Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
ab, der nach dem Fahrplan in Hohenstein Anschluß nach Berent hat. Um aber keine Vorsicht außer acht zu lassen, werde ich mir meinen Bart abnehmen und mich möglichst unkenntlich machen. – Zieh bitte den Fenstervorhang zu. Es ist jetzt 9 Uhr. Da werde ich mit meinen Vorbereitungen noch sehr gut fertig.«
Das wenige, was die Brüder noch zu besprechen hatten, war bald erledigt, während Albert Wenzel beim Scheine der Lampe sich das Gesicht sorgfältig einseifte und mit dem Rasieren begann. Dann nahmen sie voneinander Abschied.
»Ich wünsche Dir gutes Gelingen,« sagte der kleine Trödler nochmals und drückte dem Bruder fest die Hand. Darauf verließ er die Schifferkneipe und kehrte eiligst nach Hause zurück.
Albert Wenzel aber blickte ihm mit schadenfrohem Lächeln nach.
»Gut, daß ich Dich an der rechten Seite zu nehmen wußte,« murmelte er vor sich hin, während das Messer kratzend die Barthaare von seiner Oberlippe entfernte. »Du bist mir ein brauchbares Werkzeug gewesen, ein sehr brauchbares sogar. Aber Du bist für ein Geschäft wie das meine doch noch zu sehr Anfänger, zu zart besaitet. Daher ist es besser, wir sehen uns nicht wieder!«
Nach einer weiteren halben Stunde hätte niemand mehr in dem bartlosen älteren Manne mit der blauen Brille vor den Augen jenen Menschen im grauen Pelerinenmantel wiedererkannt, den Dreßler vor dem Wielandschen Hause beobachtet und durch den kleinen Händler hatte verfolgen lassen. Gerade als Albert Wenzel dann sein Zimmer verlassen wollte, um mit seiner Reisetasche in der Hand möglichst ungesehen die Treppe hinabzuschlüpfen, klopfte es. – Mit einem Satz war er an der Tür.
»Wer ist da?« fragte er laut, indem er schnell den Riegel vorschob. »Ich ziehe mich gerade um. Was wünschen Sie?«
»Ich bin’s – Jakob,« erklang hinter der Tür eine ihm wohlbekannte Stimme. »Öffne, es eilt sehr.«
Jakob Wenzel trat jetzt, mühsam nach Atem ringend, ein.
»Albert,« begann er sofort hastig, »wir haben Glück gehabt. Denk’ Dir, eben bin ich zu Hause angelangt, als die alte polnische Haushälterin Dreßlers zu mir kommt und mich bittet, ich möchte ihrem Herrn doch einen Fünfhundertmarkschein wechseln. Er hätte kein Kleingeld im Hause, müßte auf unbestimmte Zeit verreisen und wollte ihr noch Wirtschaftsgeld dalassen.«
Der andere stampfte ärgerlich mit dem Fuße auf.
»Verd…! Der Doktor will ebenfalls nach Berent, nicht wahr? Denselben Gedanken hast Du auch sofort gehabt, stimmt’s?«
Der Trödler nickte eifrig.
»Genau denselben! – Und was nun? Er wird Deine Pläne durchkreuzen, – paß auf, es kommt so. Ich habe Ähnliches gleich gefürchtet, wollte dieser Besorgnis nur nicht Ausdruck geben.«
Albert Wenzel starrte finster vor sich hin in das rötliche Licht der Petroleumlampe.
»Noch ist Dreßler nicht in Berent, noch nicht,« sagte er endlich mit drohend gerunzelter Stirn. »Es muß sich ein Mittel finden lassen, ihn von dieser Reise zurückzuhalten oder es doch wenigstens so einzurichten, daß er zu spät in Berent eintrifft.«
»Wie willst Du das wohl erreichen,« meinte der kleine Händler achselzuckend. »Dreßler ist ein sehr vorsichtiger Herr. Er fällt nicht so leicht auf einen plumpen Trick herein. Außerdem, – es ist jetzt zehn Uhr. Und um elf Uhr geht Dein Zug. Da bleibt Dir kaum noch Zeit, um einen bestimmten Entschluß zu fassen und auszuführen.«
Der andere lachte kurz auf: »Ich habe mich in meinem wildbewegten Leben schon häufig in Situationen befunden, wo ich mich im Augenblick für diesen oder jenen Plan entscheiden mußte. Auch hier werde ich noch einen Weg finden, meine Absichten trotz des Dazwischenkommens dieses vorwitzigen Doktors durchzusetzen, wenn ich auch zur Zeit noch nicht sagen kann, wie dies am besten zu erreichen ist. Jedenfalls wollen wir jetzt aufbrechen. Meinen Reisekoffer lasse ich hier. Er enthält nichts Wertvolles. Und den Betrag zur Bezahlung meiner Rechnung habe ich in ungefährer Höhe hier auf den Tisch gelegt nebst einem Zettel, daß ich plötzlich verreisen muß. Ich gedenke nach dem Hotel zum Anker nicht mehr zurückzukehren. In meiner Lage ist es ratsam, man wechselt das Quartier möglichst häufig.«
Unangefochten gelangten sie auf die Straße. Hier trennten sie sich sofort. Keiner von beiden ahnte, daß sie sich lebend nicht mehr wiedersehen sollten. –
Zu ungefähr derselben Zeit war bei Hans Dreßler ein offenbar mit verstellter Handschrift geschriebener Brief von einem jungen Menschen abgegeben worden. Die alte Kascha hatte auf das Klingeln geöffnet und das Schreiben in Empfang genommen. Als der Doktor jetzt den Inhalt gelesen hatte, fragte er seine Wirtschafterin hastig:
»Was hat der Überbringer Ihnen gesagt, als er Ihnen den Brief reichte?«
»Hatte der Mensch es sehr eilig, Herr Doktor, sehr. Sagte er gar nichts, sondern lief er nur schnell wieder die Treppe hinunter.«
»Merkwürdig!« murmelte Dreßler vor sich hin. »Der Fall Durgassow wird immer verwickelter. Warnt mich doch hier ein Unbekannter vor Jakob Wenzel, der meines Vertrauens nicht würdig sei. – Die Handschrift ist recht gut verstellt. Jedenfalls will ich den Brief mitnehmen. In der Bahn habe ich genügend Zeit zu untersuchen, ob ein Mann oder eine Frau ihn verfaßt hat. Sicherlich aber rühren diese verlaufenen Stellen hier von Wassertropfen her, – vielleicht gar von Tränen! – Merkwürdig, wirklich merkwürdig!«
– – – – – – – – –
Als der kleine Händler von dem zweiten Ausgang an diesem Abend heimkehrte, fand er seine Tochter mit vom Weinen stark geröteten Augen im Wohnzimmer am Tisch sitzend vor.
»Kind, was hast Du? So niedergeschlagen?« fragte er besorgt.
Sie antwortete nicht, sondern schaute ihn nur mit ihren ehrlichen, reinen Augen vorwurfsvoll an. Und diesem Blick hielt er nicht stand. Verwirrt holte er sich einen Stuhl herbei und setzte sich neben sie.
»Wera, bekomme ich denn keine Antwort?« bat er leise, indem er nach ihrer Hand haschte. »Sag’, was drückt Dich, Kind? Du bist überhaupt in den letzten Tagen so seltsam verändert, fast scheu mir gegenüber.«
Da erhob sie sich mit jäher Bewegung.
»Vater, wozu die Komödie? Wozu fragst Du mich,« rief sie bitter. »Du mußt doch am besten wissen, was mich quält. Dein Bruder ist’s, der uns einander entfremdet hat. Seitdem er hier aufgetaucht ist, hast Du Heimlichkeiten über Heimlichkeiten vor mir. Und früher gab es nichts, das einer dem andern vorenthielt. Glaube aber ja nicht, daß ich dieses Spiel etwa nicht durchschaue. Du hältst mich für weltfremder, für harmloser als ich in Wirklichkeit bin. Ich weiß sehr gut: Dein Bruder ist noch immer hier in Danzig, so sehr Du diese Tatsache auch vor mir verbergen möchtest. Noch mehr: Dieser Onkel Albert, den ich nie in meinem Leben gesehen habe, ist – davon bin ich heute felsenfest überzeugt! – kein anderer als jener Mann im grauen Pelerinenmantel, den Du im Auftrage Doktor Dreßlers verfolgen solltest. – Streite das nicht ab! Erweitere durch fernere Unaufrichtigkeit die Kluft zwischen uns nicht noch mehr. Denn wo warst Du zum Beispiel heute Abend, wo eiltest Du so schnell hin, als Du kaum von Kascha erfahren hattest, daß der Doktor verreisen wolle. Wer konnte allein an dieser Nachricht ein Interesse haben, wer? – Doch nur die Feinde des alten Herrn Durgassow, auf deren Seite Du Dich gestellt hast, verführt durch Deinen Bruder. Oh, schon am Sonnabend, als Du Dreßler hier bei uns in so vielfacher Beziehung die Unwahrheit sagtest und mich zum Schweigen zwangst, schwante mir Böses. Jetzt aber sind meine Ahnungen zur Gewißheit geworden.«
Jakob Wenzel wagte keine Widerrede. In sich zusammengesunken saß er da. – So hatte seine Tochter noch nie zu ihm gesprochen. Und jetzt kam ihm auch selbst mit einem Male das, was er getan, so ungeheuerlich, so verwerflich vor! Wie hatte er sich nur, durch den lockenden Glanz des Goldes verführt, soweit vergessen können, von dem geraden Wege abzuirren, – gerade er, der bis dahin auf sein völlig reines Gewissen, seine unantastbare Ehrenhaftigkeit so stolz gewesen war.
Aber Wera ließ ihm keine Zeit, diese Selbstvorwürfe weiter auszuspinnen.
»Vater,« begann sie wieder und ihre Stimme vibrierte leise, »Du weißt, daß ich