Gesammelte Werke. Джек ЛондонЧитать онлайн книгу.
zu fangen. Thomas Mugridge hat seine obligate Bestechung bekommen. So steigt aus der Kombüse der herrliche Duft von gebratenen fliegenden Fischen, während vorn und achtern Delphinfleisch aufgetischt wird. Johnson hat die schimmernden schönen Tiere von der Spitze des Bugspriets aus gespeert. Johnson verbringt fast die ganze Zeit dort oder hoch oben in der Saling und beobachtet die Ghost, wie sie das Wasser unter dem Druck ihrer Segel durchschneidet. Leidenschaft und Bewunderung leuchten aus seinen Augen, und in einer Art Verzückung starrt er auf die schwellenden Segel, das schäumende Kielwasser und das Heben und Senken über die nassen Berge, die majestätisch unserer Bahn folgen.
Tage und Nächte sind ein Wunder und wildes Entzücken, und obgleich meine traurige Arbeit mir nur wenig Zeit läßt, stehle ich mir doch hier und da einen Augenblick, um immer wieder auf die unendliche Pracht zu schauen, die in der Welt zu finden ich mir nicht hätte träumen lassen. Der Himmel droben ist fleckenlos blau - blau wie das Meer selbst, das unter dem Bug wie azurfarbener Atlas schimmert. Auf allen Seiten stehen am Horizont blasse Wolkenlämmer, unbeweglich, unveränderlich, wie eine Silberfassung um den makellosen Himmelstürkis.
Eine Nacht werde ich nie vergessen. Ich hätte schlafen sollen, lag jedoch auf der Back und blickte hinab auf das geisterhafte Schaumgekräusel, das der Bug der Ghost beiseite schob. Es klang wie das Rieseln eines Bächleins über bemooste Steine in einem stillen Tal, und das leise Murmeln verzauberte mich und ließ mich vergessen, daß ich Hump, der Kajütsjunge, daß ich van Weyden war, der Mann, der fünfunddreißig Jahre zwischen Büchern verträumt hatte. Aber eine Stimme hinter mir rief mich in die Wirklichkeit zurück. Es war die wohlbekannte Stimme Wolf Larsens, stark wie die unüberwindliche Sicherheit des Mannes und doch weich wie die Worte, die er sprach:
„Oh, die Tropennacht! Sie glüht,
Und das Meer von Funken sprüht
Und den Himmel kühlt.
Stetig zieht der Bug voran seine sternbesäte Bahn,
Wo der Wal, der wilde, spielt.
Zernarbt von der Sonne dein Rumpf ist, mein Schiff,
Deine Falle sind straff vor Tau.
Denn wir fahren unseren alten Kurs, unseren eigenen Kurs,
Fern von den andern.
Denn wir fahren, denn wir wandern, unsern großen Kurs,
Den südlichen Kurs in das ewige Blau."
„Na, Hump? Wie gefällt Ihnen das?" fragte er nach einer angemessenen, durch Worte und Situation bedingten Pause.
Ich sah ihm ins Gesicht. Es glühte von Licht wie das Meer selbst, und seine Augen schimmerten im Sternenschein.
„Ich bin, offen gestanden, ganz erstaunt über Ihre Begeisterung", erwiderte ich kalt.
„Ja, Mann, das ist das Leben! Das Leben selbst!" rief er.
„Das eine billige Ware ohne Wert ist", gab ich ihm mit seinen eigenen Worten zurück.
Er lachte, und es war das erstemal, daß ich eine ehrliche Lustigkeit in seiner Stimme hörte.
„Sie wollen also nicht verstehen, was Leben heißt; ich kann es Ihnen nicht in den Schädel hämmern! Natürlich ist das Leben wertlos, nur nicht für einen selber. Und ich kann Ihnen sagen, daß mein Leben jetzt gerade recht wertvoll ist - für mich. Es ist um keinen Preis zu kaufen, was Sie sicher für maßlose Überschätzung halten werden. Aber ich kann nichts dafür, denn es ist eben das Leben in mir, das den Wert bestimmt." Er schien nach Worten zu suchen, um seine Gedanken auszudrücken, und fuhr dann fort: „Wissen Sie, ich bin seltsam gehoben. Die ganze Zeit fühle ich einen Widerhall in mir, als wäre alle Macht der Welt mein. Ich erkenne die Wahrheit, ich kann göttlich Gutes von Bösem, Recht von Unrecht unterscheiden. Ich sehe weit und klar. Fast könnte ich an Gott glauben. Aber", seine Stimme veränderte sich, und das Licht erlosch auf seinem Antlitz, „was ist das für ein Zustand, in dem ich mich befinde? Diese Lebensfreude? Dieser Triumph des Lebens? Diese Inspiration, wie ich es wohl nennen darf? Das ist etwas, das kommt, wenn die Verdauung nicht gestört, wenn der Magen in Ordnung, der Appetit gut ist und der ganze Organismus richtig funktioniert. Es ist eine Bestechung des Lebens, Champagner des Blutes, das Aufwallen des Ferments - manchen gibt es heilige Gedanken ein, andere läßt es Gott sehen oder, wenn sie ihn nicht sehen, erschaffen. Das ist alles - der Rausch des Lebens, das Aufbrausen des Gärstoffes, das Murmeln des Lebens, das trunken ist von dem Bewußtsein zu leben. Und - pah! Morgen muß ich dafür zahlen, wie der Säufer zahlen muß. Morgen weiß ich, daß ich sterben muß, höchstwahrscheinlich auf dem Meere, daß ich nicht mehr selbsttätig kriechen, daß ich mich nur noch in Fäulnis bewegen werde mit den Bewegungen der See, daß ich gefressen werde, um alle Kraft und Beweglichkeit meiner Muskeln zu verwandeln in die Kraft und Beweglichkeit von Flossen, Schuppen und Eingeweiden der Fische. Pah! Schon ist der Champagner schal geworden. Das Funkeln und Prickeln ist vorbei, und es ist ein fades Gesöff."
Er verließ mich ebenso plötzlich, wie er gekommen, lautlos mit der Leichtigkeit eines Tigers. Die Ghost pflügte sich ihren Weg. Das Gurgeln am Bug tönte wie Schnarchen, und als ich darauf lauschte, da verließ mich allmählich der Eindruck, den Wolf Larsens rascher Wechsel von hoher Begeisterung zu tiefer Verzweiflung auf mich gemacht hatte. Dann erklang mittschiffs der kräftige Tenor eines Matrosen, der das „Lied des Passats" sang:
Ich bin der Wind, den der Seemann liebt -
Ich bin die Stärke und Treue,
Er folgt meiner Spur in den Wolken hoch,
Über die unergründliche Bläue.
Durch Licht und Dunkel folg ich der Spur
Des Schiffes wie ein Hund.
Morgens und mittags und mitternachts
Blas ich die Segel ihm rund.
Manchmal glaube ich, daß Wolf Larsen verrückt oder doch wenigstens nicht ganz richtig ist wegen seiner seltsamen Launen und Grillen. Dann wieder halte ich ihn für einen großen Menschen, für ein Genie, das sein Ziel verfehlt hat. Und schließlich bin ich überzeugt, daß er der Urtyp des primitiven Menschen ist, Jahrtausende zu spät geboren. Sicherlich ist er ein ausgesprochener Ideenmensch. Und dazu ist er sehr einsam.
Seine gewaltige Männlichkeit und Geisteskraft verleihen ihm eine Sonderstellung. Es besteht keine geistige Gemeinschaft zwischen ihm und den anderen Männern an Bord. Um einen seiner Hinfalle zu zeigen, will ich erzählen, was Thomas Mugridge in der Kajüte zustieß. Ich vervollständige damit gleichzeitig den Bericht über die Angelegenheit, die ich schon zweimal berührt habe. Eines Tages, gleich nach dem Essen, als ich eben mit dem Abwaschen fertig war, kamen Wolf Larsen und Thomas Mugridge die Treppe herunter. Sonst wagte sich der Koch nicht in die Kajüte. War er dazu gezwungen, um zu seiner Koje zu gelangen, so flitzte er wie ein furchtsames Gespenst hindurch.
„So, du kannst also, Nap' spielen!" sagte Wolf Larsen vergnügt. „Ich hätte mir denken können, daß ein Engländer das Spiel kennt. Ich hab es selbst auf englischen Schiffen gelernt."
Thomas Mugridge war außer sich vor Freude, daß er sich an einen Tisch mit dem Kapitän setzen durfte. Sein Dünkel und seine peinlichen Anstrengungen, sich die ungezwungene Haltung eines Mannes zu geben, der von Geburt für einen würdigen Platz im Leben ausersehen ist, würden ekelerregend gewesen sein, hätten sie nicht so lächerlich gewirkt. Meine Gegenwart ignorierte er völlig, wobei ich ihm jedoch zugute halten will, daß er einfach nicht imstande war, mich zu sehen. Seine blassen, wäßrigen Augen schwammen in Verzückung, wenn mir auch unerfindlich war, was für selige Visionen er haben mochte.
„Hol die Karten, Hump!" befahl Wolf Larsen, als sie am Tisch Platz nahmen. „Und bring Zigarren und Whiskey aus meiner Koje."
Als