Aus halbvergessenem Lande: Culturbilder aus Dalmatien. Theodor SchiffЧитать онлайн книгу.
versehene Kasten, auf denen mindestens ein Dutzend blankpolirter messingener Oellampen stand, – über dem einen Kasten ein schauerlich gemaltes, den Kaiser Franz als Jüngling vorstellendes Bild, dem gegenüber ein stark zerfressener Kupferstich mit der Darstellung des bethlehemitischen Kindermordes hing, – eine alte Wanduhr in einem bis an die Decke reichenden Kasten, – so sah das Gemach aus, in welchem Signora Zanetta sass, spann und es sich wohl geschehen liess.
In Spalato ist Alles alt. Die Häuser, das Pflaster, die Familien, die Kirchen, die Sprache, – Alles ist uralt. Die Domkirche wurde zu Ende des dritten Jahrhunderts von dem alten Christenverfolger Diocletian dem Jupiter erbaut, – die Sphinx vor derselben ist eine Kleinigkeit älter und entstammt der achtzehnten Dynastie der Pharaonen, – und das am Meeresstrande befindliche Franziskaner-Kloster macht einen förmlich modernen Eindruck, weil es erst im Jahre 1212 vom heiligen Franz von Assisi gegründet wurde, – ja, auf dem beliebtesten Spazierwege Spalatos konnte man noch zu Ende der Sechziger-Jahre halb städtisch, halb »national« gekleidete Bürger mit einem rückwärts herabbaumelnden Zopfe sich ergehen sehen. Das Italienisch, das in allen Bürgerfamilien gesprochen wird, ist genau dasselbe, das man in Venedig vor hundert Jahren hörte und in Goldoni's Lustspielen noch heute lesen kann. Eine Familie, die ihren sogenannten Adel erst von hundert oder zweihundert Jahren herwärts datirt, wird so ziemlich als neugeadelt angesehen, und ich kenne selbst in Spalato eine Familie, deren Mitglieder allen Ernstes behaupten, dass ihre in Salona ansässigen Vorfahren bereits römische Patrizier gewesen seien. Salona wurde aber im Jahre 639 nach Christi Geburt zerstört, und das mag der Grund sein, warum das betreffende Adelsdiplom nicht aufgefunden werden konnte.
Es ist überhaupt ein merkwürdiges Volk, das der Dalmatiner und besonders der Spalatiner Adelsgeschlechter. In den engen Gassen der Stadt, in den verstecktesten und übelriechendsten Winkeln derselben sitzen sie in ihren Häusern, denkend der vergangenen Herrlichkeit, als noch der »Conte« nicht viel weniger als ein Souverain und der arme Morlake nicht viel mehr als ein Sklave war, und es für jede Ungerechtigkeit, die der »Conte« beging, höchstens eine Geldstrafe gab, für das Vergehen des armen Bauern aber nur das Ermessen und die Willkür seines Herrn massgebend war. Sie haben nichts gelernt und nichts vergessen, diese Conti, und so gut österreichisch sie auch im Allgemeinen sein mögen, so denken sie doch noch immer an das verrottete Pascha-Regiment der in ihrem Fett erstickten Republik von Venedig. Ja, – sowie man heute noch allenthalben auf den Mauern und öffentlichen Gebäuden der dalmatinischen Städte den Löwen des San Marco über seine vergangene Herrlichkeit in steinerner Faulheit trauern sieht, so würden sämmtliche »Conti« nicht im mindesten sich wundern, wenn eines schönen Tages wieder einmal so ein Provveditore der Republik auf einem altartigen Segelschiffe angefahren käme, um die verrottete Zopfwirthschaft von neuem zu beginnen.
So wie es unter depossedirten Fürsten üblich sein mag – ich stelle es mir wenigstens so vor, – sich gegenseitig mit »Majestät« anzusprechen, so hört man die Spalatiner alten Familien einander den Titel »Conte« geben, ohne dass weder der eine noch der andere Theil das mindeste Anrecht auf diese Bezeichnung hätte. Das »gemeine« Volk thut dann das Gleiche in seinem Umgange mit den »Conti«, und so wird in Spalato, da man dort nach altvenetianischer Weise die Leute bei ihrem Taufnamen ruft, nur von einem Conte Mome1, Conte Zane2, Conte Toni, von einer Contessa Mare3, Contessa Lele4 und Contessa Bare5 gesprochen.
In dem Hause eines solchen Conte war es, wo ich der alten Zanetta gegenüber sass, die spinnend und kopfnickend mir ihre Erinnerungen erzählte. Da war sie als dreizehnjähriges Kind in die Familie gekommen, in der sie jetzt als dreiundachtzigjährige Greisin das Gnadenbrod ass. Ihren Herrn, den Conte Anastasio, der vor einem Jahre als siebzigjähriger Greis gestorben, hatte sie damals auf den Armen getragen, – dessen Mutter, die Contessa Nene6, war damals eben erst seit zwei Jahren verheiratet gewesen und trotz ihrer Jugend eine gar strenge Frau. »Ja, ja, damals hatten die Diener noch Respect vor dem Herrn und der Frau, und wenn sie pfeifen hörten (denn in jener Zeit gebrauchte man noch keine Glocken in den Zimmern), da stürzten sie Alle holterpolter in's Zimmer, – nicht wie jetzt, wo die Magd hereinschleicht, als ob sie der Frau damit eine Gnade erwiese.«
»Damals,« so erzählte Zanetta, während sich ihre bleichen runzlichten Wangen in Erinnerung an die vergangene Herrlichkeit rötheten, »damals konnte der Herr noch den Diener strafen, ohne dass irgend ein Prätor oder sonst ein Beamter sich unberufenerweise hineinmischte. Wenn das heute geschehen wäre, dass man der seligen Lustrissima7 ihr ganzes Silbergeschirr stahl, wie es bald vor siebzig Jahren geschehen, wer weiss, ob nicht der Joso8, der Lump, noch frei ausgegangen wäre, aber so hat er es bitter genug büssen müssen, – unser Herrgott habe seine Seele gnädig.« – Und Signora Zanetta faltete die Hände und schien ein Gebet für den »Joso« zu murmeln, so dass ich sie, so lange sie in ihrer Andacht versunken war, nicht unterbrechen wollte.
»Und wie war denn die Geschichte, Signora Zanetta, mit dem Joso und dem Silbergeschirr und der Lustrissima?«
»So, wissen Sie das nicht? Hier weiss es Jedermann. Das heisst, Jene, die es gewusst haben, sind eigentlich meistentheils todt, ich aber erinnere mich noch gar gut daran. Damals war ich ein junges Ding und eben erst von der Insel Brazza herübergekommen, weil mich die selige Lustrissima als Magd wollte. Ich bin auch seit jener Zeit nicht mehr aus dem Dienste der Familie ……* getreten, und so hat auch mein Herr, der Conte Nico9, als er vor dreissig Jahren starb, es ausdrücklich im Testamente hinterlassen: La Signora Zanetta resta calzata e vestita in casa ……*, monda e netta10. Auch arbeite ich, was ich will, und seit zehn Jahren putze ich nur mehr alle Morgen die Oellampen, denn das jetzige Volk von Mägden ist zu faul und zu schmutzig zu einem solchen Geschäft. Also richtig, dass ich auf den Joso komme, der war damals Knecht beim Conte Nico und wohnte draussen in dem Hause von Lovrett, eine Viertelstunde vor der Stadt auf dem Wege gegen Paludi. Dort hatte er die Felder zu bearbeiten, die auf weit und breit um das Haus herum dem Conte Nico gehörten. Sie gehören auch jetzt noch der Familie ……*«
»Also, die Lustrissima lag in ihrem ersten Kindbett mit dem kleinen Conte Anastasio, den Sie ja selbst noch gekannt haben und der erst im vorigen Jahre gestorben, und weil es schon gegen zwölf Uhr Mittags war, um welche Zeit gewöhnlich die anderen Frauen zur Lustrissima zu Besuche kamen, so hatte ich den kleinen Conte Anastasio, der eingeschlafen war, in seine schöne Wiege gelegt und putzte ein wenig den Staub von den Möbeln des ersten vor dem Schlafzimmer der Lustrissima befindlichen Zimmers. Da ruft die Lustrissima und sagt: »Zanetta, mir kommt vor, als ob ich einen Geruch von Zwiebel verspürte, – war gewiss der Joso draussen im anderen Zimmer?« Der Joso, müssen Sie wissen, ass sehr gerne frische Zwiebel und roch auch gewöhnlich danach. Sag' ich, nein, Lustrissima, der Joso ist noch nicht zum Essen gekommen und in der Küche draussen wird ihm die Minestra kalt. Sagt die Lustrissima: »Ich weiss nicht, aber die ganze verflossene Nacht träumte mir von Melonen, die mir der Joso brachte, das bedeutet einen Diebstahl. Nimm hier die Schlüssel und sieh in der schwarzen Truhe nach, die draussen steht, ob alles Silberzeug da ist.« Sage ich: Ja, Lustrissima! nehme den Schlüssel und will die Truhe aufsperren, da fehlt aber etwas im Schloss und ich kann nicht damit zu Stande kommen. Unterdessen kommt der Conte Nico nach Hause, der lässt den Schlosser holen, und wie der Deckel endlich aufspringt, ist die Kiste leer. Ja, – von Melonen träumen bedeutet immer Diebe im Hause.«
»Der Conte Nico – Gott hab' ihn selig! – läuft selbst gleich zum Municipium und es werden alle Rondari11 avisirt und die Truhen von uns Dienstleuten wurden alle durchsucht, aber es fand sich nichts und die Rondari konnten auch keinem Diebe auf die Spur kommen. Da liess der Conte Nico alle Dienstleute in's Zimmer kommen und wir mussten niederknien und er machte alle Fenster auf. Einer nach dem Andern mussten wir bei offenem Fenster schwören, dass wir es nicht gethan hätten, – und schliesslich sprach Niemand mehr davon.«
»Die Lustrissima aber hatte sich das schöne Silberzeug zu Herzen genommen, wurde schwer krank und lag durch drei Monate im Bette, obwohl man ihr nach und nach mindestens hundertundfünfzig Blutegel setzte und der alte Doctor R., der Grossvater des jetzigen Doctor R., ihr viele Male zu Ader liess. Wie es ihr schon besser geht, – aber noch sehr schwach war sie, – kommen eines Morgens unsere beiden Knechte, die im Hause wohnen, vom Feld herein und mit ihnen drei Rondari. Die tragen etwas in einer Torba12 und wollen mit der Lustrissima sprechen. Der Conte Nico war schon zeitlich Früh nach Castelli geritten