Aus halbvergessenem Lande: Culturbilder aus Dalmatien. Theodor SchiffЧитать онлайн книгу.
dem halbverzweifelten Schneider gelungen, das sollte ihm, Herrn Stipe Noncovich junior, nicht möglich sein, – ihm, der sich zu Höherem geboren fühlte?
Eine goldene Uhrkette, ein blank gebügelter Cylinder und die blauen Hosen des Conte Anastasio tanzten vor seinen Augen einen wilden Reigen und das Blut stieg ihm wie siedend zum Kopfe.
Herr Noncovich senior aber hatte in diesem Augenblicke keine so üppigen Träume wie sein hochaufstrebender Neffe und »Giovane«.
Es vergeht selten ein Jahr, in welchem zur heissen Sommerszeit, wenn die Früchte, wenn Melonen und Gurken in reichem Ueberflusse reifen, nicht die Cholera einen kleinen Umzug hält durch das langgestreckte Küstenland Dalmatiens. Auch in diesem Jahre war sie gekommen und Herr Noncovich senior war einer der Ersten, bei dem sie Einkehr gehalten. Weil aber der Verkaufsladen nicht leer stehen durfte und vielleicht auch aus anderen Gründen, war es nicht der Neffe und Giovane, der seinen Herrn und Oheim pflegte, sondern ein guter Freund und weitschichtiger Vetter des Letztern, der Signor Beppo.
Lange dauerte es nicht. Des Morgens hatte der alte Herr sich niedergelegt, zwei Stunden darauf hatte man einen Franciskaner geholt, der die Krankheit wegbeten sollte, Mittags kam der Arzt, um fünf Uhr Nachmittags ging es dem Kranken besser (was die Folge des Wegbetens war) und um zehn Uhr Abends war er eine Leiche.
Der Signor Beppo hielt aber mit rührender Sorgfalt bei dem Kranken aus, hegte und pflegte ihn und als er todt war, bestellte er selbst die Männer und Weiber zur Leichenwache und besorgte in eigener Person Schnaps und Brod für dieselben. Auch warf er den Herrn Stipe Noncovich junior eigenhändig zur Thüre hinaus, als derselbe zu später Nachtstunde in das Trauerhaus kam. Des andern Morgen kam die Gerichtssperre und es wurde Alles hübsch ordentlich aufgenommen, was der alte Herr hinterlassen. Es fand sich aber nicht viel. Ausser den Möbeln und werthlosen Kleidern fand sich eigentlich nichts. Kleider und Möbel sowie das gefüllte Verkaufsgewölbe in der Calle Alberti gingen in die Hände einer in Sebenico lebenden Schwester des Verstorbenen über. Der Herr Beppo, der ihn so treulich in seiner letzten Krankheit gepflegt, bekam nichts. Und Herr Stipe Noncovich junior bekam auch nichts. Darum schimpfte Herr Beppo weidlich über die Undankbarkeit seines verstorbenen Freundes und Herr Stipe Noncovich, der Lebende, lungerte den ganzen Tag in den Strassen der Spalatiner Vorstadt Pozzobuon herum. Auch Abends sah man ihn dort, auf einem Stein sitzend mit einem Stücke Polenta in der einen und einem gebratenen Fisch in der andern Hand.
Warum in Pozzobuon? Vielleicht weil Pozzobuon in der Richtung gegen Botticelle liegt, wo die Schätze vergraben? Oder weil in Pozzobuon Herr Beppo wohnte, der Freund und Pfleger seines verstorbenen Oheims?
Das hat keine lebende Seele je erfahren.
Ja, wer ein schlankes blaues Flämmchen hätte sein können, wie sie zu nachtschlafender Zeit über Botticelle tanzen, der hätte in der Vorstadt Pozzobuon so gegen Mitternacht herum etwas sehen können. Da stand das Haus des Herrn Beppo und hinter demselben dessen Garten, ein grosses mit Paradiesäpfelstauden, Misthaufen, Granatbüschen und Zwiebelbeeten bedecktes Stück Erde. Wer da ein blaues Flämmchen hätte sein können und sich hinter den Granatbüschen verborgen hätte, der hätte in der pechfinstern, feuchten, heissen Nacht Jemanden aus Herrn Beppo's Thür treten gesehen, der auf der linken Schulter eine Kiste und in der rechten Hand einen Spaten trug. Und der hätte sehen können, wie dieser Jemand in der unmittelbaren Nähe zweier Misthaufen und eines prächtigen alten Feigenbaumes eine Grube machte und darin die Kiste begrub und dann wieder Alles hübsch zudeckte und Mist darüber streute und dann wieder in das Haus ging. Der hätte auch sehen können, wie dann aus den Granatbüschen heraus eine andere Gestalt hervorschlich, die auch einen Spaten hatte, aber mit demselben gerade die entgegengesetzte Arbeit verrichtete. Denn die Gestalt grub genau an derselben Stelle nach, wo die Kiste verscharrt worden war. Dann nahm die Gestalt die Kiste wieder heraus, deckte die Grube wieder fein säuberlich zu, hob die Kiste auf die Achsel und trollte sich damit fort. Wohin?
Neuigkeiten sind in Spalato selten. Kommt einmal eine solche vor, so wird sie darum desto begieriger von Alt und Jung aufgegriffen, besprochen und herumgetragen. Und heute gab es etwas Neues. Herr Stipe Noncovich junior war gestern Abends vor dem Café Troccoli gesehen worden. Dort hatte er sich ein Gefrornes geben lassen und sehr viele Cigarretten geraucht. Er hatte einen funkelnagelneuen Cylinder auf dem Kopfe und trug denselben stark nach hinten gerückt, – von allen seinen dicken Fingern blitzten Ringe und um den Hals schlang sich eine schwere goldene Kette. Gold – nicht Talmi. Dazu hatte er ein spanisches Rohr mit einem grossen goldenen Knopf und ein Paar prachtvolle dunkelblaue Hosen. Er war in seinem Auftreten ein genaues Conterfei des Conte Anastasio. Und als er sein Gefrornes zahlte, das zwölf Kreuzer kostete, liess er eine Hundertgulden-Note wechseln, was dem »Giovane« des Café Trocolli bald eine Ohnmacht zugezogen hätte, und zeigte eine prächtige mit Banknoten gefüllte Brieftasche. Mit Einem Worte: Herr Stipe Noncovich junior war ein reicher Herr geworden.
Er hatte Spalato vor vierzehn Tagen als Passagier dritter Classe eines Lloyddampfers verlassen. Seine ganzen Habseligkeiten bestanden in einer kleinen hölzernen Kiste, die mit Stricken zugeschnürt war. Und gestern war er von Triest zurückgekehrt – wenn nicht ein Adonis, so doch ein zweiter Conte Anastasio.
Lange hat es ihn aber in Spalato nicht gelitten. Er war blasirt. Dann wollten auch die Damen nichts von ihm wissen, wenn sie Abends mit den langen Schleppen über die Marine fegten und er den Galanten bei ihnen zu spielen versuchte, weil, wie sie sagten, er schliesslich doch nur ein »Giovane di Bottega« sei. Darum schiffte er sich eines schönen Morgens wieder auf einem Lloyddampfer ein und reiste fort. Heute hat er sich in Buenos Ayres etablirt, wo er einen schwungvollen Handel betreibt. Dorthin liess er sich auch seine Schwester nachkommen, die früher ein armes Schneidermädchen war.
Möchtest Du auch Schätze finden, lieber Leser? Gehe hin nach Spalato zur Sommerszeit, wenn die Granatäpfel glühen, die Traube dunkelt, die köstliche Feige vom Baume winkt. Zur Nachtszeit, bei Neumond, wenn die Nacht schwarz, heiss und feucht über Meer und Felsen hängt, dann ersteige die Höhen von Botticelle, wo unter dunkeln Oelbäumen und fruchtschweren Reben die Leiber der pestkranken ungetauften Türkenhunde ruhen. Siehst Du dann schlanke blaue Flämmchen aufzüngeln und im Tacte der Wogen tanzen, die tief unten den Fuss der jäh abstürzenden zackigen Felsen schmeichelnd küssen, so merke Dir den Punkt ganz genau. Dort liegen die Schätze.
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