Jane Eyre. Шарлотта БронтеЧитать онлайн книгу.
waren erwachsen oder eigentlich schon über die allererste Jugend hinaus; das Kostüm kleidete sie schlecht und gab selbst der hübschesten unter ihnen ein sonderbar abstoßendes Aussehen.
Ich betrachtete sie noch, und dann und wann auch die Lehrerinnen, von denen keine einzige mir besonders gefiel, denn die Behäbige hatte etwas gewöhnliches, die Dunkle sah sehr trotzig aus, die Fremde heftig und grotesk und Miss Miller, das arme Ding, sah blaurot und abgehärmt und überarbeitet aus – da plötzlich, als meine Blicke noch von einem Gesicht zum anderen wanderten, erhob die ganze Schule sich gleichzeitig und wie auf Kommando, als hätte eine einzige Sprungfeder sie alle in die Höhe geschnellt.
Was war denn geschehen? Ich hatte keinen Befehl vernommen – ich war ganz bestürzt. Bevor ich mich noch gesammelt und orientiert hatte, saßen die Klassen schon wieder. Da sich jetzt aber alle Blicke auf einen Punkt richteten, so folgten auch die meinen jener Richtung – und fielen auf die Dame, welche mich am vorhergehenden Abend empfangen hatte. Sie stand am Kamin, am unteren Ende des Zimmers, an jedem Ende desselben befand sich nämlich ein Kaminfeuer. Ernst und ruhig musterte sie die beiden Reihen der Mädchen. Miss Miller näherte sich ihr und schien eine Frage zu tun. Nachdem sie die Antwort erhalten, ging sie an ihren Platz zurück und sagte laut:
»Aufseherin der ersten Klasse, gehen Sie und holen Sie den Globus.«
Während diese Weisung befolgt wurde, ging die Dame, welche befragt worden war, langsam durch das Zimmer. Ich glaube, mein Organ der Ehrerbietung muss stark entwickelt sein, denn noch heute erinnere ich mich des Gefühls von staunender Bewunderung, mit welchem ich ihren Schritten folgte. Jetzt im hellen Tageslicht sah sie schlank, groß und stattlich aus. Braune Augen mit wohlwollendem, klarem Blick und fein gezeichnete Wimpern, welche sie umgaben, hoben die schneeige Weiße ihrer Stirn noch besonders hervor. Nach der Mode jener Zeit, wo weder glatte Scheitel, noch lange Schmachtlocken en vogue waren, trug sie ihr schönes, dunkelbraunes Haar in kurzen, dicken Locken an den Schläfen zusammengefasst. Ihre Kleidung, ebenfalls nach der Mode des Tages, bestand aus dunkel-violettem Tuch mit einer Art von spanischem Besatz aus schwarzem Sammet. Eine goldene Uhr (Uhren wurden in jenen Tagen noch nicht allgemein getragen) hing an ihrem Gürtel. Um das Bild vollständig zu machen, muss der Leser sich noch feine, vornehme Züge hinzudenken, eine bleiche, aber klare Gesichtsfarbe, eine stattliche Haltung und Gestalt – und dann hat er, so deutlich wie Worte ihn zu geben vermögen, einen richtigen Begriff von dem Äußeren der Miss Temple – Maria Temple, wie ich später einmal in einem Gebetbuche las, welches mir anvertraut wurde, um es in die Kirche zu tragen.
Die Oberin oder Vorsteherin von Lowood (denn dieses Amt bekleidete die Dame) nahm ihren Sitz vor einem Globus ein, der auf einem der Tische stand, rief die erste Klasse auf, sich um sie zu sammeln, und begann dann, eine Unterrichtsstunde in Geografie zu geben. Die niederen Klassen wurden von den Lehrerinnen aufgerufen: Repetitionen in der Weltgeschichte, Grammatik u.s.w. Dies dauerte eine Stunde. Dann folgte Arithmetik und Schreibunterricht, und Miss Temple gab einigen der größeren Mädchen Musikstunde. Die Dauer jeder Unterrichtsstunde wurde nach der Uhr bemessen. Endlich schlug es zwölf. Die Vorsteherin erhob sich:
»Ich habe einige Worte an die Schülerinnen zu richten«, sagte sie.
Der Tumult, welcher stets nach Beendigung der Schulstunden einzutreten pflegt, hatte sich bereits erhoben, aber er legte sich sofort beim Klange ihrer Stimme. Sie fuhr fort: »Ihr habt heute Morgen ein Frühstück gehabt, welches ihr nicht essen konntet, ihr müsst hungrig sein – ich habe befohlen, dass für euch alle ein Gabelfrühstück von Brot und Käse aufgetragen wird.«
Die Lehrerinnen richteten Blicke auf sie, welche das größte Erstaunen verrieten.
»Es soll auf meine Verantwortung geschehen«, fügte sie hinzu, gewissermaßen in einem erklärenden Tone für die Damen; gleich darauf verließ sie das Zimmer.
Brot und Käse wurden alsbald hereingebracht und verteilt, zum größten Ergötzen und zur höchsten Befriedigung der ganzen Schule. Und nun erging die Order: »In den Garten!« Jede Schülerin setzte einen groben, hässlichen Strohhut mit Bändern von buntem Kaliko auf und band einen Mantel von grauem Fries um. Ich wurde in gleicher Weise equipiert, und dem Strome folgend machte ich meinen Weg in die frische Luft hinaus.
Der Garten war ein weiter Plan, der mit so hohen Mauern umgeben war, dass er jeden Blick in die Außenwelt unmöglich machte; eine überdachte Veranda zog sich an der einen Seite entlang, und breite Kieswege umschlossen einen Mittelraum, der in unzählige, kleine Beete abgeteilt war. Diese Beete waren den Schülerinnen zum Bebauen und zur Pflege übergeben, und jedes Beet hatte eine Besitzerin. Ohne Zweifel waren sie sehr hübsch, wenn sie mit blühenden Blumen bedeckt waren, aber jetzt gegen Ende des Monats Januar boten sie dem Auge nur ein Bild der winterlichen Zerstörung und des traurigen Verfalls. Es durchschauerte mich, als ich so dastand und umherblickte. Der Tag war der Bewegung im Freien durchaus nicht günstig, es war kein ordentlicher Regen, der alles durchnässte, sondern ein dicker, gelber, herabrieselnder Nebel. Der Boden unter unseren Füßen war durch den gestrigen Regen noch gänzlich durchweicht. Die kräftigeren unter den Mädchen liefen umher und belustigten sich mit fröhlichen Spielen: aber unter der Veranda stand eine ganze Schar bleicher, magerer Gestalten, die ängstlich zusammenkrochen, als suchten sie hier Schutz und Wärme. Oft ertönte aus ihrer Mitte, als der dichte Nebel ihnen fast bis auf die Haut drang, ein hohler, böses verkündender Husten.
Bis jetzt hatte ich noch mit niemand gesprochen und niemand schien mir sonderliche Beachtung zu schenken, ganz einsam stand ich da; aber an dieses Gefühl der Vereinsamung war ich ja gewöhnt, es bedrückte mich nicht mehr als sonst. Ich lehnte mich gegen einen Pfeiler der Veranda, zog meinen grauen Mantel fest um mich zusammen und indem ich versuchte, die Kälte, die mich von außen schmerzte, und den unbefriedigten Hunger, der von innen an mir nagte, zu vergessen, gab ich mich ganz der Beschäftigung hin, zu beobachten und nachzudenken. Meine Reflexionen waren zu unbestimmt und zu fragmentarisch, als dass sie einer Erwähnung verdienten. Ich wusste noch kaum, wo ich mich eigentlich befand. Gateshead und mein bisheriges Leben schienen in einer unermesslichen Ferne zu verschwinden, die Gegenwart war seltsam und vag und von der Zukunft wagte ich nicht, mir irgend ein Bild zu machen. Ich blickte in dem klösterlichen Garten umher, dann zum Hause hinauf. Es war ein großes Gebäude, dessen eine Hälfte grau und alt erschien, während die andere ganz neu war. Dieser neue