Der goldene Esel. Lucius ApuleiusЧитать онлайн книгу.
her wanke. Ich möchte gern etwas zu essen haben, um mich wieder zu stärken.‹ – ›Geduld‹, sprach ich, ›es soll augenblicklich ein Frühstück für dich fertig sein!‹ – Ich werfe meinen Ranzen von der Schulter und reiche ihm ein Stück Brot und Käse hin. ›Komm‹, sage ich, ›setzen wir uns dazu unter der Platane dort hin.‹ – Das tun wir, und ich nehme mir mein Teil auch. Da wir nun so sitzen und es uns wohlschmecken lassen, merke ich auf einmal, dass dem Sokrates, bei der größten Geschäftigkeit seiner Kinnbacken, die Augen brechen, und dass er bleich und blass wie ein Tuch wird. Bald hatte er so sehr das Aussehen einer Leiche, dass mir alle meine nächtlichen Schreckbilder wieder in den Sinn kamen und mir vor Entsetzen der Bissen im Munde blieb. Was meine Furcht noch vermehrte, waren die vielen Leute, die vorübergingen. Was hätten sie anders denken können, als dass ich meinen Reisegefährten ermordet hätte.
Doch als Sokrates seinen Appetit gestillt hatte, bekam er einen gewaltigen Durst; denn von dem besten Käse hatte er ein gutes Stück zu sich genommen. An der Platane, worunter wir saßen, floss ganz nahe ein kleines kristallklares Flüsschen so langsam und ruhig vorbei, dass es fast für ein stehendes Gewässer anzusehen war. – ›Sieh‹, sage ich also zu ihm, ›da kannst du ja aus einer schönen reinen Quelle deinen Durst löschen!‹ – Er steht auf, schlägt seinen Mantel zurück, und wo das Ufer am flachsten ist, kniet er nieder, hält sich fest mit den Händen an, und mit langem, vorwärts hinabgebeugtem Hals sucht er einen frischen Trunk zu schöpfen. Doch er hat seine Lippen kaum benetzt, da bricht die Wunde in der Kehle, so groß und tief, wie sie gemacht worden war, auf, und der Schwamm fällt in den Fluss, von wenigen Blutstropfen begleitet. Fast wäre der ganze Körper in das Wasser gesunken, hätte ich ihn nicht bei einem Bein gefasst und mit Müh und Not aufs Ufer gezogen. Nachdem ich meinen armen Reisegefährten bitterlich beweint und auf ewig in der Nachbarschaft des Flusses in den Sand verscharrt hatte, floh ich schüchtern und bebend durch abgelegene, unwegsame Einöden davon, und als wäre ich eines Menschenmordes schuldig, verließ ich Vaterland und Haus und Hof und begab mich freiwillig ins Elend. Jetzt bin ich wieder verheiratet und in Ätolien ansässig.« So weit Aristomenes.
Sein Begleiter, der sich gleich von Anfang an als ungläubig angesichts dieser Geschichte gezeigt hatte, sprach: »Ich bleibe dabei, das ist die abenteuerlichste aller Fabeln, die albernste Lüge, die es nur gibt! Und sag er mir nur, Herr«, wandte er sich zu mir, »er ist doch nun der Kleidung und dem Ansehen nach ein stattlicher Mann, mag er denn in aller Welt ein solches Märchen glauben?« – »Ich meines Teils«, gebe ich ihm zur Antwort, »ich halte nichts für unmöglich, sondern bin der Meinung, dass, was das Schicksal nur fügt, alles den Sterblichen auch begegne. Es widerfahren uns ja, mir sowohl als Euch und allen übrigen Menschen, so manche wundersame und fast unerhörte Dinge, die, wenn wir sie einem Fremden wiedererzählen, gewiss nicht den mindesten Glauben finden würden! Daher glaube ich, beim Herkules, die herrliche Erzählung, mit der uns Aristomenes so angenehm unterhalten hat, nicht allein vom Anfang bis zum Ende vollkommen, sondern ich weiß ihm auch den herzlichsten Dank dafür! Habe ich doch darüber die Länge und Rauheit des Weges vergessen. Auch mein Gaul hat sich wohl dabei gefühlt, da ich so, ohne seinen Rücken zu belasten, auf dem Vergnügen meiner Ohren bis vor das Tor dieser Stadt geritten bin.«
Hier hatte mit unserm Gespräche auch der gemeinschaftliche Weg ein Ende, denn meine beiden Reisegefährten bogen links ab zu benachbarten Dörfern, und ich in die Stadt hinein. Vor dem ersten Wirtshaus, auf das ich stieß, halte ich still und frage die Gastwirtin, die schon in die Jahre gekommen war: »Bin ich hier recht? Heißt die Stadt Hypata?« – Sie nickte. – »Kennt Ihr nicht einen gewissen Milo, einen von den Ersten in der Stadt?« – Sie lachte. »Oh«, sprach sie, »Milo kann mit Fug und Recht der Allererste hier heißen, da er am Zwinger gleich am Anfang der Stadt wohnt.« – »Scherz beiseite«, versetzte ich, »sagt mir doch, ich bitte Euch, gute Mutter, wer er ist und in welchem Hause er wohnt.« – »Sehen Sie da ganz unten nicht die Fenster«, sprach sie, »die zur Stadt hinausgehen? Und auf der andern Seite die Tür mit dem kleinen nahen Gässchen gegenüber? Da wohnt der Milo, ein steinreicher, überaus wohlhabender Mann, der aber bei aller Welt als der abscheulichste, schmutzigste Geizhals verschrien ist. Kurz, er leiht immer auf Gold- und Silberpfänder gegen reichliche Zinsen, steckt wie eingeschlossen in seiner Hütte und brütet da überm Geldkasten, und obwohl er eine Frau zur Mitgenossin seines kümmerlichen Lebens hat, so hält er doch nur eine einzige Magd und gibt sich haargenau so wie ein Bettler.« – Ich lachte darauf in meinem Herzen und denke im Weiterreiten: »Da hat ja Freund Demeas ausnehmend wohl und gütig für dich gesorgt, dass er dich auf deiner Reise einem solchen Manne empfohlen hat, in dessen Haus du weder von Rauch noch von Küchendampf wirst belästigt werden!«
Da gelangte ich nach einem kurzen Weg bei der Tür an, die ich scharf verriegelt fand. Ich musste lange anklopfen und »Holla« rufen. Endlich kommt die Magd heraus. – »He«, sprach sie, »wer pocht denn? Worauf gedenken Sie zu borgen, mein Herr? Es wird Ihnen nicht unbekannt sein, dass hier keine anderen Pfänder als Gold und Silber angenommen werden.« – »Ich komme in ganz anderer Absicht, mein Kind!« versetzte ich. »Sage sie mir nur, finde ich ihren Herrn zu Hause?« – »O ja«, sprach sie. »Warum?« – »Ich habe Briefe vom Demeas aus Korinth an ihn abzugeben.« – »So warten Sie nur ein wenig, ich will Sie melden.« – »Mit den Worten geht sie wieder hinein und riegelt hinter sich zu. Bald erscheint sie wieder, macht mir die Tür auf und sagt: »Sie möchten doch so gut sein und hereinkommen!« – Ich tu’s und finde den Milo eben bei Tische. Er lag auf einem kleinen Bettchen, und seine Frau saß ihm zu Füßen. Er zeigte auf die vor ihm stehende leere Schüssel und sprach: »Seien Sie freundlichst willkommen geheißen!« Ich dankte ihm und überreichte ihm sofort den Brief des Demeas. Als er ihn geschwind durchgelesen hatte, sagte er: »Ich bin meinem Freund außerordentlich viel Dank schuldig, dass er die Güte hat, mir einen so angenehmen Gast zuzuweisen.« Darauf lässt er seine Frau aufstehen und nötigt mich, ihren Platz einzunehmen. Da ich mich aber aus Höflichkeit weigerte, es zu tun, so zog er mich beim Kleid zu sich und fügte hinzu: »Machen Sie doch keine Umstände und lassen Sie sich nieder; denn wir haben hier weiter keine Stühle oder andere Geräte, weil wir uns wegen der Diebe nichts anschaffen dürfen.« – Ich setzte mich also. – »Ich würde Sie«, nahm er das Wort wieder, »schon an Ihrem feinen Wesen und an Ihrer angenehmen Bescheidenheit für einen Mann von Stande erkennen, auch wenn mein Freund Demeas nichts davon in seinem Brief erwähnt hätte. Umso mehr muss ich Sie aber ersuchen, unser kleines, enges Häuschen nicht zu verschmähen. Es soll Ihnen hier in dem Nebenzimmerchen an keiner anständigen Bequemlichkeit fehlen. Nehmen Sie nur gütigst mit uns vorlieb. Sie werden dadurch nicht allein uns eine große Ehre erweisen, sondern zugleich dem ruhmvollen Beispiel des Namensverwandten Ihres Vaters, des Theseus, folgen, der es seinerzeit auch für keine Schande gehalten hat, unter dem niederen Dach der alten Hekale zu herbergen.« – Und nachdem er das Mädchen gerufen hatte, sagt er zu ihr: »Fotis, packt den Mantelsack des Herrn ab und tragt ihn hier in das Zimmer daneben. Holt auch geschwind aus der Vorratskammer Öl und Badezeug und bringt dann meinen Gast in das nächste Bad; er wird von seiner weiten, beschwerlichen Reise müde sein.« – Als ich das hörte, besann ich mich schnell des Charakters und der Kargheit des Milo und suchte mich bei ihm in Gunst zu setzen, indem ich sagte: »Oh, das brauche ich alles nicht; ich pflege es auf Reisen beständig selbst mit mir zu führen, und zum Bad werde ich schon allein hinfinden. Will sie mir aber einen Gefallen tun, Fotis, so sei sie so gut und nehme hier dies Geld und kaufe mir dafür Heu und Gerste für mein Pferd, mit dem ich heute einen tüchtigen Ritt getan habe.« – Sobald dann der Mantelsack auf meinem Zimmer war, gehe ich zum Bad, nehme aber meinen Weg über den Markt, um mich erst mit etwas Mundvorrat zu versehen. Ich finde da herrliche Fische, nur forderte man hundert Nummen dafür; ich handelte und bekomme sie noch für zwanzig Denar. Eben hatte ich den Markt wieder verlassen, so sah ich einen alten Schulkameraden von mir aus Athen, den Pytheas, hinter mir herkommen. Er erkannte mich auch sofort wieder, kam liebreich auf mich zu, umarmte und küsste mich sehr freundschaftlich: »Ei, lieber Lucius«, rief er, »haben wir uns doch so lange nicht gesehen! Beim Herkules! Seitdem wir aus der Schule sind, nicht wieder! Nun, wie kommst du einmal hierher?« – »Das sollst du morgen erfahren«, versetzte ich. »Aber was seh’ich? Oh, Glückwunsch zu den Liktoren, den Fasces und dem ganzen magistratlichen Ornat!« – »Ich bin hier Proviantverwalter«, antwortete er, »und Ädil, und wenn du was einzukaufen hast, so kann ich dir nützlich sein.« – Ich