Parerga und Paralipomena. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
welches in unsern Tagen der Fall gewesen ist. Wie kann denn auch, unter allem solchen Treiben, selbst nur die Möglichkeit jenes tiefen Ernstes, der neben der Wahrheit Alles geringschätzt und die erste Bedingung zur Philosophie ist, bestehen? – Der Weg zur Wahrheit ist steil und lang: mit einem Block am Fuße wird ihn Keiner zurücklegen; vielmehr thäten Flügel Noth. Demnach also wäre ich dafür, daß die Philosophie aufhörte, ein Gewerbe zu seyn: die Erhabenheit ihres Strebens verträgt sich nicht damit; wie ja Dieses schon die Alten erkannt haben. Es ist gar nicht nöthig, daß auf jeder Universität ein Paar schaale Schwätzer gehalten werden, um den jungen Leuten alle Philosophie auf Zeit Lebens zu verleiden. Auch Voltaire sagt ganz richtig: les gens de lettres, qui ont rendu le plus de services au petit nombre d’êtres pensans répandus dans le monde, sont les lettrés isolés, les vrais savans, renfermés dans leur cabinet, qui n’ont ni argumenté sur les bancs de l’université, ni dit les choses à moitié dans les académies: et ceux-là out presque toujours été persécutés. – Alle der Philosophie von außen gebotene Hülfe ist, ihrer Natur nach, verdächtig: denn das Interesse jener ist zu hoher Art, als daß es mit dem Treiben dieser niedrig gesinnten Welt eine aufrichtige Verbindung eingehn könnte.
Dagegen hat sie ihren eigenen Leitstern, der nie untergeht. Darum lasse man sie gewähren, ohne Beihülfe, aber auch ohne Hindernisse, und gebe nicht dem ernsten, von der Natur geweihten und ausgerüsteten Pilger zum hochgelegenen Tempel der Wahrheit den Gesellen bei, dem es eigentlich nur um ein gutes Nachtlager und eine Abendmahlzeit zu thun ist: denn es ist zu besorgen, daß er, um nach diesen einlenken zu dürfen, Jenem ein Hinderniß in den Weg wälzen werde.
Diesem Allen zufolge halte ich, von den Staatszwecken, wie gesagt, absehend und bloß das Interesse der Philosophie betrachtend, für wünschenswerth, daß aller Unterricht in derselben auf Universitäten streng beschränkt werde auf den Vortrag der Logik, als einer abgeschlossenen und streng beweisbaren Wissenschaft, und auf eine ganz succincte vorzutragende und durchaus in Einem Semester von Thales bis Kant zu absolvirende Geschichte der Philosophie, damit sie, in Folge ihrer Kürze und Uebersichtlichkeit, den eigenen Ansichten des Herrn Professors möglichst wenig Spielraum gestatte und bloß als Leitfaden zum künftigen eigenen Studium auftrete.
Denn die eigentliche Bekanntschaft mit den Philosophen läßt sich durchaus nur in ihren eigenen Werken machen und keineswegs durch Relationen aus zweiter Hand; – wovon ich die Gründe bereits in der Vorrede zur zweiten Ausgabe meines Hauptwerkes dargelegt habe. Zudem hat das Lesen der selbsteigenen Werke wirklicher Philosophen jedenfalls einen wohlthätigen und fördernden Einfluß auf den Geist, indem es ihn in unmittelbare Gemeinschaft mit so einem selbstdenkenden und überlegenen Kopfe setzt, statt daß bei jenen Geschichten der Philosophie er immer nur die Bewegung erhält, die ihm der hölzerne Gedankengang so eines Alltagskopfs ertheilen kann, der sich die Sache auf seine Weise zurecht gelegt hat. Daher also möchte ich jenen Kathedervortrag beschränken auf den Zweck einer allgemeinen Orientirung auf dem Felde der bisherigen philosophischen Leistungen, mit Beseitigung aller Ausführungen, wie auch aller Pragmaticität der Darstellung, die weiter gehn wollte, als bis zur Nachweisung der unverkennbaren Anknüpfungspunkte der successiv auftretenden Systeme an früher dagewesene; also ganz im Gegensatz der Anmaaßung Hegelianischer Geschichtschreiber der Philosophie, welche jedes System als nothwendig eintretend darthun, und sonach, die Geschichte der Philosophie a priori konstruirend, uns beweisen, daß jeder Philosoph gerade Das, was er gedacht hat, und nichts Anderes, habe denken müssen; wobei denn der Herr Professor so recht bequem sie Alle von oben herab übersieht, wo nicht gar belächelt. Der Sünder! als ob nicht Alles das Werk einzelner und einziger Köpfe gewesen wäre, die sich in der schlechten Gesellschaft dieser Welt eine Weile haben herumstoßen müssen, damit solche gerettet und erlöst werde aus den Banden der Rohheit und Verdummung; Köpfe, die eben so individuell, wie selten sind, daher von jedem derselben das Ariostische natura il fece, e poi ruppe lo stampo in vollem Maaße gilt; – und als ob, wenn Kant an den Blattern gestorben wäre, auch ein Andrer die Kritik der reinen Vernunft würde geschrieben haben, – wohl einer von Jenen, aus der Fabrikwaare der Natur und mit ihrem Fabrikzeichen auf der Stirn, so Einer mit der normalen Ration von drei Pfund groben Gehirns, hübsch fester Textur, in zolldicker Hirnschaale wohl verwahrt, beim Gesichtswinkel von 70°, dem matten Herzschlag, den trüben, spähenden Augen, den stark entwickelten Freßwerkzeugen, der stockenden Rede und dem schwerfälligen, schleppenden Gange, als welcher Takt hält mit der Krötenagilität seiner Gedanken: – ja, ja, wartet nur, die werden euch Kritiken der reinen Vernunft und auch Systeme machen, sobald nur der vom Professor berechnete Zeitpunkt da und die Reihe an sie gekommen ist, – dann, wann die Eichen Aprikosen tragen. – Die Herren haben freilich gute Gründe, möglichst viel der Erziehung und Bildung zuzuschreiben, sogar, wie wirklich Einige thun, die angeborenen Talente ganz zu leugnen und auf alle Weise sich gegen die Wahrheit zu verschanzen, daß Alles darauf ankommt, wie Einer aus den Händen der Natur hervorgegangen sei, welcher Vater ihn gezeugt und welche Mutter ihn empfangen habe, ja, auch noch zu welcher Stunde; daher man keine Iliaden schreiben wird, wenn man zur Mutter eine Gans und zum Vater eine Schlafmütze gehabt hat; auch nicht, wenn man auf sechs Universitäten studirt.
Es ist nun aber doch nicht anders: aristokratisch ist die Natur, aristokratischer, als irgend ein Feudal-und Kastenwesen. Demgemäß läuft ihre Pyramide von einer sehr breiten Basis in einen gar spitzen Gipfel aus. Und wenn es dem Pöbel und Gesindel, welches nichts über sich dulden will, auch gelänge, alle andern Aristokratien umzustoßen; so müßte es diese doch bestehn lassen, – und soll keinen Dank dafür haben: denn die ist so ganz eigentlich von Gottes Gnaden.
Transscendente Spekulation
über die
anscheinende Absichtlichkeit
im
Schicksale des Einzelnen.
Το εικη ουκ εστι εν τη ζωη, αλλα
μια αρμονια και ταξις.
Plotin. Enn. IV, L. 4, c. 35.
Ueber die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksale des Einzelnen.
Inhaltsverzeichnis
Obgleich die hier mitzutheilenden Gedanken zu keinem festen Resultate führen, vielleicht eine bloße metaphysische Phantasie genannt werden könnten; so habe ich mich doch nicht entschließen können, sie der Vergessenheit zu übergeben; weil sie Manchem, wenigstens zum Vergleich mit seinen eigenen, über denselben Gegenstand gehegten, willkommen seyn werden. Auch ein Solcher jedoch ist zu erinnern, daß an ihnen Alles zweifelhaft ist, nicht nur die Lösung, sondern sogar das Problem. Demnach hat man hier nichts weniger, als entschiedene Aufschlüsse zu erwarten, vielmehr die bloße Ventilation eines sehr dunkeln Sachverhältnisses, welches jedoch vielleicht Jedem, im Verlaufe seines eigenen Lebens, oder beim Rückblick auf dasselbe, sich öfter aufgedrungen hat. Sogar mögen unsere Betrachtungen darüber vielleicht nicht viel mehr seyn, als ein Tappen und Tasten im Dunkeln, wo man merkt, daß wohl etwas dasei, jedoch nicht recht weiß, wo, noch was. Wenn ich dabei dennoch bisweilen in den positiven, oder gar dogmatischen Ton gerathen sollte; so sei hier ein für alle Mal gesagt, daß dies bloß geschieht, um nicht durch stete Wiederholung der Formeln des Zweifels und der Muthmaaßung weitschweifig und matt zu werden; daß es mithin nicht ernstlich zu nehmen ist.
Der Glaube an eine specielle Vorsehung, oder sonst eine übernatürliche Lenkung der Begebenheiten im individuellen Lebenslauf, ist zu allen Zeiten allgemein beliebt gewesen, und sogar in denkenden, aller Superstition abgeneigten Köpfen findet er sich bisweilen unerschütterlich fest, ja, wohl gar außer allem Zusammenhange mit irgend welchen bestimmten Dogmen. – Zuvörderst läßt sich ihm entgegensetzen, daß er, nach Art alles Götterglaubens, nicht eigentlich aus der Erkenntniß, sondern aus dem Willen entsprungen, nämlich zunächst das Kind unsrer Bedürftigkeit sei. Denn die Data, welche bloß die Erkenntniß dazu geliefert hätte, ließen sich vielleicht darauf zurückführen, daß der Zufall, welcher uns hundert arge, und wie durchdacht tückische