Reisen mit leichtem Gepäck. Tove JanssonЧитать онлайн книгу.
»Na, das passt ja. Weißt du, damals galt nur das Informel, alle mussten das Gleiche machen.« Er sah mich an und als er merkte, dass ich keine Ahnung hatte, erklärte er: »Informel, das heißt ungefähr, unbegreiflich zu malen, nur Farbe. Das führte dazu, dass ältere, sehr gute Künstler sich in ihren Ateliers verkrochen und so wie die Jungen zu malen versuchten. Ängstlich wollten sie mithalten. Manchen gelang es, so halbwegs, und manche haben sich verirrt und nie mehr auf den richtigen Weg zurückgefunden. Aber deine Großmutter blieb bei ihrem Stil, und als alles vorbei war, hatte sie ihn immer noch. Sie war mutig, oder auch nur dickköpfig.«
Sehr vorsichtig bemerkte ich: »Aber vielleicht konnte sie einfach nicht anders arbeiten als auf ihre eigene Art?«
»Ausgezeichnet«, sagte Keke. »Sie musste einfach. Du tröstest mich.«
Als wir beim Hauseingang ankamen, sagte ich: »Seid jetzt bitte sehr leise, wir haben nämlich schwierige Nachbarn. Jonne, geh schon mal vor und hol, du weißt schon was, aus dem Kühlschrank.«
In der Wohnung stellte Jonne Rotwein und Gläser auf den Tisch, unsere Gäste machten es sich bequem und setzten ihre Unterhaltung fort. Licht brauchten wir keins, die Nacht war hell genug.
Etwas später erwähnte Jonne, er habe da etwas, das sie sich vielleicht anschauen könnten, und ich wusste, dass er ihnen sein Bootsmodell zeigen wollte. Daran arbeitet er seit zwei Jahren, jedes kleinste Detail ist von Hand gefertigt. Sie gingen ins Kabuff, wo Jonne das Deckenlicht anmachte. Ich hörte ein gedämpftes Gespräch, ließ sie aber in Ruhe und stellte den Kaffee auf.
Nach einiger Zeit kam Jonne in die Kochecke. »Sie haben gesagt, ich hätte die Lust«, flüsterte er. »Ich hätte eine Idee.« Er war sehr aufgewühlt und fuhr fort: »Aber das sei ja nicht ihre Idee, dieses Eine, wonach sie immer suchen.«
»Sehr schön!«, sagte ich. »Nimmst du den Kaffee, dann bringe ich den Rest.«
Als ich ins Zimmer kam, sprach Vilhelm gerade über die blühende Vogelkirsche, die wir unterwegs gesehen hatten. Er sagte: »Was soll man mit so was machen?«
»Lass sie blühen«, sagte Keke. »Aha, hier kommt unsere schöne Gastgeberin! Nicht wahr, man soll sie blühen lassen und einfach bewundern. Das ist eine Art zu leben. Der Versuch, sie noch einmal zu machen, ist eine andere Art. Das ist alles.«
Nachdem sie sich verabschiedet hatten, schwieg Jonne lange. Erst, als wir zu Bett gingen, sagte er: »Meine Lust ist vielleicht nicht so bemerkenswert, aber wenigstens ist es meine eigene.«
»Das ist sie«, sagte ich.
DAS FERIENKIND
Von Anfang an war klar, dass niemand auf »Backen« ihn mochte. Ein düsteres, mageres Kind von elf Jahren, das irgendwie hungrig aussah. Eigentlich hätte der Junge die natürliche Zärtlichkeit wecken sollen, die zum Beschützerinstinkt gehört, doch das tat er ganz und gar nicht. Zum Teil lag das an seiner Art, seine Umgebung anzusehen oder eher sie zu beobachten, mit einem misstrauischen, durchdringenden Blick, der alles andere als kindlich war. Und wenn er fertig geschaut hatte, äußerte er sich auf seine ganz eigene altkluge Art, und Herrje, was dieses Kind für geschraubtes Zeug von sich geben konnte!
Das wäre leichter zu übersehen gewesen, wenn Elis aus ärmlichen Verhältnissen gekommen wäre, doch das war nicht der Fall, seine Kleider und der Reisekoffer waren der pure Luxus, und an die Fähre gebracht wurde er vom väterlichen Auto. Das Ganze war per Anzeige und Telefon organisiert worden; die Familie Fredrikson nahm über den Sommer ein Ferienkind bei sich auf, aus reiner Herzensgüte und natürlich für ein geringes Entgelt. Axel und Hanna hatten lange über die Sache gesprochen, über Stadtkinder, die frische Luft, Wald, Wasser und gesundes Essen brauchten, sie hatten all das Übliche gesagt, was man eben so sagt, bis alle davon überzeugt sind, jetzt bleibt nur eins zu tun übrig, um richtig zu handeln und ein gutes Gefühl zu haben. Und dabei stand ihnen die ganze Juniplackerei bevor, viele Boote der Sommergäste lagen immer noch auf dem Slip, und ein paar davon waren noch nicht einmal vollständig überholt.
Nun, der Junge kam an und brachte einen Rosenstrauß für die Gastgeberin mit.
»Aber das wäre doch nicht nötig gewesen«, lobte Hanna ihn.
»Den hat wohl deine Mama mitgeschickt?«
»Nein, Frau Fredrikson«, antwortete Elis, »meine Mutter hat noch einmal geheiratet. Den Strauß hat mein Papa gekauft.«
»Sehr freundlich … Aber warum hat er denn nicht gewartet? Hat er keine Zeit gehabt?«
»Leider nicht, er musste zu einer wichtigen Konferenz. Er lässt Grüße ausrichten.«
»Aha, ja«, sagte Axel Fredriksson, »na, dann gehen wir jetzt an Bord und fahren los. Die Kinder sind völlig aus dem Häuschen, weil sie sich so auf dich freuen. Einen schönen Koffer hast du da.«
Und Elis teilte mit, dass der achthundertfünfzig Mark gekostet habe.
Axels Boot war ziemlich groß, ein solides Fischerboot mit Kajüte, Axel hatte es selbst gebaut. Der Junge stellte sich ungeschickt an, als er an Bord gehen sollte. Und als der erste Spritzer kam, umklammerte er die Bank, auf der er saß, und kniff die Augen fest zu.
Hanna sagte: »Axel, fahr doch etwas langsamer.«
»Er kann ja in die Kajüte gehen.«
Aber Elis traute sich nicht, die Bank loszulassen, und unterwegs sah er kein einziges Mal aufs Wasser hinaus.
Beim Anleger warteten die Kinder voller Spannung, Tom, Oswald und die kleine Camilla, Mia genannt.
»So«, sagte Axel, »hier habt ihr Elis. Angeblich ist er gleich alt wie Tom, also müsstet ihr euch gut verstehen.«
Elis kletterte auf den Anleger, trat auf Tom zu, gab ihm die Hand, verbeugte sich kurz und sagte: »Elis Gräsbäck.« Dies wiederholte er mit Oswald, Mia dagegen sah er nur an. Sie kicherte hemmungslos und hielt sich die Hände vor den Mund. Dann gingen alle zum Haus hinauf, Axel trug den Koffer und Hanna den Korb mit den Einkäufen aus dem Laden. Sie stellte Kaffee auf, die Brote waren schon fertig hergerichtet. Die Kinder saßen um den Tisch und starrten Elis an.
»Bitte bedien dich, Elis«, nötigte Hanna ihn. »Du bist neu hier, da darf man als Erster zulangen.«
Elis erhob sich zur Hälfte, verbeugte sich leicht, nahm ein Brot und erklärte, für die Jahreszeit sei es ungewöhnlich warm. Die Kinder starrten ihn wie verhext unverwandt an, und Mia sagte: »Mama? Warum ist er so?«
»Sei still«, sagte Hanna. »Nimm doch etwas Lachs, Elis. Am Donnerstag haben wir vier Stück heraufgeholt.«
Elis erhob sich wieder und bemerkte, seltsamerweise gebe es immer noch Lachs, obwohl das Wasser so verunreinigt sei, danach teilte er ihnen mit, wie viel der Lachs in der Stadt koste, das heißt für Leute, die es sich erlauben könnten, werktags Lachs zu essen. Irgendwie brachte er sie dazu, sich unbehaglich zu fühlen.
Gegen Abend, als Tom ans Ufer hinunterging, um den Abfalleimer ins Wasser zu leeren, kam Elis hinterher, sah, was Tom da machte, und begann einen Vortrag über das vergiftete Meer vom Stapel zu lassen und über Leute, die sich asozial verhielten und mithalfen, die ganze Welt zugrunde zu richten.
»Er ist so komisch«, sagte Tom. »Man kann sich gar nicht mit ihm unterhalten. Er redet bloß darüber, was alles vergiftet ist und was die Sachen kosten.«
»Reg dich nicht auf«, entgegnete Hanna. »Er ist unser Gast.«
»Was heißt schon Gast! Er läuft andauernd hinter mir her!«
Tatsächlich, wohin Tom auch ging, hatte er Elis auf den Fersen, jeden Tag, im Bootsschuppen, am Angelsteg, auf dem Holzplatz, einfach überall.
Zum Beispiel so: »Was machst du da?«
»Eine Schöpfkelle, das sieht man doch.«
»Warum habt ihr keine Schöpfkellen aus Plastik?«
»Wär ja noch schöner«, antwortete Tom verächtlich,