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Parerga und Paralipomena. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.

Parerga und Paralipomena - Arthur  Schopenhauer


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beiläufig 1600 Jahren, das Gegentheil theoretisch behauptet und demnach gelehrt wird, alle Menschen seien, in moralischer Hinsicht, ursprünglich ganz gleich, und die große Verschiedenheit ihres Handelns entspringe nicht aus ursprünglicher, angeborner Verschiedenheit der Anlage und des Charakters, eben so wenig aber aus den eintretenden Umständen und Anlässen, sondern eigentlich aus gar nichts, welches Garnichts sodann den Namen freier Wille erhält. – Allein diese absurde Lehre wird nothwendig gemacht durch eine andere, ebenfalls rein theoretische Annahme, mit der sie genau zusammenhängt, nämlich durch diese, daß die Geburt des Menschen der absolute Anfang seines Daseyns sei, indem derselbe aus nichts geschaffen (ein terminus ad hoc) werde. Wenn nun, unter dieser Voraussetzung, das Leben noch eine moralische Bedeutung und Tendenz behalten soll; so muß diese freilich erst im Laufe desselben ihren Ursprung finden, und zwar aus nichts, wie dieser ganze so gedachte Mensch aus nichts ist: denn jede Beziehung auf eine vorhergängige Bedingung, ein früheres Daseyn, oder eine außerzeitliche That, auf dergleichen doch die unermeßliche, ursprüngliche und angeborne Verschiedenheit der moralischen Charaktere deutlich zurückweist, bleibt hier, ein für alle Mal, ausgeschlossen. Daher also die absurde Fiktion eines freien Willens. – Die Wahrheiten stehn bekanntlich alle im Zusammenhange; aber auch die Irrthümer machen einander nöthig, – wie eine Lüge eine zweite erfordert, oder wie zwei Karten, gegen einander gestemmt, sich wechselseitig stützen, – so lange nichts sie beide umstößt.

      3) Nicht viel besser, als mit der Willensfreiheit, steht es, unter Annahme des Theismus, mit unsrer Fortdauer nach dem Tode. Was von einem Andern geschaffen ist hat einen Anfang seines Daseyns gehabt. Daß nun dasselbe, nachdem es doch eine unendliche Zeit gar nicht gewesen, von nun an in alle Ewigkeit fortdauern solle, ist eine über die Maaßen kühne Annahme. Bin ich allererst bei meiner Geburt aus Nichts geworden und geschaffen; so ist die höchste Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß ich im Tode wieder zu nichts werde. Unendliche Dauer a parte post und Nichts a parte ante geht nicht zusammen. Nur was selbst ursprünglich, ewig, ungeschaffen ist, kann unzerstörbar seyn. (S. Aristoteles de coelo, I, 12. 282, a, 25 fg. und Priestley, on matter and spirit, Birmingham 1782, Vol. I. p. 234.) Allenfalls können daher Die im Tode verzagen, welche glauben, vor 30 oder 60 Jahren ein reines Nichts gewesen und aus diesem sodann als das Werk eines Andern hervorgegangen zu seyn; da sie jetzt die schwere Aufgabe haben, anzunehmen, daß ein so entstandenes Daseyn, seines späten, erst nach Ablauf einer unendlichen Zeit eingetretenen Anfangs ungeachtet, doch von endloser Dauer seyn werde. Hingegen wie sollte Der den Tod fürchten, der sich als das ursprüngliche und ewige Wesen, die Quelle alles Daseyns selbst, erkennt, und weiß, daß außer ihm eigentlich nichts existirt, der mit dem Spruche des heiligen Upanischads hae omnes creaturae in totum ego sum, et praeter me aliud ens non est im Munde, oder doch im Herzen, sein individuelles Daseyn endigt. Also nur er kann, bei konsequentem Denken, ruhig sterben. Denn, wie gesagt, Aseität ist die Bedingung, wie der Zurechnungsfähigkeit, so auch der Unsterblichkeit. Diesem entsprechend ist in Indien die Verachtung des Todes und die vollkommenste Gelassenheit, selbst Freudigkeit im Sterben recht eigentlich zu Hause. Das Judenthum hingegen, welches ursprünglich die einzige und alleinige rein monotheistische, einen wirklichen Gott-Schöpfer Himmels und der Erden lehrende Religion ist, hat, mit vollkommener Konsequenz, keine Unsterblichkeitslehre, also auch keine Vergeltung nach dem Tode, sondern bloß zeitliche Strafen und Belohnungen, wodurch es sich ebenfalls von allen andern Religionen, wenn auch nicht zu seinem Vortheil, unterscheidet. Die dem Judenthum entsprossenen zwei Religionen sind, indem sie, aus besseren, ihnen anderweitig bekannt gewordenen Glaubenslehren die Unsterblichkeit hinzunahmen und doch den Gott-Schöpfer beibehielten hierin eigentlich inkonsequent geworden.19

      Daß, wie eben gesagt, das Judenthum die alleinige rein monotheistische, d. h. einen Gott-Schöpfer als Ursprung aller Dinge lehrende Religion sei, ist ein Verdienst, welches man, unbegreiflicherweise, zu verbergen bemüht gewesen ist, indem man stets behauptet und gelehrt hat, alle Völker verehrten den wahren Gott, wenn auch unter andern Namen. Hieran fehlt jedoch nicht nur viel, sondern Alles. Daß der Buddhaismus, also die Religion, welche durch die überwiegende Anzahl ihrer Bekenner die vornehmste auf Erden ist, durchaus und ausdrücklich atheistisch sei, ist durch die Uebereinstimmung aller unverfälschten Zeugnisse und Urschriften außer Zweifel gesetzt. Auch die Veden lehren keinen Gott-Schöpfer, sondern eine Weltseele, genannt das Brahm (im neutro), wovon der, dem Nabel des Wischnu entsprossene Brahma, mit den vier Gesichtern und als Theil des Trimurti, bloß eine populäre Personifikation, in der so höchst durchsichtigen Indischen Mythologie ist. Er stellt offenbar die Zeugung, das Entstehen der Wesen, wie Wischnu ihre Akme, und Schiwa ihren Untergang dar. Auch ist sein Hervorbringen der Welt ein sündlicher Akt, eben wie die Weltinkarnation des Brahm. Sodann dem Ormuzd der Zendavesta ist, wie wir wissen, Ahriman ebenbürtig, und beide sind aus der ungemessenen Zeit, Zervane Akerene (wenn es damit seine Richtigkeit hat), hervorgegangen. Ebenfalls in der von Sanchoniathon niedergeschriebenen und von Philo Byblius uns aufbehaltenen sehr schönen und höchst lesenswerten Kosmogonie der Phönicier, die vielleicht das Urbild der Mosaischen ist, finden wir keine Spur von Theismus oder Weltschöpfung durch ein persönliches Wesen. Nämlich auch hier sehn wir, wie in der Mosaischen Genesis, das ursprüngliche Chaos in Nacht versenkt; aber kein Gott tritt auf, befehlend, es werde Licht, und werde Dies und werde Das: o nein! sondern ήρασθη το πνευμα των ίδιων άρχων: der in der Masse gährende Geist verliebt sich in sein eigenes Wesen, wodurch eine Mischung jener Urbestandtheile der Welt entsteht, aus welcher, und zwar, sehr treffend und bedeutungsvoll, in Folge eben der Sehnsucht, ποθος, welche, wie der Kommentator richtig bemerkt, der Eros der Griechen ist, sich der Urschlamm entwickelt, und aus diesem zuletzt Pflanzen und endlich auch erkennende Wesen, d. i. Thiere hervorgehn. Denn bis dahin ging, wie ausdrücklich bemerkt wird, Alles ohne Erkenntniß vor sich: αυτο δε ουκ ελιλνωσκε την έαυτου κτισιν. So steht es, fügt Sanchoniathon hinzu, in der von Taant, dem Aegypter, niedergeschriebenen Kosmogonie. Auf seine Kosmogonie folgt sodann die nähere Zoogonie. Gewisse atmosphärische und terrestrische Vorgänge werden beschrieben, die wirklich an die folgerichtigen Annahmen unserer heutigen Geologie erinnern: zuletzt folgt auf heftige Regengüsse Donner und Blitz, von dessen Krachen aufgeschreckt die erkennenden Thiere in’s Daseyn erwachen, und nunmehr bewegt sich, auf der Erde und im Meer, das Männliche und Weibliche. – Eusebius, dem wir diese Bruchstücke des Philo Byblius verdanken (S. Praeparat. evangel. L. II, c. 10), klagt demnach mit vollem Recht diese Kosmogonie des Atheismus an: Das ist sie unstreitig, wie alle und jede Lehre von der Entstehung der Welt, mit alleiniger Ausnahme der Jüdischen. – In der Mythologie der Griechen und Römer finden wir zwar Götter, als Väter von Göttern und beiläufig von Menschen (obwohl diese ursprünglich die Töpferarbeit des Prometheus sind), jedoch keinen Gott-Schöpfer. Denn daß späterhin ein Paar mit dem Judenthum bekannt gewordene Philosophen den Vater Zeus zu einem solchen haben umdeuten wollen, kümmert diesen nicht; so wenig, wie daß ihn, ohne seine Erlaubniß dazu eingeholt zu haben, Dante, in seiner Hölle, mit dem Domeneddio, dessen unerhörte Rachsucht und Grausamkeit daselbst celebrirt und ausgemalt wird, ohne Umstände identificiren will; z. B. C. 14, 70. C. 31, 92. Endlich (denn man hat nach Allem gegriffen) ist auch die unzählige Mal wiederholte Nachricht, daß die nordamerikanischen Wilden unter dem Namen des großen Geistes Gott, den Schöpfer Himmels und der Erden, verehrten, mithin reine Theisten wären, ganz unrichtig. Dieser Irrthum ist neuerlich widerlegt worden, durch eine Abhandlung über die nordamerikanischen Wilden, welche John Scouler in einer 1846 gehaltenen Sitzung der Londoner ethnographischen Gesellschaft vorgelesen hat und von welcher l’institut, journal des sociétés savantes, Sect. 2, Juillet 1847, einen Auszug giebt. Er sagt: Wenn man uns, zu den Berichten über die Superstitionen der Indianer, vom großen Geiste spricht, sind wir geneigt, anzunehmen, daß dieser Ausdruck eine Vorstellung bezeichne, die mit der, welche wir daran knüpfen, übereinstimmt und daß ihr Glaube ein einfacher, natürlicher Theismus sei. Allein diese Auslegung ist von der richtigen sehr weit entfernt. Die Religion dieser Indianer ist vielmehr ein reiner Fetischismus, der in Zaubermitteln und Zaubereien besteht. In dem Berichte Tanner’s, der von Kindheit an unter ihnen gelebt hat, sind die Details getreu und merkwürdig, hingegen weit verschieden von den Erfindungen gewisser Schriftsteller: man ersieht nämlich daraus,


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