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Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis WillibaldЧитать онлайн книгу.

Morde am Fließband: Kriminalgeschichten - Alexis Willibald


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jener, betrunken, der Miltenberg den Halsschmuck, den er ihr geschenkt hatte, entreißen wollte. Gesina übte seitdem die Vorsicht, nie einen öffentlichen Tanz zu besuchen.

      Kassow hatte sich bei den alten Timms einzunisten gewußt, er ward ein Hausfreund, brachte dann und wann auch dorthin eine Flasche Wein und lieh ihnen Geld, mit dem sie die Schulden ihres ausschweifenden Sohnes bezahlten. Wohl hob die alte Timm drohend den Finger: »Hör’ mal, Miltenbergin, das geht nicht mit der Freundschaft von Kassow!« Aber es geschah nur in freundlicher Art, gewissermaßen in der Erwartung, daß die Tochter sie beruhige, und ohne den geringsten Argwohn, daß es bereits zum ärgsten gekommen sei. Die Eltern hielten nach wie vor ihre Tochter für ein Musterbild von Tugend und fingen nun auch an, sie zu beklagen und ihr ihr volles Mitleid zu schenken, als jene es jetzt für dienlich zu ihren Plänen hielt, ihren Mann aufs schlimmste zu verleumden.

      Daß er arbeitsscheu war und seine Vermögenszustände verfielen, war ihnen bekannt. Auch seine Saufereien, seine Spiele und seine Liederlichkeit waren nur zu sehr stadtkundig; aber sie log auch, daß er sie aufs grausamste mißhandle, wenn sie nicht stets für die feinste Tafel sorge, und er lasse es ihr doch stets am nötigen Gelde dazu fehlen. Um seiner Brutalität zu entfliehen, habe sie einmal eine ganze Nacht in einem Kutschkasten zubringen müssen. Kurz, sie müsse namenlos leiden; aber sie sei fest entschlossen, still und gelassen alles zu dulden, und beschwor ihre Eltern, ebenfalls zu schweigen.

      So erschien die Ehebrecherin und Betrügerin als eine Märtyrerin und Heilige. Das angeregte Mitleid trug reiche Früchte. Eltern und Liebhaber beschenkten sie, und während sie selbst Wirtschaftsstücke heimlich verkaufte, klagte sie noch ihren Mann deshalb an. Und dieser selbe Mann, so lasterhaft sonst sein Leben sein mochte, war ihr gegenüber gerade um jene Zeit der liebevollste, gefälligste Gatte.

      Gesina brauchte allerdings Geld, da die Vermögensumstände ihres Mannes immer verworrener wurden; sie brauchte das Geld zum Putz und zur Befriedigung ihrer eitlen Wünsche, aber schon jetzt fing auch ihre Großzügigkeit im Geschenkemachen und Wohltun an. Ihre Dienstboten kannten keine leutseligere, freigebigere Herrin. So gab sie sich, um sich Freunde und einen guten Ruf zu verschaffen; vielleicht aber auch zur Beschwichtigung ihres Gewissens. Später wurde dies ein bewußtes Prinzip.

      Im Jahre 1810 genas sie nach einer dritten Niederkunft so leicht wie früher eines wohlgebildeten Knaben, der den Namen Heinrich erhielt. Man flüsterte, daß Kassow sein Vater sei.

      Gesina blühte wieder und – brauchte wiederum Geld. Von der Verleumdung zur Beraubung ihres Mannes war nur ein Schritt. Sie ließ unter einem Vorwande durch den Schlosser das Pult desselben öffnen, entwendete zehn Taler, und die nicht entdeckte Tat lockte zur Wiederholung, Miltenbergs Kasse war nur klein, Ihr Mieter Th… mußte viel Geld haben. Bei dem Versuch mit einem kleinen Schlüssel öffnete sich sein Pult, und sie hielt zu ihrem eigenen Schrecken einen Beutel mit neunzig Talern in den Händen. Das schien der Anfängerin im Diebstahl zu viel; sie hätte wohl die Hälfte zurückgetan, fürchtete aber, der Schlüssel möchte brechen. Bei der der Entdeckung folgenden allgemeinen Aufregung bewährte sie ihre Meisterschaft in der Verstellungskunst.

      Sie brauchte immer neues Geld. Jetzt lieh sie im Jahre 1812 von einem Bekannten eine Summe, vorgeblich um ihren armen Bruder in der Fremde zu unterstützen. Es ward vergeudet, und als es wiedergezahlt werden sollte, mußte der Mann dafür aufkommen, der ihr verzieh. Sie bog sich einen Dietrich zurecht, erbrach das Pult ihres eigenen Geliebten Gottfried und nahm daraus etliche zwanzig Taler. Gottfried geriet in Feuer und Flammen; die Miltenberg aber war am aufgebrachtesten, sie wollte nicht ruhen, bis der schändliche Dieb entdeckt wäre, und ließ gegen einen Lehrling und eine Wärterin Verdacht fallen. Die Untersuchung, bei der sich beide Angeschuldigte heftige Vorwürfe machten, gab zu öffentlichen Auftritten Anlaß, welche für die Verbrechcrin nicht schmeichelhaft waren, und wobei ihr Verhältnis zu Kassow zur Sprache kam. Es gereichte ihr zur neuen Warnung, auch in ihren Liebeshändeln noch vorsichtiger zu sein.

      Im Oktober 1812 hatte sie ein Kind geboren, welches bald darauf starb; im Januar 1814 kam wieder eine Tochter zur Welt, deren Züge, je mehr sie sich ausprägten, Gottfried als Vater zu bezeichnen schienen.

      Inzwischen hatte sich, nachdem Kassow sich mehr und mehr zurückgezogen hatte, die Leidenschaft für Gottfried zu wilder Gier gesteigert. Miltenberg, infolge seiner Ausschweifungen mit einem neuen Schaden behaftet, wankte als ein siecher Schatten umher. Um seinen hinkenden Gang zu rechtfertigen, hatte man ausgesprengt, es sei ihm ein schwerer Kutschkasten auf den Leib gefallen. Dieser elende Mann war das einzige Hindernis zu dem heißersehnten Glück, das die Phantasie seiner Frau im Besitze Gottfrieds erblickte. Die Miltenberg fing an, ihren Ehemann zu hassen. Er ward bei den Eltern aufs neue verklagt und verleumdet. Unter verschämten Tränen vertraute sie ihnen die Schande und gab zu erkennen, daß es auf Erden kein zweites so unglückliches Geschöpf wie sie gäbe. Die tiefgerührten Eltern sahen ihre Tochter bereits mit zerrütteter Gesundheit am Bettelstabe; sie klagten sich als die Stifter dieser Ehe, also als Urheber des namenlosen Unglücks an. Sie verhehlten nicht, daß sein Tod für ihn selbst wie für die Seinigen das wünschenswerteste Ereignis sei. Aber der alte Timm fühlte sich auch gedrungen, alles mögliche zu tun, dem Übel abzuhelfen. Er drang darauf, daß seine Tochter eine vom Manne abgesonderte Schlafstelle einnahm; er sann darüber nach, wie es zu verhindern wäre, daß Miltenberg neue Schulden mache und auf sein Haus eintragen lasse. Miltenberg ließ sich in seiner physischen und moralischen Schwäche alles gefallen, und schon sollte deshalb mit dem alten Miltenberg eine Vereinbarung getroffen werden, als dieser am 2. Januar 1813 plötzlich starb.

      Es war ein natürlicher Tod: aber Gesina lernte am Sterbebett des Alten zuerst den Tod kennen. Sie ging im Dunkeln zur Leiche hinauf, drückte ihr die Hand, daß alle sich verwunderten, und hatte nicht die mindeste Furcht vor ihr. Dagegen sah sie in ihrem Manne, der sich, den Stachel seines unseligen Lebens im Herzen, die Bürgschaft des Todes in Mark und Beinen, in düsterer Melancholie mit seinenm Dasein quälte, eine wandelnde Leiche. Nur zuweilen erleichterte ein Strom heißgeweinter Tränen seine Brust. Der Wahn, daß sein Leben zu nichts nütze sei als zu seiner eigenen Qual, und daß es eine Wohltat für ihn selbst werde, wenn er davon befreit würde, ward durch eine eigene Äußerung Miltenbergs bestärkt. Als man von einem unheilbaren Anverwandten sprach, sagte er: »Was sind das für Ärzte, daß sie ihm nicht ein wenig nachhelfen. Ihm ist ja doch mit seinem Leben nicht gedient.«

      Eine Wahrsagerin hatte seiner Frau um diese Zeit die Verheißung gegeben, ihre ganze Familie werde aussterben und sie allein übrigbleiben, um dann sehr gut leben zu können. Nun faßte der Glaube an die Notwendigkeit, daß ihr Mann sterben müsse, immer fester in ihr Wurzel. Sie wünschte seinen Tod und war entschlossen, nachzuhelfen.

      Da fiel ihr ein, daß ihre Mutter früher wohl zur Vertilgung der Ratten und Mäuse Gift gelegt hatte, und daß auch wohl Menschen daran sterben möchten.

      Der Gedanke durchzuckte sie so angenehm, wie wenn man ein Rätsel löst; es war dieselbe befreiende Empfindung, die sie bei der Öffnung der verschiedenen Kassen gehabt hatte. Gift sollte ihr zu ihrem Glück helfen, und der erste Gedanke wurde Entschluß.

      Sie klagte ihrer Mutter Ende Juli, daß sie in ihrer Bettkammer oben Mäuse hätte: ob sie wohl Rat dafür wüßte? Die Mutter brachte kleine Stücke Schwarzbrot, auf die Arsenik gestreut war, und legte sie oben in die Kammer. »Sei vorsichtig um Gottes willen, daß keins von den Kindern hinauf geht, ‘ist Gift.« Einige Tage nachher ging Gesina hinauf, kratzte das Gift mit einem Messer von den Butterbroten, doch so, als hätten es die Mäuse abgefressen, und nahm es mit hinunter, um es Miltenberg zu geben. Aber »sie kann nicht dazu kommen, wird ängstlich« und legt das Gift in Papier gewickelt in ihre Kommode. Die Mutter will einige Tage später hinaufgehen und nachsehen, ob die Mäuse dagewesen sind. Schnell erwidert die Tochter: »Sie haben alles aufgefressen«, und bittet sie, noch etwas zu bringen, was auch geschieht.

      Mehrere Wochen noch kämpfte sie mit sich selbst. »Endlich an einem Morgen fasse ich den schrecklichen Entschluß und gebe meinem Mann auf seinem Frühstück etwas davon ….« Miltenberg ging darauf hinaus. Sie geht hinauf und tritt ans Fenster und denkt: »Wenn er nun mal unterwegs stirbt, und sie bringen dir ihn tot zurück!«

      Miltenberg kam blaß nach Hause, ging zu Bett, stand zwar am nächsten Tage wieder auf, mußte


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