganz gelang.
Als Christina sich erkundigte, ob etwas nicht in Ordnung sei, schob sie eine unruhige Nacht vor. Noch hatte Lisa die Hoffnung, Muriel unversehrt wiederzufinden.
Kurz nach dem Telefonat klingelte es an der Tür.
Lisa bestätigte mit zitternden Fingern die Sprechanlage.
»Wer ist da?« fragte sie aufgeregt.
»Anian Fürst. Darf ich raufkommen?«
Er konnte die Enttäuschung in ihrer Stimme hören, als sie bejahte.
»Entschuldigen Sie, wenn ich hier einfach so reinplatze«, sagte er unsicher, als sie ihm die Tür öffnete.
»Kommen Sie herein«, wurde ihm knapp geantwortet. Er betrat die Wohnung und erschrak, als er Frau Wolrab erblickte. Die zarte alte Dame saß leichenblaß in einem Sessel und blickte starr vor sich hin.
»Sie braucht einen Arzt!« stieß er hervor.
»Dr. Norden war schon da. Er hat ihr eine Beruhigungsspritze gegeben. In zwei Stunden sieht er wieder nach ihr.«
»Dann ist es ja gut. Ich hatte gerade das Schlimmste befürchtet«, sagte er leise. »Guten Tag, Frau Wolrab«, grüßte er sie freundlich.
Helene warf ihm einen leeren Blick zu und nickte kaum merklich. Sie sprach kein Wort.
»Geht es ihr gut?« fragte Anian, als er in der Küche am Tisch saß.
»Sie hat einen Schock. Ihr Zustand wird sich erst wieder bessern, wenn wir Muriel gesund und munter wiederhaben.«
»Bitte erzählen Sie mir genau, was passiert ist. Ich möchte helfen, Muriel zu suchen.«
Viel konnte Lisa nicht berichten, aber sie ließ nicht das kleinste Detail aus.
»Während ich telefonierte, muß sie sich ihre Gummistiefel und den Mantel angezogen haben. Weder Frau Wolrab noch ich haben etwas bemerkt.«
»Können sich Kinder in diesem Alter schon allein anziehen?« fragte Anian erstaunt. Er erinnerte sich an das zarte kleine Mädchen.
»Muriel ist sehr selbständig. Es macht ihr Spaß, Erwachsene mit ihren Fähigkeiten zu verblüffen.« Lisa hielt inne.
Anian ahnte, was sie dachte.
»Bitte, verlieren Sie die Hoffnung nicht. Wir werden sie finden.«
»Das hat die Polizei auch gesagt. Das Schlimmste ist, daß Michael auch nicht auffindbar ist«, antwortete Lisa leise.
»Es wäre ein merkwürdiger Zufall, wenn er genau in dem Moment hier aufkreuzt, wenn Muriel aus dem Haus kommt«, gab Anian zu bedenken.
»Vielleicht war er schon länger hier und hat die günstige Gelegenheit genutzt.«
»Wie dem auch sei. Ich werde jetzt gehen und Muriel suchen. Vielleicht hat sie sich nur verlaufen. Kann sie das Gartentor öffnen?«
»Zumindest ist es nicht abgesperrt.«
»Haben Sie ein Foto von Muriel?«
»Ja.« Kurzentschlossen holte Lisa ihre Brieftasche und nahm ein Paßfoto heraus. Sie reichte es Anian, der es kurz betrachtete und dann einsteckte.
Schließlich verabschiedete er sich. »Ich melde mich, sobald ich etwas weiß!«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen«, sagte Lisa dankbar. »Leider haben wir nicht mehr viel Zeit. Die Polizei drängt darauf, mit Christina zu sprechen.«
»Halten Sie die Beamten hin. Christinas Gesundheit ist diese Geschichte sicher nicht zuträglich.«
Mit diesen Worten verschwand er und machte sich auf die scheinbar aussichtslose Suche nach der kleinen Muriel.
*
Fee hatte die Nacht mit Jan in der Klinik verbracht. Am Nachmittag waren einige Untersuchungen durchgeführt worden, die den schrecklichen Verdacht auf Leukämie nicht widerlegen konnten. Das Ultraschallbild wies eine deutlich vergrößerte Milz auf, und auch die Leber war geschwollen.
Fee war verzweifelt, wollte es ihren kleinen Sohn aber nicht merken lassen. Dieser ließ alles geduldig über sich ergehen und freute sich, als der Fernseher angeschlossen wurde, so daß er sich ein wenig ablenken konnte. Da die Krankheit ihn recht anstrengte, war er aber während einer Trickfilmserie eingeschlafen.
Fee dagegen verbrachte eine unruhige Nacht, in der sie kaum Schlaf fand. Am Morgen hörte auch sie von dem verschwundenen Kind, konnte jedoch an diesem fremden Schicksal keinen Anteil nehmen. Ihr eigenes Kind war jetzt das wichtigste auf der Welt für sie. Die Stunden schleppten sich dahin, ohne daß etwas geschah.
Daniel besuchte die beiden am Vormittag, doch auch er hatte keine neuen Nachrichten. Bedrückt schauten aus dem Fenster.
Plötzlich klopfte es.
»Herein!« rief Daniel.
»Da bist du ja. Ich habe dich schon überall gesucht.«
»Hallo, Jenny. Wo sonst sollte ich sein als bei meinem Sohn«, sagte er.
Ratlos sah Jenny Behnisch auf den Jungen, der zwischen seinen Eltern auf dem Bett saß. Dann wandte sie sich wieder an Daniel. »Freut ihr euch denn gar nicht?«
»Über was sollen wir uns freuen?« fragte er müde.
»Über das Ergebnis des Blutausstrichs.«
»Welches Ergebnis? Ich habe nichts bekommen.«
Daniel sah Jenny fragend an.
»Hat dich Dr. Maier denn nicht informiert?«
»Er wollte mich vorhin sprechen. Aber ich habe das auf später verschoben, weil ich zuerst Jan besuchen wollte.«
»Dann ist mir alles klar«, sagte Jenny und lächelte.
»Manchmal solltest du einen Kollegen zuerst zu Wort kommen lassen.«
»Meine Familie geht vor.«
»Das verstehe ich voll und ganz.«
»Wo ist denn das Problem?«
»Dr. Maier sollte dich darüber informieren, daß Jan an Pfeifferschem Drüsenfieber leidet. Er hat keine Leukämie!«
Es dauerte einen Augenblick, ehe Fee und Daniel die Tragweite dieser Worte ganz begriffen hatten.
»Pfeiffersches Drüsenfieber, natürlich! Wieso bin ich nicht selbst darauf gekommen?« fragte Daniel schließlich mit rauher Stimme.
»Es kommt häufig vor, daß diese Krankheit mit Leukämie verwechselt wird. Die Symptome sind zu ähnlich. Allein der Blutausstrich bringt Sicherheit. Wenn darin keine Leukämiezellen enthalten sind, ist die Sache klar.«
Eine Zentnerlast fiel von Daniels Schultern. Er hob Jan hoch