Mami Bestseller 17 – Familienroman. Carmen LindenauЧитать онлайн книгу.
Ihr pikantes, lebhaftes Gesicht war ganz ruhig.
»Ich meinte es ernst«, sagte sie still.
»Ja«, erwiderte Carola, »ich weiß. Aber wenn ich jetzt nicht aufhöre, darüber nachzudenken und zu reden, begleitet mich der Gedanke den ganzen Tag. Und das kann ich nicht vertragen.«
»Wieso?« Jenny hatte plötzlich alles verstanden. »Er sitzt doch fest bei dir, der Gedanke. Er läßt dich doch ohnehin nicht los. Nie! Hab’ ich recht oder nicht?«
»Doch«, gab Carola zu, ohne Jenny anzusehen. »Aber jetzt turne ich noch fünf Minuten!«
Sie ging hinaus, und Jenny folgte ihr.
Sie machten täglich fünf Minuten Übungen in dem Gymnastikraum, in dem sie auch mit den Kindern turnten.
Jenny hielt nicht viel davon, sie war überhaupt nicht allzu sportlich. Und strenggenommen turnte sie die täglichen fünf Minuten auch nur Carola zuliebe, obwohl sie sich danach immer richtig wohl fühlte.
Als sie zurück in die Spielzimmer kamen und ihre Gruppe übernahmen, war der Lärm bereits in vollem Gange.
Jennys Blick streifte liebevoll über die tobende Gruppe.
»Sie sind außer Rand und Band«, sagte sie zu Carola.
»Wann sind sie das mal nicht?«
Jenny hörte gar nicht richtig hin.
»Am besten, wir gehen mit ihnen nach draußen. Ist sowieso das beste bei dem schönen Wetter.«
Sie klatschte in die Hände, brachte ihre Stimme auf Feldwebellautstärke und rief: »Kinder! Ruhe bitte! Bitte
Rrruuuuhe!«
Trotzdem dauerte es eine ganze Zeit, bis es still wurde.
»Laßt doch Tante Jenny auch mal was sagen!« schrie James, der Große.
Er war sechs, kam bald in die Schule und hatte sich im letzten halben Jahr zu Jennys rechter Hand entwickelt.
Er liebte sie abgöttisch, und es hatte echte Schwierigkeiten gegeben, ihm die Notwendigkeit eines Schulbesuchs klarzumachen.
Erst als Jenny Besuche versprochen und erlaubt hatte, war er mit seiner Einschulung einverstanden gewesen.
James ist eine Autorität, dachte Jenny amüsiert, mehr als ich. Aber ich kann ja schließlich auch nicht mit erhobenen Fäusten auf die Kinder zugehen, so wie James jetzt!
Sie stellte sich hinter ihn und legte ihm beide Hände auf seine magere Brust.
»Wir gehen nach draußen.«
Alles Weitere ging in einem Gejole in Häuserblocklautstärke unter.
Die Kinder stürmten die Kleiderhaken, drängten und zwängten sich in ihre Jacken. Pausenloses Geplapper begleitete die eilige Tätigkeit.
Jenny ging dazwischen durch und half, wo Hilfe erforderlich war, zog Reißverschlüsse hoch, wechselte Pantoffeln gegen Sandalen aus, band Schuhbänder zu, knöpfte viel zu große Knöpfe in viel zu kleine Knopflöcher, machte Zopfspangen zu, und und, und… Sie sah glücklich dabei aus, und sie war es auch.
Draußen dann saß sie nicht bei Carola, sondern betätigte sich mit den Kindern.
Sie ist selbst noch ein Kind, dachte Carola, und sie hat an der Spielerei auch ganz genauso viel Spaß wie ein Kind.
Jenny war zu beneiden. Ihr gelang alles, was sie in Angriff nahm. Sie bekam alles, was sie sich erträumte. Irgendwie war sie Jenny im Glück.
Gerechterweise mußte Carola zugeben, daß Jennys Träume sehr reale, verwirklichungsfähige Träume waren. Aber trotzdem…
Ihre eigenen Träume waren ja ähnlich, nur hatte sie nicht den Partner gefunden, der exakt die gleichen Träume träumte.
Walters Träume lagen auf einer andern Ebene. Er verstand unter Glück und Familienleben etwas anderes als sie. Selbst unter Leben verstand er etwas anderes.
Aber Jenny hatte recht. Sie liebten sich, und alles würde gut werden. Sie würden sich zusammenraufen und ihre Wünsche einander anpassen.
Einige Augenblicke lang war Carola sehr froh, fast euphorisch. Sie würde heute mit ihm sprechen.
»Heee!« hörte sie Jennys Stimme. »Warum weint denn Frauke da?«
Gleich darauf hatte sie Frauke im Arm. Wie Jenny das tat, wie sie die Kinder mit Zärtlichkeit überströmte, wie sie in Sekundenschnelle Trost gab, das machte ihr niemand nach. Das war nicht nachzumachen, das war auch nicht zu lernen. Das war in dem Menschen. In Jenny.
Jenny war die einzige unter den Kolleginnen, der die Kinder noch nie, nicht ein einziges Mal in den drei Jahren, auf die Nerven gegangen waren.
Wenn die anderen erschöpft waren, denn Kinder kosten Nerven, so blühte Jenny immer mehr und mehr auf.
Es war, als zöge sie Kraft und Freude aus den Kindern.
Sie wird einmal nicht vier, überlegte Carola, sie wird sechs und mehr Kinder haben!
*
Der Tag war um.
Carola war erschossen. Jenny sah aus wie das blühende Leben.
»Ich frage mich, wie du das machst!« stöhnte Carola. »Du mußt Nerven wie Drahtseile haben!«
Jenny streifte ein anderes Kleid über. Sie würde sich in zehn Minuten mit Claus treffen.
»Ich will dir ein Geheimnis verraten«, lachte sie.
»Da bin ich gespannt!«
»Ich habe überhaupt keine Nerven!«
»Das merkt man!« entgegnete Carola trocken, aber ohne Neid.
»Kinder«, dozierte Jenny ernsthaft und sah dabei selbst aus wie ein etwas zu groß geratenes Kind. »Kinder machen mich munter! Einfach munter!«
Sie knöpfte die lange Reihe der winzigen Knöpfe sorgfältig zu, hin und wieder einen Blick in den Spiegel werfend.
»Sie sind für mich wie ein Anregungsmittel! Frag mich nicht, wieso, denn ich weiß es nicht. Es ist einfach so. Ich bin schon so auf die Welt gekommen, glaube ich manchmal.«
»Als ewiges Kind?« fragte Carola in einem liebevollen, neckenden Ton.
Jenny hatte die Knopfreihe fertig und betrachtete sich im Spiegel.
»Vermutlich«, erwiderte sie. »Aber es ist schön, einfach schön. Ich jedenfalls fühle mich wohl, so wie ich bin.«
Carola war unvermittelt wieder ernstgeworden.
»Du wirst deinen Kindern eine wundervolle Mutter sein«, sagte sie leise, »sie sind schon jetzt zu beneiden!«
Mit der gleichen Zärtlichkeit, mit der sie Kinder behandelte, streichelte Jenny Carolas bloßen Arm.
»Du auch«, murmelte sie, und ihr behutsames Lächeln war wie Trost für alles.
Kein Wunder, daß die Kinder sie so liebten, diese Jenny.
Sie wandten sich zum Gehen, als das Telefon im ›Tantenzimmer‹ läutete.
Carola ging an den Apparat.
»Für dich«, sagte sie dann, »deine Mutter.«
Jenny nahm den Hörer.
»Hallo, Mam, was gibt es?«
Frau Amrasts Stimme klang heller als sonst, und sie sprach schneller als gewöhnlich.
Jenny lächelte in sich hinein. Daß Mütter immer glaubten, Kinder merkten nichts!
»Eigentlich nichts. Ich wollte nur hören, wann du heute nach Hause kommst, so ungefähr. Du triffst dich doch mit Claus, oder hatte ich das falsch verstanden?«
»Nein, hast es richtig verstanden. Ich denke, daß ich gegen elf zu Hause hin.