Parerga und Paralipomena. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
φυχη αυτον μετα τουδε του παντος εγεννησεν (haec vita nostra tempus gignit: quamobrem dictum est, tempus simul cum hoc universo factum esse: quia anima tempus una cum hoc universo progenuit). Dennoch bleibt das deutlich erkannte und deutlich ausgesprochene Problem das charakteristische Thema der neuern Philosophie, nachdem die hiezu nöthige Besonnenheit im Kartesius zuerst erwacht war, als welcher ergriffen wurde von der Wahrheit, daß wir zunächst auf unser eigenes Bewußtseyn beschränkt sind und die Welt uns allein als Vorstellung gegeben ist: durch sein bekanntes dubito, cogito, ergo sum wollte er das allein Gewisse des subjektiven Bewußtseyns, im Gegensatz des Problematischen alles Uebrigen, hervorheben und die große Wahrheit aussprechen, daß das Einzige wirklich und unbedingt Gegebene das Selbstbewußtseyn ist. Genau betrachtet ist sein berühmter Satz das Aequivalent dessen, von welchem ich ausgegangen bin: die Welt ist meine Vorstellung. Der alleinige Unterschied ist, daß der seinige die Unmittelbarkeit des Subjekts, der meinige die Mittelbarkeit des Objekts hervorhebt. Beide Sätze drücken das Selbe von zwei Seiten aus, sind Kehrseiten von einander, stehn also in dem selben Verhältniß, wie das Gesetz der Trägheit und das der Kausalität, gemäß meiner Darlegung in der Vorrede zur Ethik. (Die beiden Grundprobleme der Ethik, behandelt in zwei akademischen Preisschriften von Dr. Arthur Schopenhauer. Frankfurt am Main 1841, Seite XXIV. – Zweite Auflage, Leipzig 1860, Seite XXIV.) Allerdings hat man seitdem seinen Satz unzählige Mal nachgesprochen, im bloßen Gefühl seiner Wichtigkeit, und ohne vom eigentlichen Sinn und Zweck desselben ein deutliches Verständniß zu haben. (Siehe Cartes. Meditationes. Med. II. p. 14.) Er also deckte die Kluft auf, welche zwischen dem Subjektiven, oder Idealen, und dem Objektiven, oder Realen, liegt. Diese Einsicht kleidete er ein in den Zweifel an der Existenz der Außenwelt: allein durch seinen dürftigen Ausweg aus diesem, – daß nämlich der liebe Gott uns doch wohl nicht betrügen werde, – zeigte er, wie tief und schwer zu lösen das Problem sei. Inzwischen war durch ihn dieser Skrupel in die Philosophie gekommen und mußte fortfahren beunruhigend zu wirken, bis zu seiner gründlichen Erledigung. Das Bewußtseyn, daß ohne gründliche Kenntniß und Aufklärung des dargelegten Unterschiedes kein sicheres und genügendes System möglich sei, war von Dem an vorhanden, und die Frage konnte nicht mehr abgewiesen werden.
Sie zu erledigen, erdachte zunächst Malebranche das System der gelegentlichen Ursachen. Er faßte das Problem selbst in seinem ganzen Umfange, deutlicher, ernstlicher, tiefer auf, als Kartesius. (Recherches de la vérité, livre III, seconde partie.) Dieser hatte die Realität der Aussenwelt auf den Kredit Gottes angenommen; wobei es sich freilich wunderlich ausnimmt, daß, während die andern theistischen Philosophen aus der Existenz der Welt die Existenz Gottes zu erweisen bemüht sind, Kartesius umgekehrt erst aus der Existenz und Wahrhaftigkeit Gottes die Existenz der Welt beweist: es ist der umgekehrte kosmologische Beweis. Auch hierin einen Schritt weiter gehend, lehrt Malebranche, daß wir alle Dinge unmittelbar in Gott selbst sehn. Dies heißt freilich ein Unbekanntes durch ein noch Unbekannteres erklären. Ueberdies sehn wir, nach ihm, nicht nur alle Dinge in Gott; sondern dieser ist auch das allein Wirkende in denselben, so daß die physischen Ursachen es bloß scheinbar, blosse causes occasionnelles sind. (Rech. d. l. vér., liv. VI, seconde partie, ch. 3.) So haben wir denn schon hier im Wesentlichen den Pantheismus des Spinoza, der mehr von Malebranche, als von Kartesius gelernt zu haben scheint.
Ueberhaupt könnte man sich wundern, daß nicht schon im 17. Jahrhundert der Pantheismus einen vollständigen Sieg über den Theismus davon getragen hat, da die originellsten, schönsten und gründlichsten Europäischen Darstellungen desselben (denn gegen die Upanischaden der Veden gehalten ist freilich das Alles nichts) sämmtlich in jenem Zeitraum ans Licht traten: nämlich durch Bruno, Malebranche, Spinoza und Skotus Erigena, welcher Letztere, nachdem er viele Jahrhunderte hindurch vergessen und verloren gewesen war, zu Oxford wiedergefunden wurde und 1681, also 4 Jahre nach Spinoza’s Tode, zum ersten Male gedruckt an’s Licht trat. Dies scheint zu beweisen, daß die Einsicht Einzelner sich nicht geltend machen kann, so lange der Geist der Zeit nicht reif ist, sie aufzunehmen, wie denn gegentheils in unsern Tagen der Pantheismus, obzwar nur in der eklektischen und konfusen Schellingischen Auffrischung dargelegt, zur herrschenden Denkungsart der Gelehrten und selbst der Gebildeten geworden ist; weil nämlich Kant mit der Besiegung des theistischen Dogmatismus vorangegangen war und ihm Platz gemacht hatte, wodurch der Geist der Zeit auf ihn vorbereitet war, wie ein gepflügtes Feld auf die Saat. Im 17. Jahrhundert hingegen verließ die Philosophie wieder jenen Weg und gelangte danach einerseits zu Locke, dem Vako und Hobbes vorgearbeitet hatten, und andererseits, durch Leibnitz, zu Christian Wolf; diese Beiden herrschten sodann, im 18. Jahrhundert, vorzüglich in Deutschland, wenn gleich zuletzt nur noch sofern sie in den synkretistischen Eklektismus aufgenommen worden waren.
Des Malebranche tiefsinnige Gedanken aber haben den nächsten Anlaß gegeben zu Leibnitzens System der harmonia praestabilita, dessen zu seiner Zeit ausgebreiteter Ruhm und hohes Ansehn einen Beleg dazu giebt, daß das Absurde am leichtesten in der Welt Glück macht. Obgleich ich mich nicht rühmen kann, von Leibnitzens Monaden, die zugleich mathematische Punkte, körperliche Atome und Seelen sind, eine deutliche Vorstellung zu haben; so scheint mir doch soviel außer Zweifel, daß eine solche Annahme, wenn ein Mal festgestellt, dazu dienen könnte, alle ferneren Hypothesen zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen Idealem und Realem sich zu ersparen und die Frage dadurch abzufertigen, daß Beide schon in den Monaden völlig identifizirt seien, (weshalb auch in unsern Tagen Schelling, als Urheber des Identitätssystems, sich wieder daran geletzt hat). Dennoch hat es dem berühmten philosophirenden Mathematikus, Polyhistor und Politikus nicht gefallen, sie dazu zu benutzen; sondern er hat, zum letzteren Zweck, eigens die prästabilirte Harmonie formulirt. Diese nun liefert uns zwei gänzlich verschiedene Welten, jede unfähig, auf die andere irgend zu wirken (principia philos §. 84. und examen du sentiment du P. Malebranche, p. 500 sq. der Oeuvres de Leibnitz, publ. p. Raspe), jede die völlig überflüssige Doublette der andern, welche nun aber doch ein Mal beide daseyn, genau einander parallel laufen und auf ein Haar mit einander Takt halten sollen; daher der Urheber beider, gleich Anfangs, die genaueste Harmonie zwischen ihnen stabilirt hat, in welcher sie nun schönstens neben einander fortlaufen. Beiläufig gesagt, ließe sich die harmonia praestabilita vielleicht am besten durch die Vergleichung mit der Bühne faßlich machen, als woselbst sehr oft der influxus physicus nur scheinbar vorhanden ist, indem Ursach und Wirkung bloß mittelst einer vom Regisseur prästabilirten Harmonie zusammenhängen, z. B. wann der Eine schießt und der Andre a tempo fällt. Am krassesten, und in der Kürze, hat Leibnitz die Sache in ihrer monstrosen Absurdität dargestellt in §§. 62, 63 seiner Theodicee. Und dennoch hat er bei dem ganzen Dogma nicht einmal das Verdienst der Originalität, indem schon Spinoza die harmonia praestabilita deutlich genug dargelegt hat im zweiten Theil seiner Ethik, nämlich in der 6ten und 7ten Proposition, nebst deren Korollarien, und wieder im fünften Theil, prop. 1, nachdem er in der 5ten Proposition des zweiten Theils die so sehr nahe verwandte Lehre des Malebranche, daß wir alles in Gott sehn, auf seine Weise ausgesprochen hatte1. Also ist Malebranche allein der Urheber dieses ganzen Gedankenganges, den sowohl Spinoza als Leibnitz, jeder auf seine Art, benutzt und zurechtgeschoben haben. Leibnitz hätte sogar der Sache wohl entrathen können, denn er hat hiebei die blosse Thatsache, welche das Problem ausmacht, daß nämlich die Welt uns unmittelbar bloß als unsere Vorstellung gegeben ist, schon verlassen, um ihr das Dogma von einer Körperwelt und einer Geisterwelt, zwischen denen keine Brücke möglich sei, zu substituiren; indem er die Frage nach dem Verhältniß der Vorstellungen zu den Dingen an sich selbst zusammenflicht mit der nach der Möglichkeit der Bewegungen des Leibes durch den Willen, und nun beide zusammen auflöst, durch seine harmonia praestabilita (S. Système nouveau de la nature, in Leibnitz. 0pp. ed. Erdmann, p. 125. – Brucker hist. ph. Tom IV. P. II, 425). Die monstrose Absurdität seiner Annahme wurde schon durch einige seiner Zeitgenossen, besonders Bayle, mittelst Darlegung der daraus fließenden Konsequenzen, ins hellste Licht gestellt. (Siehe, in Leibnitzens kleinen Schriften, übersetzt von Huth anno 1740, die Anmerkung zu S. 79, in welcher Leibnitz selbst die empörenden Folgen seiner Behauptung darzulegen sich genöthigt sieht.) Jedoch beweist gerade die Absurdität der