Gesammelte Werke. Джек ЛондонЧитать онлайн книгу.
Nächte hatten mich zweifellos wirr gemacht. Ich blickte auf Maud, um mich von der Wirklichkeit von Zeit und Raum zu überzeugen. Der Anblick ihrer lieben, feuchten Wangen, ihres fliegenden Haares und ihrer tapferen braunen Augen bewies mir, daß meine Augen gesund waren. Wieder wandte ich den Blick leewärts, und wieder sah ich den vorspringenden Felsen, schwarz, hoch und nackt, die rasende Brandung, die sich an seinem Fuße brach und ihren Gischt hoch hinaufschleuderte, und die schwarze, unheilverkündende Küstenlinie, die, von einem mächtigen Gürtel umgeben, nach Südwesten lief.
„Maud", rief ich, „Maud!"
Sie wandte den Kopf und schaute. „Es kann doch nicht Alaska sein!" stieß sie hervor.
„Leider nein", antwortete ich und fragte: „Können Sie schwimmen?"
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich auch nicht", sagte ich. „Dann müssen wir eben an Land, ohne zu schwimmen. Es muß ja irgendwo eine Lücke zwischen den Klippen sein, durch die wir mit dem Boot hineinkönnen. Aber es gilt, schnell zu sein, sehr schnell - und aufzupassen."
Ich sprach mit einer Zuversicht, die ich, wie sie wohl wußte, nicht besaß, denn sie sah mich mit ihrem ruhigen Blick an und sagte: „Ich habe Ihnen noch nicht gedankt für all das, was Sie für mich getan haben, aber..."
Sie zögerte, als wäre sie im Zweifel, wie sie ihre Dankbarkeit am besten in Worte kleiden sollte.
„Nun?" sagte ich hart, denn es war mir nicht recht, daß sie mir danken wollte.
„Sie können mir gern ein wenig helfen", lächelte sie.
„Ihre Verpflichtungen anzuerkennen, ehe Sie sterben? Sicher nicht. Wir werden nicht sterben. Wir werden auf dieser Insel landen und es warm und gemütlich haben, ehe der Tag vergeht."
Ich sprach fest, glaubte aber selbst kein Wort davon. Aber es war nicht die Furcht, die mich lügen ließ. Ich fühlte keine Furcht, obgleich ich sicher war, den Tod in der kochenden Brandung zwischen diesen Felsen zu finden, denen wir uns rasch näherten. Es war unmöglich, Segel zu setzen und von der Küste abzukommen. Der Wind hätte das Boot sofort zum Kentern gebracht, es würde vollgeschlagen sein, sobald wir in ein Wellental gesunken wären, - zudem schwamm das Segel, an die Reserveriemen gezurrt, als Seeanker vor uns.
Instinktiv rückten wir auf dem Boden des Bootes enger zusammen. Ich fühlte, wie sich ihre Hand nach der meinen ausstreckte. Und so erwarteten wir wortlos das Ende. Wir waren nicht weit von der Linie, die der Wind mit der westlichen Ecke des Vorgebirges bildete, und ich beobachtete sie in der Hoffnung, daß irgendeine Strömung uns packen und vorbeiführen sollte, ehe wir die Brandung erreichten.
„Wir werden schon klarkommen", sagte ich mit einer Zuversicht, die aber weder mich noch sie täuschte.
„Bei Gott, wir kommen klar!" rief ich fünf Minuten später. Ich hatte hinter dem Vorgebirge eine Landzunge gesichtet, und als wir weit genug waren, konnten wir deutlich die Umrisse einer Bucht sehen, die tief ins Land hineinschnitt. Gleichzeitig hörten wir ein andauerndes, ohrenbetäubendes Gebrüll. Es glich fernem Donner und kam aus Lee, übertönte das Brausen der Brandung und fuhr dem Sturm geradewegs in die Zähne.
Als wir auf der Höhe des Vorgebirges waren, kam die ganze Bucht zum Vorschein - eine halbmondförmige, weißsandige Küste, an der sich die Brandung brach und die mit Myriaden von Seehunden bedeckt war. Sie waren die Urheber des Gebrülls.
„Eine Robbenkolonie!" rief ich. „Jetzt sind wir wirklich gerettet. Hier muß es Menschen geben und Kreuzer, die die Robben vor den Jägern schützen. Wahrscheinlich ist hier sogar eine Station." Als ich aber die gegen die Küste schlagende Brandung beobachtete, sagte ich: „Schön ist das nicht gerade. Aber wenn die Götter uns freundlich sind, werden wir die Landzunge entlangtreiben und an eine Stelle kommen, wo wir trockenen Fußes das Land erreichen können."
Und die Götter waren uns freundlich. Die beiden ersten Landzungen liefen genau in der Windrichtung, als wir aber die zweite umfahren hatten - und wir kamen ihr gefährlich nahe -, erblickten wir eine dritte, die parallel zu ihnen lief. Und dazwischen lag die Bucht! Sie schnitt tief ins Land ein, und die jetzt einsetzende Flut trieb uns hinter die Landzunge. Hier war die See ruhig, außer einer schweren, aber sanften Grunddünung; ich holte den Seeanker ein und begann zu rudern. Von der Spitze aus wandte sich das Gestade in einer Kurve nach Südwesten, bis sich zuletzt eine Bucht in der Bucht zeigte, ein kleiner, vom Land umschlossener Hafen, dessen Oberfläche wie ein Teich war und nur leicht gekräuselt wurde, wenn sich ein Hauch des Sturmes hereinverirrte und zurückprallte von den dräuenden Felswänden, die etwa dreißig Meter landeinwärts lagen.
Hier waren keine Robben. Der Bootssteven scheuerte gegen das harte Geröll. Ich sprang heraus und reichte Maud die Hand. Im nächsten Augenblick stand sie neben mir. Als meine Hand sie losließ, faßte sie hastig meinen Arm. Da wankte ich selbst und wäre fast in den Sand gestürzt. Es war die überraschende Wirkung des Umstandes, daß alle Bewegung aufgehört hatte. Wir waren so lange auf dem wogenden Meere gewesen, daß das feste Land eine Erschütterung für uns bedeutete. Wir erwarteten, die Küste auf und nieder schwanken, die Felswände sich wie Schiffsseiten hin und her schwingen zu sehen, und als wir uns automatisch anschickten, diesen erwarteten Bewegungen zu widerstehen, brachte uns ihr Nichteintreffen aus dem Gleichgewicht.
„Ich muß mich wirklich setzen", sagte Maud mit nervösem Lachen und einer schwindligen Bewegung, und dann setzte sie sich in den Sand.
Ich machte das Boot fest und setzte mich dann neben sie. So landeten wir auf Endeavor Island an, „landkrank" durch unseren langen Aufenthalt auf dem Meere.
Zehntes Kapitel
„Narr!" rief ich vor lauter Ärger. Ich hatte das Boot ausgeladen, seinen Inhalt hoch auf den Strand geschleppt und war nun dabei, ein Feldlager aufzuschlagen. Am Strande gab es ein wenig Treibholz, und der Anblick einer Dose Kaffee, die ich aus der Speisekammer der Ghost mitgenommen, hatte mich an Feuer denken lassen.
„Esel! "fuhr ich fort.
Aber Maud sagte mit sanftem Vorwurf: „Scht, scht", und dann fragte sie, warum ich ein Esel sei.
„Wir haben keine Streichhölzer", stöhnte ich. „Nicht ein Streichholz habe ich mitgebracht. Und nun gibt es weder heißen Kaffee noch Suppe, Tee oder sonstwas."
„War es nicht - hm - Robinson Crusoe, der zwei Hölzer gegeneinander rieb?" meinte sie bedächtig.
„Aber ich habe Dutzende von Berichten Schiffbrüchiger gelesen, die es vergebens versuchten", antwortete ich. „Ich erinnere mich an Winters, einen Journalisten, der bekannt wurde durch seine Schilderungen aus Alaska und Sibirien. Ich traf ihn einmal in Bibelot, und er erzählte mir, wie er versucht hatte, mit ein paar Hölzern Feuer zu machen. Es war sehr lustig, denn er erzählte glänzend, aber der Versuch mißglückte. Ich entsinne mich namentlich des Schlusses:, Meine Herren, die Südseeinsulaner können es vielleicht, die Malaien mögen es tun, aber Sie können mir glauben: für einen Weißen ist es unmöglich!'"
„Na gut", sagte Maud fröhlich, „wir sind so lange ohne Feuer ausgekommen, daß ich nicht einsehe, warum wir es nicht noch länger könnten."
„Aber denken Sie an den Kaffee!" rief ich. „Und es ist sogar guter Kaffee. Ich habe ihn Wolf Larsens Privatproviant entnommen. Und sehen Sie all das schöne Holz!"
Ich gestehe, daß mir eine Tasse Kaffee sehr not tat, und später sollte ich erfahren, daß Maud auch eine kleine Schwäche für dieses Getränk hatte. Außerdem hatten wir uns so lange mit kalter Kost begnügen müssen, daß wir innerlich wie äußerlich ganz erstarrt waren. Etwas Warmes wäre uns höchst willkommen gewesen.
Aber Jammern half nichts, und so begann ich, aus dem Segel ein Zelt für Maud zu machen. Ich hatte es für eine Kleinigkeit gehalten, da ich Riemen, Mast, Baum, Bugspriet und eine Menge Leinen hatte. Da ich aber nicht die geringste Erfahrung besaß und jede Einzelheit erst ausprobieren