Ein Winter auf Mallorca. George SandЧитать онлайн книгу.
weil nach spanischem Volksglauben jede Krankheit ansteckend ist; und da unser Mann bereits dachte, das Lager, auf dem der Kranke lag, verbrennen zu lassen, wollte er, dass es das Schlechteste sei. Wir schickten ihn wieder zu seinen Schweinen, und vierzehn Tage später, als wir auf dem Le phénicien, einem herrlichen Dampfschiff unserer Nation, nach Frankreich zurückfuhren, verglichen wir die Dienstfertigkeit des Franzosen mit der Gastfreundschaft des Spaniers. Der Kapitän von El mallorquin hatte einem Sterbenden das Bett streitig machen wollen, der Kapitän aus Marseille fand unseren Kranken nicht gut genug gebettet und hatte die Matratzen aus seinem eigenen Bett geholt, um sie ihm zu geben … Als ich dem Franzosen unsere Überfahrt bezahlen wollte, bemerkte er, dass ich ihm zu viel gab, der Mallorquiner hatte mir das Doppelte abgenommen.
Daraus schloss ich nicht, dass der Mensch auf einem Fleck dieses Erdballes ausschließlich gut ist, ebenso wenig wie er auf einem anderen Fleck schlecht ist. Das moralische Übel der Menschheit ist nur das Ergebnis materiellen Übels. Leiden erzeugt Angst, Misstrauen, Betrug, Kampf in jedem Sinne. Der Spanier ist ignorant und abergläubisch, deswegen glaubt er an die Ansteckung, er fürchtet Krankheit und Tod, es mangelt ihm an Glauben und Nächstenliebe. Er ist ein Habenichts, dem Steuern abverlangt werden; demzufolge ist er geizig, egoistisch und Fremden gegenüber verschlagen. In der Geschichte sehen wir, dass er da, wo er groß sein konnte, gezeigt hat, dass die Größe in ihm lag. Er ist ein Mensch, und im Privatleben wird der Mensch da, wo er schwach werden kann, schwach.
Ich muss dieses als Prinzip herausstellen, bevor ich von den Menschen spreche, wie sie mir auf Mallorca erschienen sind, denn nur so glaube ich, dass man mir zugestehen wird, über Oliven, Kühe und Schweine zu sprechen. Die Länge dieses letzten Artikels zeugt nicht eben von gutem Geschmack. Ich bitte diejenigen um Verzeihung, die sich persönlich beleidigt fühlen könnten, und nehme nun meine Erzählung ernst, denn ich glaube, hier nichts zu tun zu haben, als Herrn Laurens Schritt für Schritt auf seiner Kunstreise zu folgen, und ich sehe, dass sich viele Betrachtungen meiner bemächtigen werden, wenn ich in der Erinnerung die steinigen Pfade Mallorcas wieder abschreiten werde.
IV
Aber man wird mir sagen: Was zum Teufel machen Sie bloß hier, wo Sie doch nichts von Malerei verstehen? Ich möchte den Leser so wenig wie möglich über mich und die meinigen informieren; ich werde jedoch oft bei dem, was ich auf Mallorca gesehen habe, über mich und uns sprechen müssen; ich und wir, das ist die zufällige Subjektivität, ohne die die Objektivität auf Mallorca sich nicht so dargestellt hätte, wie es der Fall war, und vielleicht ist es wichtig, dies den Leser wissen zu lassen. Daher bitte ich Letzteren, hier meine Persönlichkeit als etwas ganz Passives zu betrachten, wie eine Lupe, durch die man sehen kann, was in diesen fernen Ländern passiert, bezüglich derer man gern die Redewendung benutzt: Ich glaube es lieber, als dass ich es überprüfen möchte. Ferner bitte ich ihn inständig mir zu glauben, dass ich ihn nicht für das interessieren möchte, was mir zufällig passiert ist. Dies möchte ich hier mit einem leicht philosophischen Ziel nachvollziehen, und wenn ich meine diesbezüglichen Gedanken formuliert haben werde, wird man mir Gerechtigkeit widerfahren lassen, indem man anerkennt, dass es mir nicht im Geringsten um mich selbst gegangen ist.
Ohne Umschweife sage ich also meinem Leser, warum ich mich auf diese Fahrt begeben habe: Ich hatte einfach Lust zu reisen. Und nun stelle ich meinerseits meinem Leser eine Frage: Wenn Sie reisen, lieber Leser, warum tun Sie es? Ich höre Sie hier antworten, was ich an Ihrer Stelle antworten würde: Ich reise um des Reisens willen. Ich weiß genau, dass die Reise an sich ein Vergnügen ist; aber trotzdem, was treibt Sie zu diesem kostspieligen, anstrengenden, manchmal gefährlichem Vergnügen, das stets voll zahlloser Enttäuschungen ist? Das Bedürfnis zu reisen. Nun sagen Sie mir aber doch, was das für ein Bedürfnis ist, das uns alle mehr oder weniger beherrscht, und warum wir ihm alle nachgeben, obwohl wir so viele Male anerkennen mussten, dass es mit uns sein Spiel treibt und uns nicht wieder loslässt?
Wenn Sie mir nicht antworten wollen, werde ich die Ehrlichkeit aufbringen, es an Ihrer Stelle zu tun. Es liegt daran, dass wir uns in der Tat und Wahrheit nirgendwo wohl fühlen, und dass, egal wie das Ideal uns erscheinen mag (oder, falls Sie dieses Wort stört, das Gefühl des Besseren) die Reise uns hierüber eine der angenehmsten Illusionen verschaffen kann. In der offiziellen Welt geht es uns schlecht; diejenigen, die das leugnen, empfinden es genauso tief und vielleicht sogar noch bitterer als diejenigen, die es zugeben.
Nicht einmal diejenigen, die sie verteidigen, mögen die soziale Ordnung, niemanden von uns stellt sie zufrieden, und jeder geht für sich dorthin, wo es ihm gefällt. Jener widmet sich der Kunst, dieser der Wissenschaft, die meisten lenken sich ab, wie sie können. Wenn wir ein bisschen Zeit und Geld haben, reisen wir, oder fliehen vielmehr, denn es geht nicht so sehr ums Reisen als vielmehr ums Wegfahren, verstehen Sie? Wer von uns hat keinen Schmerz, den er vertreiben möchte, oder ein Joch, das es abzuschütteln gilt? Niemand.
Wer auch immer nicht völlig von seiner Arbeit beansprucht oder von seiner Faulheit gelähmt wird, ist unfähig, davon bin ich überzeugt, längere Zeit am selben Ort zu bleiben, ohne darunter zu leiden und eine Veränderung herbeizusehnen. Wenn jemand glücklich ist (hierfür muss man heutzutage sehr viel Größe oder Feigheit aufbringen), stellt er sich vor, durch das Reisen sein Glück zu vervollkommnen; die Liebenden, die jung Verheirateten fahren in die Schweiz oder nach Italien wie die Müßiggänger und die Hypochonder. Kurz, wer auch immer sich lebendig fühlt oder meint, dem Tod geweiht zu sein, wird vom Reisefieber ergriffen und macht sich sehr schnell auf, in der Ferne ein Liebesnest zu suchen oder einen Unterschlupf, um dort zu sterben.
Man möge mir verzeihen, dass ich mich hier gegen diesen Wandertrieb auslasse und mir für die Zukunft der Menschen vorstelle, dass sie sich mit ihrer Heimat verbunden fühlen, dass sie an ihr und ihrem Haus hängen wie die Polypen am Schwamm! Selbst wenn die Intelligenz und die Moral sich gleichzeitig mit der Industrie weiter entwickeln, will mir scheinen, dass es nicht der Zweck der Eisenbahn sein kann, die Menschen, die von Traurigkeit oder krankhafter Betriebsamkeit angefallen werden, von einem Ort des Globus an einen anderen zu fahren.
Ich stelle mir gern das Menschengeschlecht glücklicher vor, folglich ruhiger und aufgeklärter, wenn es zwei Leben hat: Das eine ist sesshaft, geprägt von häuslichem Glück, Verpflichtungen im täglichen Umfeld, dem Nachdenken und philosophischer Einkehr, das andere ist aktiv und reflektiert auf einen loyalen Austausch, der die peinlichen Machenschaften ersetzt, die wir Handel nennen, und dies zugunsten der Inspirationen aus der Kunst, wissenschaftlichen Forschungen, und vor allem der Verbreitung von Ideen. Kurz gesagt erscheint es mir, dass das normale Ziel der Reisen dem Bedürfnis nach Kontakt entspricht, nach Beziehungen und nach freundlichem Austausch mit den Menschen und dass es dort, wo es keine Pflicht gibt, kein Vergnügen geben dürfte. Im Gegenteil habe ich aber den Eindruck, dass die meisten von uns heute wegen eines Geheimnisses oder dem Wunsch nach Alleinsein reisen, weil nämlich die Gesellschaft Unseresgleichen unsere persönlichen Eindrücke mitunter auf angenehme, aber auch auf störende Art und Weise zu überschatten scheint.
Was mich betrifft, so habe ich mich auf den Weg gemacht, um ein Ruhebedürfnis zu befriedigen, das ich in dieser Zeit besonders stark empfand. Da uns in dieser Welt, die wir uns gebaut haben, stets zu allem die Zeit fehlt, stellte ich mir wieder einmal vor, dass ich nur zu suchen hätte, um, allein, stille Einkehr zu finden, wo ich keine Briefe zu schreiben hätte, noch Zeitungen durchzulesen, noch Besuch zu empfangen, wo ich immer im Morgenmantel bleiben könnte, wo die Tage zwölf Stunden hätten, wo ich alle guten Manieren und die Verpflichtungen, die daraus erwachsen, ablegen könnte, die Geistesbewegungen hinter mir lassen könnte, die in Frankreich uns alle beanspruchen, und so ein oder zwei Jahre hätte, um ein wenig Geschichte zu studieren und mit meinen Kindern Sprachen zu lernen.
Wer von uns hätte nicht diesen egoistischen Traum gehabt, eines schönen Tages alles stehen und liegen zu lassen, seine Gewohnheiten aufzugeben, seine Gewissheiten, ja sogar seine Freunde, um auf irgendeiner verzauberten Inseln ein sorgloses Leben zu führen, ohne Ungemach, ohne Verpflichtungen und vor allem ohne Zeitungen?
Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass der Journalismus, dieses Alpha und Omega, wie es Äsop ausgedrückt hätte, den Menschen ein völlig neues Leben ermöglicht hat, voll von Fortschritt, Vorteilen und Problemen. Diese Stimme der Menschheit, die uns