Wilderer und Jäger Staffel 1. Anne AltenriedЧитать онлайн книгу.
du da behauptest, ist net zu beweisen. Ich aber find’s schäbig, einen, der sich nimmer rechtfertigen kann, dermaßen schlechtzumachen«, sagte sie so hochmütig wie möglich.
Der Bertrammer war zusammengezuckt, sah sie fassungslos an. Doch auch in ihrem jetzigen Groll und Hochmut war sie für ihn reizend und anziehend. Ein Lächeln glitt über seine Züge, als er betont ruhig erwiderte: »Es geschah nur dir zuliebe, daß ich über Leos ungesetzliches Handeln schwieg. Ich werd’s auch weiterhin net ausplaudern, denn ich möcht, daß du bald wieder froh und unbeschwert sein kannst. Jeder muß amal sterben, der eine zu früh, der andere sehr spät. Du hast recht, es gibt keine Beweise, denn ich hab Leos Flint verschwinden lassen.«
»Unsere alte Flint?« fragte Anita erschrocken.
»Ja, die mit dem eingeritzten Herzl im Schaft, die deinem Bruder am liebsten gewesen ist.«
Anita stöhnte auf. Sie hatte das Gefühl, jäh in einen Wirbelsturm geraten zu sein und nirgends mehr Halt zu finden. Es dröhnte und schmerzte in ihr. Doch eins kristallisierte sie klar heraus: Die Söllner waren dem Bertrammer nun in gewisser Weise verpflichtet. Sie durften ihn niemals so enttäuschen, daß er anderen das schreckliche Geheimnis offenbarte.
»Trotzdem werd ich amal mit dem neuen Jager reden«, beschloß sie nun laut und energisch. »Er soll all meine Fragen beantworten. Hab ich auch nur den geringsten Verdacht, daß er…« Sie brach abrupt ab, als Hannes Bertrammer plötzlich auflachte und den Kopf schüttelte.
»Das solltest bleibenlassen, Anita«, riet er. »Wer ist heutzutag noch ehrlich? Dein Bruder hat gewildert. Daran besteht kein Zweifel. Wenn man dem nachforscht, könnt’s sich schnell bestätigen. Ich wett, eines Tages findest du das Wilderergeld, das Leo daheim versteckt hat. Wie oft hat er vor mir mit seinem künftigen Reichtum geprahlt! Nie hat er auf meinen Rat gehört, das Wildern aufzugeben.«
Anita hörte zu und wunderte sich im stillen. Es verblüffte sie, daß ihr Bruder mehr als ein lockeres Verhältnis zum Bertrammer-Hannes gehabt haben sollte.
»Um des Toten willen wollen wir vergessen, was wir von seinem heimlichen Tun wissen«, redete Hannes in beschwörendem Ton weiter.
Anita stimmte nicht zu. Sie starrte an ihm vorbei und den Hügel hinan bis zur Mauer des kleinen Gottesackers. Dort gab es seit Stunden ein frisches Grab, mit Kränzen und Blumengestecken geschmückt. Derweil tranken, mampften und schwatzten die Trauergäste drunten im Wirtshaus, als würden sie ewig leben…
»Soll ich dich heimbringen?« fragte der Bertrammer, der sie scharf beobachtete.
»Nein – ich möcht lieber allein gehen. Doch zuvor sollt ich dem Vater Bescheid geben. Er könnt sich sorgen, wenn ich plötzlich unauffindbar bin. Er hat jetzt nur noch mich.«
»Ihr werdet nie gänzlich allein sein, Anita. Kann ich net mehr der Freund deines Bruders sein, möcht ich der eure werden – bitte!«
Es hörte sich herzlich an und ehrlich. Dennoch schüttelte Anita sich im Geiste, als wäre sie jäh unter eine eiskalte Dusche geraten. Wieder empfand sie einen unbeschreiblichen Widerwillen gegen den Bertrammer. Er aber stand vor ihr, bettelte mit den Augen und hielt ihr die rechte Hand hin, als sollte sie ein Versprechen besiegeln. »Laß mir Zeit, Hannes«, bat sie tonlos.
»Ja –«, sagte er seufzend, »es muß für dich schrecklich sein, den Mörder zu kennen und ihm nix anhaben zu können.«
Anita nickte unwillkürlich. Ein Samenkorn ging in ihrem Herzen auf, das von Schmerz und Rachsucht genährt wurde. Es tat so weh, Leo unter den Toten zu wissen – und deshalb wünschte sie, es demjenigen heimzuzahlen, der an diesem Tod schuld war. Nie mehr sollte er zur Ruhe kommen – nie mehr aus frohem Herzen lachen können!
Der Tod des ihm bis dahin unbekannten Söllner-Leo hatte Lukas Kronseder zwar erschüttert, doch sein neues Leben nur am Rande gestreift. Zwischen dem Jägerhaus und dem Söllner-Hof lagen gut zwei Stunden Fußweg. Querte man die Wiese am Hochmoor und ging über den Hügel, verkürzte sich die Zeit um zwanzig Minuten.
Bisher war Lukas zufrieden und froh gewesen. Er hatte ein Haus für sich und einen schönen Beruf. Apollonia sorgte für sein leibliches Wohl und für Ordnung. Es mangelte Lukas an nichts – außer mal abends an fröhlicher Gesellschaft. Doch meistens war er am Abend zu müde, um noch privat etwas zu unternehmen. Seine Aufgaben als Jäger führten ihn durch ein weiträumiges Gebiet. Hier und da mußte er auf einem Hof einkehren, wie es sein Vorgänger auch gehalten hatte.
Lukas hatte ordnungsgemäß Meldung darüber gemacht, wie er den Toten entdeckt und dann zur nächsten Almhütte getragen hatte. Er überließ es den zuständigen Stellen, nun nach dem etwaigen Mörder zu suchen oder herauszufinden, warum der Söllner-Leo erschossen worden war.
»Kümmer dich net weiter drum, Jager«, riet Apollonia, nachdem er ihr alles erzählt hatte. »Die Söllner sind dafür bekannt, daß sie sich net amal mit einem Einheimischen anfreunden. Leo scheint einer von denen gewesen zu sein, die oft das Licht scheuten. Sei froh, daß sein Vater dich net gleich verdächtigt hat, auf ihn geschossen zu haben.«
Lukas warf ihr einen entrüsteten Blick zu und schüttelte den Kopf. Er versuchte wieder an seine Pflichten als Jäger zu denken und den tragischen Vorfall zu vergessen. Jeden Morgen war er voll froher Erwartung aufgestanden und hatte sich abends mit dankbarem Herzen zur wohlverdienten Ruhe begeben. Das sollte bald anders werden, nämlich in dem Moment, da er frühmorgens gähnend vors Haus trat und sich reckte.
Sein umhergleitender Blick blieb auf dunklen Spuren haften, die wie getrocknete Blutstropfen aussahen. Er rieb seine Augen, als könnte er diesen nicht trauen. Ungewaschen, nicht rasiert und nur spärlich bekleidet, so folgte er diesen Spuren. Sie führten ihn seitlich hinter das Haus und auf die Wiese, durch die ein Bach floß. Dicht am Ufer – genau dort, wo er, Lukas, eine Bank aus Birkenholz zu bauen begonnen hatte, sah er etwas Dunkles liegen.
Im Näherkommen sträubten sich ihm die Nackenhaare, als er erkannte, daß es sich um eine tote Geiß handelte. Blutend hatte sie sich allem Anschein nach in Richtung Bach geschleppt und war verendet, ohne das kühlende Naß erreicht zu haben. Die Einschußstelle bewies, daß ein Mensch ihr den Tod gebracht hatte.
Lukas war auf der Stelle klar, daß ihm hier ein übler Streich gespielt wurde. Sein Atem ging schwer, als er über die kleine Wiese blickte und die Spur verfolgte, die von der Geiß hinterlassen worden war.
»Wenn ich den erwisch!« drohte er im Selbstgespräch. Dann rannte er bebend vor Zorn ins Haus, schlüpfte in die grüne Hose und eilte kurz darauf zu Apollonia hinunter. Diese schlug gerade am Kammerfenster ein Laken aus. Sie beugte sich vor und musterte das zornrote Gesicht des Jägers.
»Nun, hast deinen ersten Ärger?« erkundigte sie sich lächelnd.
»Hast in der Nacht nix gehört?« fragte er barsch zurück.
Apollonia nahm das Laken hoch, faltete es zusammen und wollte gerade antworten, als Lukas in großer Erregung hervorstieß: »Den Schuß hätt man doch hören müssen – zumindest du, die du angeblich nachts stundenlang wach liegst.«
»Was heißt hier angeblich?« entgegnete sie entrüstet. »Ich schlaf seit Jahren sehr schlecht und schreck bei jedem ungewohnten Geräusch hoch. Ein Schuß tät mich sogar bis ans Kammerfenster treiben.«
Lukas deutete zur nahen Felswand hin. »Von dort müßt ’s Echo heut nacht bis zu dir ins Bett gekracht sein. Mich hat’s net geweckt, weil ich so fest schlaf, daß man mich forttragen könnt. Hast net amal Steine herabrollen hören?«
»Jetzt reicht’s mir aber!« erwiderte Apollonia. »Kommst in aller Herrgottsfrüh daher, schaust aus wie ein Landstreicher und verhörst mich, als hätt ich was verbrochen. Bist du hier der Jager oder ich? Soll ich vielleicht für dich auf alles achtgeben, was nächtlicherweis geschieht?«
»Nimm’s mir net übel, Apollonia«, bat Lukas. »Ich hab eine tote Geiß hinterm Haus liegen, die angeschossen worden und elendig verendet ist. Da hat mich halt die Wut so gepackt, daß ich unrasiert und net gewaschen zu dir gerannt bin.«
»Eine tote