Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
Orskes erstem Auftauchen bis zu dem Dolchmesser hin haarklein erzählt und sie gefragt, ob es nicht das beste sei, diesem Orske den »Stuhl vor die Türe zu setzen«. –
Die Freundin, Frau eines Versicherungsagenten – sie hat mir alles bereits bestätigt! – meinte, die Kremk hätte eigentlich die Pflicht, zur Polizei zu gehen; der Orske könnte vielleicht »ganz was Schlimmes« sein. Die Kremk faßte die Vorkommnisse aber doch nicht so tragisch auf und unterließ den Gang zu der Behörde, mit der sie ja ohnehin auf etwas gespanntem Fuße steht. –
Am Tag darauf, wieder gegen Abend, erschien dann bei der Kremk eine Schwester des Orske und brachte ihr zweiundzwanzig Mark Miete für den Juli, kündigte das Zimmer und nahm ihres Bruders Sachen – den Koffer, die Kleider und so weiter, letzteres alles in einem von der Kremk geliehenen Pappkarton –, mit und fuhr mit einem Taxameter davon.«
Gunolt schaute jetzt erst mich und dann meinen Schwiegervater vielsagend an.
Weswegen, verstand ich sofort. Er legte dem Umstand, daß Franz Orske seine Sachen hatte abholen lassen, offenbar große Bedeutung bei.
9. Kapitel
Die Schwester
Gunolt hatte sich unaufgefordert eine zweite Importe in Brand gesetzt.
Ich wartete und schwieg. Mein Schwiegervater konnte sich nicht so gut beherrschen.
»Wo wohnt diese Frau?« fragte er.
»Moabit – Rathenower Straße, Nähe des Kriminalgerichts,« erwiderte Gunolt. »Und der Chauffeur des roten Autos hat ausgesagt, daß er den Grauen bis etwa nach den Zelten fahren mußte. Die allgemeine Richtung stimmt also.«
Geheimrat Bark fragte weiter:
»Sie hoffen jetzt also, den Mann sehr bald –.«
Gunolt machte eine abwehrende Handbewegung.
»Ich hoffe wenig, um ganz ehrlich zu sein, Herr Geheimrat. Gestatten Sie, daß ich auf einige Punkte hinweise, die diesen Mieter der Kremk in ein besonderes Licht rücken. –
Franz Orske hat nur eine einzige Nacht in jenem Zimmer geschlafen. Sonst kam er nur für Stunden, wie die Kremk behauptete. –
Dies und die Tatsache, daß Orske seine Tür stets nur fingerbreit öffnete, läßt es als gewiß erscheinen, daß er das Absteigequartier nur als Umkleidezimmer benutzt hat. –
In Potsdam gibt es keinen Franz Orske, wie wir schnell feststellten. Ich habe das auch nie angenommenen, und natürlich ist der Mensch auch ebensowenig Erfinder wie Schlosser.«
»Wofür halten Sie ihn?« fragte der Geheimrat schnell.
»Jedenfalls für einen geistig nicht ganz normalen Menschen, der den besseren Ständen angehört.«
Ich horchte auf. – Beatrix hatte von dem wutverzerrtem Gesicht des Grauen und von ihrer Angst vor der Rache eines Irren gesprochen –!
»Geisteskrank – besseren Standes? – Das müssen Sie mir erklären,« meinte Bark.
»Ich schließe das einmal aus den Angaben Ihrer Tochter über den Gesichtsausdruck des Grauen, dann weiter daraus, daß das, was die Kremk für einen Streit zwischen Orske und einer anderen Person gehalten hat, nur ein überlautes Selbstgespräch des Orske gewesen sein kann. Welcher Mensch mit gesundem Verstand schreit aber derart, daß noch im Nebenraum Wort für Wort gehört wird?! Diese lauten Selbstgespräche sind an sich ja eine häufige Eigenart schwachnerviger Naturen. Zu Ausrufen, in höchster Wut hervorgestoßen, werden diese Selbstgespräche aber nur bei Geisteskranken. Das wird Ihnen Fräulein Beatrix bezeugen, Herr Geheimrat, die sich ja viel mit Psychiatrie beschäftigt.«
Die letzten Sätze, in denen Beatrix abermals erwähnt wurde, klangen nicht anders als die vorigen. Und doch glaubte ich aus ihnen etwas Besonderes heraushören zu können – denn in Gunolts Gesicht war dabei ein Ausdruck, etwas Lauerndes, Überlegenes und kalt Berechnendes, das mich argwöhnisch machte. –
Oder – sah ich vielleicht zu viel auf diesem Antlitz, war es nur die versteckte Angst, die mir diese Veränderung der Züge vortäuschte, die Angst, die urplötzlich in mir aufgestiegen war um die Sicherheit des Weibes, die in sich eine Lebende und Tote für mich vereinte?! –
War Gunolt meinem Schwiegervater gegenüber jetzt nur deshalb so offen, weil er ihn über Beatrix ausholen wollte –?!
Ich fürchtete für Beatrix! Ich sah, wie Gunolt Netze stellte, sie zu fangen, glaubte, es zu sehen –.
In meine hastenden Gedanken fielen die Worte Barkes hinein: »War es wirklich nur ein Selbstgespräch? Kann nicht –.«
Gunolt unterbrach ihn. »Vor dem Haus hielt der Gemüsewagen eines fliegenden Händlers von halb acht bis gegen viertel neun Uhr abends. Der Händler hat sich auch gemeldet. Er hat den Grauen ebenfalls gesehen – wie dieser das Haus betrat und wie er dann wieder nach etwa zehn Minuten herauskam – in größter Eile – aber allein, wie er auch hinein gegangen war.
Nun Punkt zwei – aus besseren Kreisen. – Beweis: der elegante Koffer und der Inhalt der Taschen des grauen, abgetragenen Anzugs: eine Nagelfeile und ein Zahnstocher in silbernen Hülsen, ein Schächtelchen Mundparfüm – Pillen und ein Federmesser mit silbernen Schalen.«
»Sie haben doch aber den Anzug bei der Kremk gar nicht mehr vorgefunden,« warf Bark erstaunt ein.
»Allerdings nicht, den hatte ja die – Schwester mitgenommen. Aber die Kremk war so schlau gewesen, gerade die Sachen, die auch hier gegen den Schlosserberuf Orskes zu sprechen schienen, in die Waschtischschublade zu legen – schon in der Absicht, Orske gelegentlich mit Hilfe dieser Kleinigkeiten klar zu machen, daß sie an den Schlossergesellen nicht glaube. Als die Schwester dann erschien, will sie an die Sachen nicht gedacht haben. – Auf diese Weise bin ich in Besitz von vier Gegenständen gelang, die dem Mörder gehören.«
»Er kann sie gestohlen – gefunden – selbst nie benutzt haben,« meinte Barke achselzuckend.
»Das gebe ich zu. – Die vier Gegenstände allein genommen, beweisen nichts. – Aber Orske hat erstens noch auf der Seifenschale ein wenig benutztes Stück Seife liegen lassen – eine sehr teure Seife, zweitens auf der Spiegelkonsole ein Büchschen mit bräunlichem Herrenpuder, drittens in dem Bett ein neues, gesticktes Nachthemd ohne Monogramm. – Mir genügt dies alles. Der Mörder ist ein Mensch, der verfeinerte Lebensgewohnheiten hat, sogar etwas Lebemanngewohnheiten.«
Mein Schwiegervater nickte nur. Er gab sich geschlagen.
»Nun zu meiner Behauptung ‚Umkleidezimmer’,« fuhr Gunolt fort. – »Ich habe die Kremk so lange ausgefragt, bis ich mir über diese gelegentlichen Besuche des Grauen in dem Absteigequartier ein richtiges Bild machen konnte. – Er kam zu dem verschiedensten Tageszeiten, blieb kurze Zeit, ging wieder fort, kehrte nach ein paar Stunden zurück, blieb abermals kurze Zeit, die aber zum Wechseln eines Anzuges genügte, und verschwand wieder. Er kleidete sich dort also um, schwärzte sich leicht das Gesicht, wurde »der Graue«, trieb in dieser Verkleidung irgendwo, irgendwelche lichtscheuen Dinge und – verließ nachher wieder in seiner wahren Gestalt das kleine Zimmer.«
»Und – was trieb er?«
»Da bietet sich der Phantasie ein weiter Spielraum, Herr Geheimrat. – Ich weiß nichts Bestimmtes. Aber wir werden wohl auch hierüber Klarheit gewinnen.«
»Hm,« meinte Bark, »wenn man die Schwester fände –«
»Ja – diese Schwester –! Fragen Sie Fräulein Beatrix –«
Mein Herzschlag setzte aus –.
»– Beatrix, ob es nicht allen Erfahrungen mit geisteskranken Verbrechern widerspricht, daß sie sich jemand anvertrauen, sich einen Helfer werben, wie diese angebliche Schwester es gewesen ist, die das Eigentum Orskes abholte. Niemand ist mißtrauischer