Parerga und Paralipomena. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
inkompatibeln Eigenschaften, auch die der Allwissenheit hat, bedeutet; so wurde von ihm nun auch diese auf die Welt übertragen, woselbst sie natürlich keine andere Stelle erhalten konnte, als unter der albernen Stirn des Menschen; wonach denn dieser nur seinen Gedanken freien Lauf (dialektische Selbstbewegung) zu lassen brauchte, um alle Mysterien Himmels und der Erde zu offenbaren, nämlich in dem absoluten Gallimathias der Hegel’schen Dialektik. Eine Kunst hat dieser Hegel wirklich verstanden, nämlich die, die Deutschen bei der Nase zu führen. Das ist aber keine große. Wir sehen ja, mit welchen Possen er die deutsche Gelehrtenwelt 30 Jahre lang in Respekt halten konnte. Daß die Philosophieprofessoren es noch immer mit diesen drei Sophisten ernstlich nehmen und wichtig damit thun, ihnen eine Stelle in der Geschichte der Philosophie einzuräumen, geschieht eben nur, weil es zu ihrem gagne-pain gehört, indem sie daran Stoff haben zu ausführlichen, mündlichen und schriftlichen Vorträgen der Geschichte der sogenannten Nach-Kantischen Philosophie, in welchen die Lehrmeinungen dieser Sophisten ausführlich dargelegt und ernsthaft erwogen werden; – während man vernünftiger Weise sich nicht darum bekümmern sollte, was diese Leute, um etwas zu scheinen, zu Markte gebracht haben; es wäre denn, daß man die Schreibereien des Hegel für offizinell erklären und in den Apotheken vorräthig haben wollte, als psychisch wirkendes Vomitiv; indem der Ekel, den sie erregen, wirklich ganz specifisch ist. Doch genug von ihnen und ihrem Urheber, dessen Verehrung wir der Dänischen Akademie der Wissenschaften überlassen wollen, als welche in ihm einen summus philosophus nach ihrem Sinn erkannt hat und daher Respekt vor ihm fordert, in ihrem, meiner Preisschrift über das Fundament der Moral, zu bleibendem Andenken, beigedrucktem Urtheile, welches eben so sehr wegen seines Scharfsinns, als wegen schier denkwürdigen Redlichkeit, der Vergessenheit entzogen zu werden verdiente, wie auch, weil es einen lukulenten Beleg liefert zu Labruyere’s gar schönem Ausspruch: du même fonds, dont on néglige un homme de mérite, l`on sait encore admirer un sot.
Fragmente
zur
Geschichte der Philosophie
Fragmente zur Geschichte der Philosophie
Inhaltsverzeichnis
§. 1. Ueber dieselbe.
Statt der selbsteigenen Werke der Philosophen allerlei Darlegungen ihrer Lehren, oder überhaupt Geschichte der Philosophie zu lesen, ist wie wenn man sich sein Essen von einem Andern kauen lassen wollte. Würde man wohl Weltgeschichte lesen, wenn es Jedem freistände, die ihn interessirenden Begebenheiten der Vorzeit mit eigenen Augen zu schauen? Hinsichtlich der Geschichte der Philosophie nun aber ist ihm eine solche Autopsie ihres Gegenstandes wirklich zugänglich, nämlich in den selbsteigenen Schriften der Philosophen, woselbst er dann immerhin, der Kürze halber, sich auf wohlgewählte Hauptkapitel beschränken mag; um so mehr, als sie alle von Wiederholungen strotzen, die man sich ersparen kann. Auf diese Weise also wird er das Wesentliche ihrer Lehren authentisch und unverfälscht kennen lernen, während er aus den, jetzt jährlich zu halben Dutzenden erscheinenden Geschichten der Philosophie bloß empfängt, was davon in den Kopf eines Philosophieprofessors gegangen ist und zwar so, wie es sich daselbst ausnimmt; wobei es sich von selbst versteht, daß die Gedanken eines großen Geistes bedeutend einschrumpfen müssen, um im drei-pfund-Gehirn so eines Parasiten der Philosophie Platz zu finden, aus welchem sie nun wieder, in den jedesmaligen Jargon des Tages gekleidet, hervorkommen sollen, begleitet von seiner altklugen Beurtheilung. – Ueberdies läßt sich berechnen, daß so ein geldverdienender Geschichtsschreiber der Philosophie kaum den zehnten Theil der Schriften, darüber er Bericht erstattet, auch nur gelesen haben kann: ihr wirkliches Studium erfordert ein ganzes, langes und arbeitsames Leben, wie es ehemals, in den alten, fleißigen Zeiten, der wackere Brucker daran gesetzt hat. Was hingegen können wohl solche Leutchen, die, abgehalten durch beständige Vorlesungen, Amtsgeschäfte, Ferienreisen und Zerstreuungen, meistens schon in den frühern Jahren mit Geschichten der Philosophie auftreten, Gründliches erforscht haben? Dazu aber wollen sie auch noch pragmatisch seyn, die Nothwendigkeit des Entstehens und der Folge der Systeme ergründet haben und darthun, und nun gar noch jene ernsten, ächten Philosophen der Vorzeit beurtheilen, zurechtweisen und meistern. Wie kann es anders kommen, als daß sie die älteren, und Einer den Andern, ausschreiben, dann aber, um Dies zu verbergen, die Sachen mehr und mehr verderben, indem sie ihnen die moderne Tournüre des laufenden Quinquenniums zu geben bestrebt sind, wie sie denn auch nach dem Geiste desselben solche beurtheilen. – Sehr zweckmäßig dagegen würde eine von redlichen und einsichtigen Gelehrten gemeinschaftlich und gewissenhaft gemachte Sammlung der wichtigen Stellen und wesentlichen Kapitel sämmtlicher Hauptphilosophen seyn, in chronologisch-pragmatischer Ordnung zusammengestellt, ungefähr in der Art, wie zuerst Gedicke, und später Ritter und Preller es mit der Philosophie des Alterthums gemacht haben; jedoch viel ausführlicher: also eine mit Sorgfalt und Sachkenntniß verfertigte große und allgemeine Chrestomathie.
Die Fragmente, welche nun ich hier gebe, sind wenigstens nicht traditionell, d. h. abgeschrieben; vielmehr sind es Gedanken, veranlaßt durch das eigene Studium der Originalwerke.
§. 2. Vorsokratische Philosophie.
Die Eleatischen Philosophen sind wohl die ersten, welche des Gegensatzes inne geworden sind, zwischen dem Angeschauten und dem Gedachten, φαινομενα und νοουμενα. Das Letztere allein war ihnen das wahrhaft Seiende, das οντως ον. – Von diesem behaupten sie sodann, daß es Eines, unveränderlich und unbeweglich sei; nicht aber eben so von den φαινομενοις, d. i. dem Angeschauten, Erscheinenden, empirisch Gegebenen, als von welchem so etwas zu behaupten geradezu lächerlich gewesen wäre; daher denn einst der so mißverstandene Satz, auf die bekannte Art, vom Diogenes widerlegt wurde. Sie unterschieden also eigentlich schon zwischen Erscheinung, φαινομενον, und Ding an sich, οντως ον. Letzteres konnte nicht sinnlich angeschaut, sondern nur denkend erfaßt werden, war demnach νοουμενον. (Arist. metaph. I, 5, p. 986 et Scholia edit. Berol. p. p. 429, 430, et 509.) In den Scholien zum Aristoteles (p. 460, 536, 544 et 798) wird des Parmenides Schrift τα κατα δοξαν erwähnt: das wäre also die Lehre von der Erscheinung, die Physik, gewesen: ihr wird ohne Zweifel ein anderes Werk, τα κατ΄ αληθειαν, die Lehre vom Ding an sich, also die Metaphysik, entsprochen haben. Von Melissos sagt ein Scholion des Philoponos geradezu: εν τοις προς αληθειαν έν ειναι λεγων το ον, εν τοις προς δοξαν δυο (müßte heißen πολλα) φησιν ειναι. – Der Gegensatz der Eleaten, und wahrscheinlich auch durch sie hervorgerufen, ist Herakleitos, sofern er unaufhörliche Bewegung aller Dinge lehrte, wie sie die absolute Unbeweglichkeit: er blieb demnach beim φαινομενον stehn. (Arist. de coelo, III, 1, p. 298. edit. Berol.) Dadurch nun wieder rief er, als seinen Gegensatz, die Ideenlehre Platons hervor; wie dies aus der Darstellung des Aristoteles (Metaph. p. 1078) sich ergiebt.
Es ist bemerkenswerth, daß wir die leicht zu zählenden Haupt-Lehrsätze der vorsokratischen Philosophen, welche sich erhalten haben, in den Schriften der Alten unzählige Mal wiederholt finden; darüber hinaus jedoch sehr wenig: so z. B. die Lehren des Anaxagoras vom νους und den όμοιομεδιαι, – die des Empedokles von φιλια και νεικος und den vier Elementen, – die des Demokritos und Leulippos von den Atomen und den ειδωλοις, – die des Herakleitos vom beständigen Fluß der Dinge, – die der Eleaten, wie oben auseinandergesetzt, – die der Pythagoreer von den Zahlen, der Metempsychose u. s. f. Indessen kann es wohl seyn, daß dieses die Summa alles ihres Philosophirens gewesen; denn wir finden auch in den Werken der Neueren, z. B. des Kartesius, Spinoza, Leibnitz und selbst Kants die wenigen Fundamentalsätze ihrer Philosophien zahllose Male wiederholt; so daß diese Philosophen sämmtlich den Waidspruch des Empedokles, der auch schon ein Liebhaber des Repetitionszeichens gewesen seyn mag, δις