Эротические рассказы

Grenzgängerin. Evelyne BinsackЧитать онлайн книгу.

Grenzgängerin - Evelyne  Binsack


Скачать книгу
früh, zu schnell, zu hoch.

      Ich empfinde es wohl wie die Sherpas und die Tibeter, nämlich, dass der Everest eine vollkommen reine Energie in sich trägt. Nicht umsonst nennt man den höchsten Berg der Welt Muttergöttin der Erde. Sie wird verehrt und gepriesen. Deshalb findet vor jedem Aufbruch eine sogenannte Puja statt, eine Zeremonie der Ehrerweisung, um die Muttergöttin um Nachsicht zu bitten, dass wir mit Steigeisen an den Füßen auf ihrem Haupt herumtrampeln. Wie in meinem Buch »Schritte an der Grenze« beschrieben, bauen die Sherpas für diese Zeremonie einen kleinen Altar aus Steinen und schmücken ihn mit Gebetsfahnen – kleinen, quadratischen Tüchern, auf denen Gebete und Pferde aufgedruckt sind. In der tibetischen Sprache werden diese »Lung-ta« genannt, was übersetzt »Windpferde« bedeutet. Flattern die Fahnen im Wind, galoppieren die Pferde mit den Segenswünschen zum Wohle aller lebenden Wesen in das Universum hinaus.

      Kein Sherpa würde ohne die Puja-Zeremonie auf den Berg steigen und nicht ohne vorher links am Altar vorbeizugehen und sich mit dem Reis zu segnen, den er aus einem Schälchen nimmt und dreimal in die Luft wirft. Mich erinnert dieses Ritual an den christlichen Segen der Heiligen Dreifaltigkeit. Wobei es meiner Meinung nach bei diesen Riten nicht darum geht, einen erzürnten Gott oder eine erzürnte Göttin zu besänftigen, sondern vielmehr darum, die eigenen Emotionen, Gedanken und Absichten ins Lot zu bringen, sodass sie nicht von einer egozentrischen Natur geprägt sein mögen und sich im Einklang mit einer höheren Kraft befinden.

      Noch bewusster wurde mir dieses Phänomen, als ich 2005 zum Everest zurückkehrte. Das Wetter war schlecht, das Team nicht homogen, innerhalb der Expeditionen am Berg gab es Konflikte, und Mitglieder aus der eigenen Gruppe hatten mich sehr enttäuscht. Kurzum, es war mir unter diesen Umständen nicht möglich, auf den Gipfel zu steigen. Ich war sehr wütend, packte meine Sachen zusammen, machte mich auf den Heimweg durch das Khumbu-Tal und knickte unterwegs mit einem Fuß so unglücklich ein, dass drei von fünf Bändern rissen. Dazu kam, wie sich später herausstellen sollte, ein Knorpelschaden am vorderen Mittelfußknochen. Glücklicherweise kam mir damals ein Junge entgegen, der mir – gegen eine Belohnung – sein Pferd auslieh, auf dem ich ins nächste Dorf ritt, von wo ich mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus nach Kathmandu ausgeflogen wurde.

      Der Spezialarzt in der Schweiz, der später meinen Fuß untersuchte, mochte es kaum glauben, dass man sich einen Fuß lediglich durch Einknicken dermaßen verletzen kann. Etwas später erzählte ich die Geschichte einem Bekannten, der sich mit den Phänomenen von Energien und Mystik auskennt. Er grinste nur und sagte, ihm sei klar, warum ich mir den Fuß so schlimm verletzt habe. Zum ersten Mal hörte ich nun von einem Nichtbergsteiger, dass die Energie am Everest dermaßen stark schwinge, dass niedrige Emotionen wie Ehrgeiz, Wut, Eifersucht, aber auch Gier oder Neid wie ein Bumerang auf einen zurückgeworfen würden. Die Wut-Energie, die ich in mir getragen hätte, sei in dem Moment, als ich mich verletzte, explosionsartig aufgelöst und durch den Vorfall neutralisiert worden. Mein Verstand dachte: So ein Quatsch! Aber das Gefühl wusste: Genau so ist es.

      Ankunft am Nordkap, im Norden Norwegens

      2. Juli 2016

      Auf den letzten 600 der insgesamt rund 5000 Kilometer von daheim aus bis ans Nordkap lebe ich auf meinem Fahrrad völlig azyklisch. Die Nächte werden zu meinen Tagen, die Tage zu meinen Nächten. Dafür gibt es einen Grund: Nur eine Straße führt zum Nordkap, die E6, die später zur E69 wird. Auf ihr sind unzählige Trucks, Wohnmobile, Motorräder und Reisebusse unterwegs, denen ich ausweiche, indem ich nachts radle und am Tag ruhe. Wobei mir die Nächte hier eher wie eine ewig lange Dämmerung erscheinen. Es ist, als reise die Sonne endlos um einen herum und tauche nur für ein paar Stunden am Horizont unter, bevor sie sich wieder zeigt. So wird auch die Nacht zum Tag. Die Menschen hier haben trotzdem ihren Rhythmus, dem ich mich aber, wie gesagt, bewusst entziehe. Die Stille der Polarnächte, wenn die Menschen schlafen, ist einfach nur schön. Ich beobachte Rentiere, wie sie aus ihren Verstecken kommen und im satten Grün weiden. Vögel, die auf der Suche nach Nahrung sind, um ihre Brut zu füttern. Elche, die gut getarnt hinter einem Baum hervorlugen. Und zum Meer hin sehe ich Robben wie auftauchende U-Boote durch die Wasseroberfläche pflügen, was die Möwen aufschreckt, die kreischend miteinander kommunizieren. Beobachtend fühle ich mich als Teil dieser Tierwelt und spüre eine tiefe innere Ruhe.

      Kurz vor dem Ziel erreiche ich das Land der Samen. Die Samen sind ein indigenes Volk, dessen Siedlungsgebiet sich von der schwedischen Gemeinde Idre im Süden über die nördlichen Teile Schwedens, Norwegens, Finnlands und bis zu den Küsten des Weißen Meeres und der Barentssee im Norden Russlands erstreckt. Sie leben hauptsächlich vom Fischen und von der Robbenjagd. Ich bin Alpinistin, und zum Meer habe ich nicht denselben Zugang wie zu den Bergen. Doch die große Empfindsamkeit der Samen gegenüber der Natur beeindruckt mich zutiefst. Auch wenn sie von der sogenannt zivilisierten Welt gern als unsensibel und rau empfunden werden, sind sie für mich vielmehr mit einer Urkraft verbunden, die Sensibilität mit einschließt. Einer Kraft, die, da bin ich mir sicher, in jedem von uns schlummert. Sie macht das wahre Wesen von uns Menschen aus, und das seit Jahrtausenden. Sie ist aber eine Kraft, die in unserer zivilisierten Welt mehr und mehr verkümmert. Viele spüren sie nur noch als diffuse Sehnsucht, die sie nicht wirklich beschreiben und schon gar nicht deuten können. Wohl auch deshalb boomen die vielen Angebote für uns Westler, für viel Geld über Feuer zu laufen oder im Wald übernachten zu dürfen, um uns selber wieder ein Stück näherzukommen.

Kompassrose

      Die letzten 150 Kilometer meiner ersten Etappe zum Nordpol nehme ich um Mitternacht in Angriff. Meine Beine sind müde und schmerzen, habe ich doch in den vergangenen zwei Wochen jeden Tag mindestens zehn, manchmal auch vierzehn Stunden im Sattel gesessen. Dies bei Regen, Wind und Sturm und nur wenigen, kurzen sonnigen Phasen. Doch heute scheint die Natur das Durchhalten zu belohnen. Die Winde haben von Nord auf Süd gedreht und bescheren mir bald einen unglaublich warmen und sonnigen Tag mit Rückenwind. Ein Geschenk des Himmels. Nach 42 Tagen und rund 5000 gefahrenen Kilometern auf meinem Tourenvelo erreiche ich am 2. Juli das Nordkap. Ich atme die klare Luft ein, den kräftigen Geruch des Meeres und den herben Duft einer wilden, kargen Graslandschaft. Gleichzeitig merke ich, wie sehr ich mich an die Einfachheit des Unterwegsseins, das stundenlange, tagelange, wochenlange monotone Treten auf dem Fahrrad gewöhnt habe. Schon lange freue ich mich auf das Nordkap, aber jetzt, jetzt möchte ich am liebsten nicht ankommen.

      Ich kenne das. Mit jedem Ziel, das ich mir in den Kopf setze und unbedingt erreichen möchte, gehe ich vorher mehrere Monate, manchmal auch jahrelang schwanger. Das bedeutet, dass ich durch eine lange Planungs- und Identifizierungsphase gehe, bevor ich die Idee umsetze. Habe ich mich einmal zu hundert Prozent auf ein Ziel eingestimmt, bin ich enorm gut darin, meinen Fokus ganz auf diese eine und einzige Sache zu richten und mich dieser einen und einzigen Aufgabe vollkommen hinzugeben. Das Erreichen des Nordkaps mit dem Tourenvelo ist zwar erst das erste Zwischenziel auf dem Weg zum Nordpol. Aber – als eine sich von den anderen Etappen abgrenzende Disziplin – doch ein eigenständiges Unternehmen.

      Jetzt muss ich mir keine Sorgen mehr darüber machen, ob mein Schlafsack trocken ist oder nass. Ich muss mich nicht mehr darum kümmern, ob ich genug zu essen habe. Es braucht mich nicht mehr zu belasten, ob sich die Entzündung an meinen Fußballen verschlimmern wird. Ich bin am Ziel. Das Ankommen bedeutet gleichzeitig auch ein Loslassen. Die Leitplanken, die mir mein Ziel vorgegeben und nach denen sich mein Alltag in den vergangenen Monaten ausgerichtet hat, sind weg.

      Aber genug sinniert. Jetzt genieße ich den Augenblick. Morgen – nachdem ich die Nacht nach 22 Stunden ohne Schlaf in meinem Zelt unweit des Nordkaps an einem kleinen See verbracht haben werde – lasse ich dieses Zwischenziel los. Dann geht es mit dem Fahrrad zum nächsten Hafen und von dort per Schiff und Flugzeug nach Hause.

      Morgen. Für heute ist es getan. Ich habe es geschafft.

      ETAPPE 2 | Tasiilaq >> Umivik Bay >> Nansen-Route >> Nuuk (Grönland) | Luftdistanz 450 km – Laufdistanz 600 km

ETAPPE 2 | Tasiilaq >> Umivik Bay <hr><noindex><a href=Скачать книгу
Яндекс.Метрика