Parerga und Paralipomena. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
ihm keine gleiche Behandlung erfahren. Während nämlich in seinem mit Papier durchschossenen Exemplare die neu hinzugeschriebenen Stellen fertig ausgearbeitet, ja sogar gebessert und gefeilt sind, so sind die citirten Manuscriptstellen nur mit Verweisung auf den Band und die Seite, wo sie zu finden, citirt, nicht ausgezogen; ferner, während erstere meist genau mit Zeichen für die Stellen im Texte, wo sie einzufügen, versehen sind – nur eine geringe Anzahl derselben ist unbezeichnet geblieben, oder nur durch ein hinzugefügtes alicubi oder Irgendwo als einzufügend zu erkennen gegeben —; so sind umgekehrt die letztern meist unbezeichnet gelassen, sind nur im Allgemeinen zu dem Kapitel, zu dem Paragraphen oder zu der Seite, wozu sie gehören, citirt, und nur äußerst wenige sind an den Ort gesetzt, wo sie einzufügen.
Es geht hieraus hervor, daß Schopenhauer die von ihm für diese zweite Auflage bestimmten Zusätze nur zum Theil, wenn auch zum größern Theil, selbst redigirt, zum Theil hingegen unredigirt hinterlassen hat.
Ich bin nun bei der Redaction dieses letztern Theiles im Allgemeinen so verfahren, daß ich die Zusätze, mochten es fertig hinzugeschriebene, oder aus den Manuscripten citirte sein, nur dann in den Text aufgenommen habe, wenn ich nach reiflicher Erwägung einen Ort für sie fand, wo sie nicht bloß ihrem Inhalt, sondern auch der Form, d. i. der Diction nach, ungezwungen hineinpaßten; in allen andern Fällen hingegen, wo entweder die strenge Gedankenfolge, oder der wohlgefügte Satzbau des Textes ihre Aufnahme in denselben nicht zuließ, habe ich sie an der geeignetsten Stelle entweder als Anmerkungen unter, oder als Anhänge hinter den Text gesetzt.
Zu diesem Verfahren hat mich folgende Erwägung bestimmt. Schopenhauer’s Absicht war es offenbar, alles Zusammengehörige an einer Stelle beisammen zu haben. Eine völlige Aussonderung und abgesonderte Zusammenstellung seiner zu dieser Auflage gemachten Zusätze, die freilich dem Leser einen sofortigen Ueberblick über dieselben gewährt hätte, wäre seiner Intention zuwider gewesen. Hat er doch den größten Theil derselben, die fertig hingeschriebenen Stellen, schon selbst redigirt und an den Ort gebracht, wo sie hingehören. Also mußte auch mit dem andern Theile, mit den unbezeichnet gelassenen Zusätzen und citirten Manuscriptstellen eben so verfahren werden. Nun würde Schopenhauer selbst, wenn er diese Auflage noch hätte besorgen können, gewiß denselben freien Gebrauch von ihnen gemacht haben, wie bei den von ihm selbst besorgten neuen Auflagen seiner andern Werke. Er würde nämlich, wo es ging, und so wie es am besten ging, sie in den Text hinein verarbeitet, sonst aber sie weggelassen haben. So hat er es nämlich, wie ich mich aus seinen mit Papier durchschossenen Exemplaren überzeugt habe, damit gehalten. Mir hingegen, der ich nicht Bearbeiter, sondern nur Herausgeber und Redakteur des von ihm hinterlassenen Stoffes bin, stand ein solches freies Verfahren nicht zu. Ich durfte mir weder Aenderungen, noch eine Auswahl aus den von ihm unredigirt gebliebenen Zusätzen erlauben. Andererseits war ich aber auch nicht befugt, dieselben, so wie ich sie vorfand, in den Text aufzunehmen, ohne zu prüfen, ob sie nach Inhalt und Form in denselben hineinpaßen. Ich mußte also so mit ihnen verfahren, wie ich verfahren bin, und ich bin überzeugt, daß jeder andere Herausgeber, wenn er sachgemäß und der Absicht Schopenhauer’s gemäß hätte verfahren wollen, ganz eben so, wie ich, hätte verfahren müssen. —
Wie zahlreich die von Schopenhauer zu dieser Auflage gemachten Zusätze sind, geht daraus hervor, daß dieselbe bei gleichem Druck und Format, wie die erste, diese um 15 Bogen übersteigt. Schopenhauer hat, wie überall, auch hier con amore gearbeitet, hat Alles, was seinem Werke noch zur Bereicherung, Berichtigung, Ergänzung und Vollendung dienen konnte, nachgetragen und hat daran während des ganzen Zeitraums seit dem Erscheinen der ersten Auflage 1851 bis nahe zu seinem Tode gearbeitet, wie schon an der verschiedenen, bald verblaßteren, bald frischeren Farbe der Tinte, womit er geschrieben, sodann aber auch aus verschiedenen Anspielungen auf zeitliche Vorgänge im litterarischen, politischen und socialen Gebiet, die häufig eingewebt sind, zu erkennen ist. Schopenhauer liebte es nämlich, so oft sich ihm Gelegenheit dazu darbot, auf die charakteristischen Personen und Zustände der Gegenwart oder der spöttisch von ihm sogenannten Jetztzeit Bezug zu nehmen, sie von seinem Standpunkt aus zu beleuchten und mit seinem sarkastischen Witze zu geißeln, wobei er immer originell erscheint und oft auch reinigend auf die geistige Atmosphäre wirkt. Diese satirische Ader macht stellenweise diese neue Auflage der Parerga zu einer höchst pikanten Lectüre.
Schließlich bemerke ich noch, daß die dieser Auflage von mir beigegebenen, theils zur Erläuterung dienenden, theils einige Schopenhauer’sche Citate vervollständigenden Anmerkungen als von mir herrührende durch die Unterschrift bezeichnet sind.
Berlin, im November 1861.
Julius Frauenstädt.
Vorwort des Herausgebers zur dritten Auflage.
Inhaltsverzeichnis
Die vorliegende dritte Auflage der Parerga und Paralipomena ist ein berichtigter Wiederabdruck der zweiten Auflage. Denn da diese bereits die von Schopenhauer in seinem mit Papier durchschossenen Exemplare hinterlassenen Verbesserungen und Zusätze enthielt; so blieb mir für diese dritte Auflage nur noch übrig, sie von einigen Satz-und Druckfehlern, die in der zweiten stehen geblieben waren, zu reinigen.
Berlin, im October 1873.
Julius Frauenstädt.
Skitze einer Geschichte
der
Lehre vom Idealen und Realen
Plurimi pertransibunt, et multiplex erit scientia.
Dan. 12, 4.
Skitze einer Geschichte der Lehre vom Idealen und Realen
Inhaltsverzeichnis
Kartesius gilt mit Recht für den Vater der neuern Philosophie, zunächst und im Allgemeinen, weil er die Vernunft angeleitet hat, auf eigenen Beinen zu stehn, indem er die Menschen lehrte, ihren eigenen Kopf zu gebrauchen, für welchen bis dahin die Bibel einerseits und der Aristoteles andrerseits funktionirten; im besondern aber und engern Sinne, weil er zuerst sich das Problem zum Bewußtseyn gebracht hat, um welches seitdem alles Philosophiren sich hauptsächlich dreht: das Problem vom Idealen und Realen, d. h. die Frage, was in unserer Erkenntniß objektiv und was darin subjektiv sei, also was darin etwanigen, von uns verschiedenen Dingen, und was uns selber zuzuschreiben sei. – In unserm Kopfe nämlich entstehen, nicht auf innern, – etwan von der Willkür, oder dem Gedankenzusammenhange ausgehenden, – folglich auf äußern Anlaß, Bilder. Diese Bilder allein sind das uns unmittelbar Bekannte, das Gegebene. Welches Verhältniß mögen sie haben zu Dingen, die völlig gesondert und unabhängig von uns existirten und irgendwie Ursache dieser Bilder würden? Haben wir Gewißheit, daß überhaupt solche Dinge nur dasind? und geben, in diesem Fall, die Bilder uns auch über deren Beschaffenheit Aufschluß? – Dies ist das Problem, und in Folge desselben ist, seit 200 Jahren, das Hauptbestreben der Philosophen, das Ideale, d. h. Das, was unserer Erkenntniß allein und als solcher angehört, von dem Realen, d. h. dem unabhängig von ihr Vorhandenen, rein zu sondern, durch einen in der rechten Linie wohlgeführten Schnitt, und so das Verhältniß Beider zu einander festzustellen.
Wirklich scheinen weder die Philosophen des Alterthums, noch auch die Scholastiker, zu einem deutlichen Bewußtseyn dieses philosophischen Urproblems gekommen zu seyn; wiewohl sich eine Spur davon, als Idealismus, ja auch als Lehre von der Idealität der Zeit, im Plotinos findet, und zwar Enneas III, lib. 7. c. 10, woselbst er lehrt, die Seele habe die Welt gemacht, indem sie aus der Ewigkeit in die Zeit getreten sei. Da heißt es z. B. ου γαρ τις αυτου τουτου του παντος τοπος, η φυχη. (neque datur alius hujus universi locus, quam anima.) wie auch: δει δε ουκ εξωθεν της φυχης λαμβανειν τον χρονον, ωσπερ ουδε τον αιωνα εκελ εξω του οντος. (oportet autem nequaquam extra animam tempus accipere, quemadmodum neque aeternitatem ibi extra id, quod ens appellatur.); womit eigentlich