Dr. Norden Staffel 8 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
genauso.« Daniel bückte sich nach seiner Aktentasche. Er sah sich noch einmal im Büro um, während er den Schlüssel aus der Manteltasche zog. »Ich glaub, ich hab alles. Einen wunderschönen guten Abend, Frau Sander. Wir sehen uns morgen in alter Frische.« Er winkte der Assistentin und verließ das Büro.
Weit kam er allerdings nicht.
»Herr Dr. Norden, halt! Bitte warten Sie!« Die Stimme gehörte einer Schwester, die ihn auf dem Flur entdeckt hatte und ihm nachlief. »Frau Lohmeier … Es geht ihr nicht gut.«
Daniel blieb stehen und drehte sich zum. Wenn ein Patient seine Hilfe brauchte, gab es kein Zögern, musste alles andere hinten anstehen. Das galt auch für seine Familie. Schließlich hatte er nicht irgendeinen Beruf. Er war Arzt! Er schickte eine stumme Entschuldigung zu Fee in der Gewissheit, dass sie ihn verstand. Gleich darauf blieb die Krankenschwester vor ihm stehen. Ihr Atem ging schnell. Es war ihr anzusehen, dass sie sich Sorgen machte. »Können Sie bitte nach ihr sehen?«
»Ich komme.«
»Ein Glück, dass Sie noch hier sind. Ich hatte schon Angst, Sie könnten zu Hause sein.«
»Das wäre ich normalerweise auch. Welche Symptome hat Frau Lohmeier?«, erkundigte sich Dr. Norden, um den Weg zu Ricarda nicht ungenutzt zu lassen.
»Sie war schon den ganzen Nachmittag so unruhig. Als ihr Mann gegen Abend gegangen ist, wurde es noch schlimmer.« Im Laufschritt erreichten sie das Zimmer der Patientin. »Sie hat sich sogar zwei Mal erbrochen«, erklärte Schwester Alice noch, ehe sie die Tür öffnete und dem Arzt den Vortritt ließ.
Ricarda lag im Bett und stöhnte. Ihre Augen waren geschlossen, hektische rote Flecken waren auf ihren bleichen Wangen. Rasch stellte Daniel die Aktentasche in eine Ecke und beugte sich über Ricky. Er wusste um die Gefahr, in der sich seine Patientin befand. Trotzdem blieb er äußerlich ruhig.
»Hallo, Ricarda, ich bin’s, Dr. Norden«, redete er auf sie ein. »Ich werde Sie jetzt untersuchen.« Er schob das Nachthemd hoch und betastete ihren heißen Leib. Seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich.
»Rufen Sie Dr. Weigand«, wies er die Schwester an, die neben ihm stand.
»Der ist nicht mehr hier.«
»Dann eben jemand anderen. Ich brauche einen OP und ein Team, das mir assistiert. In fünf Minuten bin ich wieder hier. Dann kann es losgehen.«
Ehe die Schwester auch nur ein Wort sagen konnte, war er auf dem Weg Richtung Ausgang. Er hatte Glück und erwischte Andrea Sander auf dem Parkplatz. Unterwegs war sie Fee Nordens Stellvertreter Volker Lammers begegnet. Im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen verstand sie sich prächtig mit ihm. Zu ihr war er stets freundlich. Die Vorwürfe, er sei eine menschliche Niete, tat sie daher als Neid ab.
Auch an diesem Abend auf dem Parkplatz hatten sie wieder Späße zusammen gemacht, ehe er sich verabschiedet hatte und zu seinem Wagen weitergegangen war.
Davon ahnte Dr. Norden nichts, als er Andrea zu seiner Erleichterung noch antraf.
»Warten Sie, Frau Sander!«, rief er über den Hof.
Als er auf sie zulief, tanzte sein Atem als weiße Wolke vor dem Mund.
Überrascht drehte sie sich um.
»Herr Dr. Norden! Ich dachte, Sie sitzen längst mit Ihrer Familie beim Abendessen.«
»Das dachte ich auch!« Keuchend blieb er vor ihr stehen. Er presste die Hände in die schmerzenden Flanken. Ein paar Meter weiter und verdeckt von einem Geländewagen lauschte Lammers interessiert dem Gespräch. »Wo kann ich Jenny erreichen?«
»Gar nicht. Das Handy ist aus und die Nummer des Hotels kenne ich nicht.« Das war noch nicht einmal gelogen.
Daniel war kurz davor, die Nerven zu verlieren. Anmerken ließ er es sich nicht.
»Es geht um einen Notfall. Frau Lohmeier. Ich muss sie operieren.«
Andrea Sander legte den Kopf schief.
»Frau Lohmeier?«, wiederholte sie so langsam, dass Daniel sie am liebsten geschüttelt hätte.
Mit neben dem Körper geballten Fäusten stand er vor ihr.
»Genau die.«
»Sie wissen doch, dass Frau Dr. Behnisch ein Operationsverbot verhängt hat.«
Volker Lammers hielt die Luft an. Jetzt wurde es spannend. Vollkommen unverhofft bot ihm das Schicksal wieder einmal eine Chance, seiner ärgsten Konkurrentin und ihrem Mann eins auszuwischen. Das neue Jahr begann wahrlich gut.
Selbst wenn Daniel geahnt hätte, dass der Intrigant Zeuge des Gesprächs wurde, hätte ihn das in diesem Moment nicht interessiert.
»Waren Sie heute schon bei Frau Lohmeier?«, fragte er scharf.
Andrea Sander sah ihn verdattert an.
»Nein. Was sollte ich auch da? Ich bin Chefsekretärin, keine Krankenschwester.«
»Aber ich war bei ihr. Deshalb werde ich sofort operieren. Ob mit oder ohne Jennys Einverständnis.« Mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt und hastete über den Parkplatz zurück in die Klinik.
Volker Lammers zögerte nicht lange. Er nutzte die Deckung der parkenden Autos, um sich ebenfalls zurück zu schleichen. Nur Andrea Sander stand da und überlegte verzweifelt, was sie jetzt tun sollte.
*
Während des Abendessens war jedes Mitglied der Familie Norden darum bemüht, Felix aufzumuntern.
»Erzähl doch mal von Amerika. Darfst du dann wirklich selbst fliegen?«, erkundigte sich Anneka. »Ein richtiges Flugzeug?« Allein der Gedanke machte sie schwindlig.
»Das ist der Plan«, gab Felix wortkarg zurück.
»Ich könnte mir vorstellen, dass das Fliegen nicht so das Problem ist.« Es war Danny, der die Frage seiner Schwester der Höflichkeit halber aufnahm. »Start und Landung sind wahrscheinlich viel spannender, als oben zu sein.«
»Merk dir: Ein guter Flieger hat genauso viele Starts wie Landungen«, warf Janni ein, und die Familie lachte.
Alle, außer Felix. Der ärgerte sich immer mehr darüber, dass sein Vater der Runde fern blieb. Dementsprechend schlecht war seine Laune.
»Mann, Felix, was ist denn eigentlich los mit dir?«, stellte Tatjana ihn schließlich zur Rede.
»Nichts. Warum?«, schnappte er zurück.
»Ich kann zwar nicht besonders gut sehen. Aber dein Gesicht ist so böse, dass ich auch so schon Angst bekomm.«
»Du und Angst?« Felix schnitt eine Grimasse. »Dass ich nicht lache.«
»Ja, lach doch einfach mal!«, machte Danny einen letzten Versuch, seinen Bruder aufzuheitern.
»Haha!«, knurrte Felix mürrisch und widmete sich wieder seinem Teller.
Fee, Danny, Anneka, Dési, Tatjana und Janni tauschten vielsagende Blicke. Doch niemand sagte mehr ein Wort.
Genauso wie April, die während der ganzen Mahlzeit geschwiegen hatte. Dabei hätte sie genug zu sagen gehabt, wagte es aber nicht. Verkrampft saß sie auf der äußersten Kante des Stuhls und stocherte in ihrem Essen herum. Ihr unsicherer Blick flog zwischen den Familienmitgliedern hin und her.
»Was ist?« Felix, der neben ihr saß, deutete auf ihren Teller. »Schmeckt’s dir nicht?«
Schon öffnete sie den Mund, um zu antworten. Dann fiel ihr ein, dass sie nicht sprechen sollte und nickte nur. Das genügte Felix als Antwort. Seine Gedanken kreisten ohnehin um ein anderes Thema.
»Seit ich weg bin, hab ich das Gefühl, überhaupt kein Teil dieser Familie mehr zu sein«, platzte er schließlich heraus.
»Was?« Annekas Schreck war echt. »Wie kommst du denn auf so einen Blödsinn?«
»Das frag ich mich allerdings auch«, pflichtete Janni ihr