Gesammelte Werke. Джек ЛондонЧитать онлайн книгу.
muß sehen, heute jemand zu kriegen.«
Er drehte sich um und blickte Martin an, und Martin, der ihn wieder anblickte, bemerkte das rote, aufgedunsene Gesicht, ein hübsches und kraftloses Gesicht zugleich, und wußte, daß der Mann die ganze Nacht durchsumpft hatte.
»Suchst du Arbeit?« fragte der andere. »Was kannst du alles?«
»Schwere Arbeit, Matrose, Schreibmaschine – Stenographie nicht – Reiten; jede Arbeit, einerlei was«, lautete die Antwort.
Der andere nickte.
»Das klingt ja ganz gut. Ich heiße Dawson, Joe Dawson, und soll einen Mann für eine Wäscherei aufstöbern.«
»Nein, das ist nichts für mich.« Martin sah sich im Geist feine weiße Sachen plätten, wie Frauen sie trugen, und der Gedanke belustigte ihn. Aber das Gesicht des andern gefiel ihm, und er fügte hinzu: »Gröbere Wäsche kann ich natürlich machen. Soviel hab' ich auf der See gelernt.«
Joe Dawson dachte einen Augenblick nach.
»Wir wollen mal drüber reden. Willst du zuhören?«
Martin nickte.
»Es ist eine kleine Wäscherei, auf dem Lande – gehört zum Shelly Hot Springs Hotel – verstehst du. Zwei Mann besorgen die Arbeit – ein Vorarbeiter und ein Gehilfe. Ich bin der Vorarbeiter. Du arbeitest nicht für mich, aber unter mir. Hast du Lust?«
Martin bedachte sich einen Augenblick. Das klang verlockend. Einige Monate, und er hatte dabei Zeit, weiter zu studieren. Er konnte schwer arbeiten und viel studieren.
»Gute Kost und eigenes Zimmer.«
Das schlug dem Faß den Boden aus. Ein eigenes Zimmer, wo er ungehindert seine nächtlichen Studien betreiben konnte.
»Aber es ist verflucht schwere Arbeit«, fügte der andere hinzu.
Martin strich liebkosend über seine kräftigen Muskeln. »Die hab' ich von schwerer Arbeit.«
»Also laß uns weiter drüber reden.« Joe griff sich an den Kopf. »Lieber Gott, das war eine tolle Geschichte gestern. Ich kann kaum aus den Augen sehen. Ich habe alles bis auf den letzten Cent durchgebracht – also die Geschichte ist so: Der Lohn macht für beide zusammen hundert Dollar und freien Aufenthalt. Ich hab' sechzig gekriegt, der andere Mann vierzig. Aber er kannte die Arbeit. Für dich ist sie neu. Wenn ich dich anlernen soll, muß ich anfangs einen Teil deiner Arbeit mitmachen. Wollen wir sagen, du fängst mit dreißig an und arbeitest dich zu vierzig auf? Ich spiele ehrliches Spiel. Sobald du deinen Teil der Arbeit verrichten kannst, bekommst du die vierzig.«
»Das ist ein Wort«, sagte Martin und reichte ihm die Hand. »Wie steht's mit Vorschuß – für die Fahrkarte und so weiter?«
»Alles draufgegangen«, klagte Joe und griff sich an den schmerzenden Kopf. »Ich habe nur noch eine Rückfahrkarte.«
»Und ich habe nicht einen Cent, wenn ich mein Logis bezahlt habe.«
»Brenn' durch«, riet Joe.
»Geht nicht. Ich schulde es meiner Schwester.«
Joe ließ einen langgezogenen Pfiff hören und zerbrach sich den Kopf, aber zwecklos.
»Na, für ein Glas reicht es jedenfalls noch«, sagte er mit dem Mut der Verzweiflung. »Komm mit, vielleicht finden wir einen Ausweg.«
Martin lehnte ab.
»Wasserwagen?«
Diesmal nickte Martin, und Joe jammerte: »Ich möchte, ich wär's! Aber es geht nicht. Wenn ich die ganze Woche wie ein Teufel gearbeitet habe, dann muß ich mir einen ansaufen. Täte ich's nicht, dann würde ich mir den Hals abschneiden oder das Geschäft anstecken. Aber ich freue mich, daß du auf dem Wagen bist. Bleib nur dabei.«
Martin erkannte die ungeheure Kluft zwischen sich und diesem Manne – die Kluft, die die Bücher geschaffen hatten –, aber es fiel ihm nicht schwer, sie zu überbrücken. Er hatte sein ganzes Leben in der Arbeiterwelt verbracht, und die Kameradschaft unter den Arbeitern war ihm zur zweiten Natur geworden. Er löste die schwierige Frage der Reise, die für den schmerzenden Kopf des andern zuviel war. Er wollte seinen Koffer auf Joes Fahrkarte nach Shelly Hot Springs schicken. Er selbst hatte sein Fahrrad. Es waren siebzig Meilen, er konnte am Sonntag hinausfahren und war dann am Montagmorgen bereit, die Arbeit aufzunehmen. Jetzt wollte er heimgehen und packen. Er brauchte sich von keinem zu verabschieden. Ruth verbrachte den langen Sommer mit ihrer Familie in der Sierra am Tahoe-See.
Am Sonntagabend traf er, müde und staubig, in Shelly Hot Springs ein. Joe begrüßte ihn mit überströmender Liebenswürdigkeit. Ein nasses Handtuch um den Kopf, hatte er den ganzen Tag gearbeitet.
»Während ich in der Stadt war, um einen Mann zu finden, hatte sich ein Teil der Wäsche von der letzten Woche angehäuft«, erklärte er. »Deine Kiste ist gekommen. Sie steht in deinem Zimmer. Ein hübscher Koffer übrigens! Was hast du denn darin? Goldklumpen?«
Joe setzte sich aufs Bett, während Martin auspackte. Der Koffer war eine Packkiste, für die Bernard Higginbotham einen halben Dollar verlangt hatte. Martin hatte ihn mit zwei Handgriffen aus Seil versehen, so daß er als Koffer ging und im Gepäckwagen mitgenommen werden konnte. Joe glotzte mit großen Augen, wie Martin ein paar Hemden, etwas Unterzeug und dann Bücher und immer wieder Bücher auspackte.
»Lauter Bücher bis auf den Boden?« fragte er.
Martin nickte zustimmend und machte sich daran, die Bücher auf dem als Waschtisch dienenden Küchentisch zu ordnen.
»Du lieber Gott«, entfuhr es Joe; dann wartete er schweigend, daß die Erklärung in seinem Hirn dämmern möchte. Schließlich kam sie. »Sag' mal, du machst dir nichts aus Mädels – nicht wahr?« forschte er.
»Nein«, lautete die Antwort. »Ehe ich mich mit den Büchern abgab, war ich ziemlich hinter ihnen her. Aber jetzt habe ich keine Zeit mehr dazu.«
»Und hier gibt's auch keine Zeit. Hier gibt's nichts für dich als arbeiten und schlafen.«
Martin dachte an seine fünf Stunden Nachtschlaf und lächelte. Das Zimmer lag über der Wäscherei, in demselben Haus wie die Maschinen, die das Wasser hinaufpumpten, elektrischen Strom erzeugten und die Waschmaschinen trieben. Der Maschinist, der im Nebenzimmer wohnte, kam herein, um den neuen Mann zu begrüßen, und half Martin, eine Extraleitung über die Zimmerdecke zu legen, so daß er elektrisches Licht über dem Bett hatte.
Am nächsten Morgen um Viertel nach sechs wurde Martin geweckt, und um dreiviertel sieben gab es Frühstück. In dem Wäschereigebäude stand zufällig eine Badewanne für die Angestellten, und es machte einen starken Eindruck auf Joe, daß Martin ein kaltes Bad nahm.
»Du lieber Gott, du bist ja ein toller Kerl«, meinte Joe, als sie sich ans Frühstück machten, das in einer Ecke der Hotelküche angerichtet war.
Gemeinsam mit ihnen aßen der Maschinist, der Gärtner und sein Gehilfe sowie zwei oder drei Leute aus den Ställen des Hotels. Sie aßen schnell und mürrisch und sprachen sehr wenig miteinander, und während Martin ihnen zuhörte, wurde ihm klar, wieweit er sich über ihr Niveau erhoben hatte. Ihr Tiefstand bedrückte ihn, und er wäre am liebsten weit fort gewesen. So verschlang er denn sein schlecht zubereitetes Frühstück ebenso schnell wie die anderen und seufzte erleichtert auf, als er zur Küchentür hinaus war.
Es war eine ausgezeichnet eingerichtete kleine Dampfwäscherei, in der die modernsten Maschinen alles taten, was irgendwie durch Maschinen getan werden konnte. Nachdem er Martin Anweisungen erteilt hatte, begann Joe an der Waschmaschine zu arbeiten und bereitete einen neuen Seifenaufguß aus ätzenden Chemikalien, die ihn zwangen, Mund, Nase und Augen mit Handtüchern zu umwickeln, daß er einer Mumie glich. Als Martin das Zeug sortiert hatte, half er ihm beim Auswringen, was selbstverständlich auch mit Hilfe schnell arbeitender Maschinen geschah, und dann wandte er seine Aufmerksamkeit der Trockenmaschine zu. Am Nachmittag ließen sie Socken und Strümpfe durch die Rolle gehen, der eine schob nach, und der andere legte die Wäsche zusammen, und unterdessen wurden die Eisen warm. Dann wurde bis sechs