Dr. Norden Staffel 6 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
gezogen werden. Außerdem befindet sie sich in einem schwierigen seelischen Zustand.«
Das war nicht genau das, was die Klinikchefin hören wollte.
»Hier steht etwas von Panikattacken und Verfolgungswahn«, bemerkte sie und klopfte mit den Fingerspitzen auf die Akte. »Ist es das, was du unter ›schwierigem seelischen Zustand‹ verstehst?«
Volker Lammers saß schweigend am Tisch und lauschte dem Gespräch. Er machte sich nicht die Mühe, sich ein Grinsen zu verkneifen. Daniel übersah es gekonnt und konzentrierte sich auf seine Freundin.
»Ehrlich gesagt habe ich gestern herausgefunden, dass Heike Moebius unter einer bereits diagnostizierten Schizophrenie leidet«, gestand er, als es Lammers nicht länger aushielt.
»Und das sagen Sie so einfach?«, schnaubte er, und plötzlich war alles Grinsen aus seinem Gesicht verschwunden. »Sind Sie sich im Klaren darüber, welchem Risiko Sie die anderen Patienten aussetzen? Ich habe es gestern selbst miterlebt. Die Moebius hat sich aufgeführt wie eine Verrückte.«
Daniel legte den Kopf schief und sah seinen Kontrahenten an.
»Täusche ich mich oder leiden Sie auch unter Stimmungsschwankungen? Vor einer Minute haben Sie noch gelacht und jetzt sind Sie fast aggressiv. Ich muss mich schon sehr wundern, Kollege Lammers.« Er schnalzte mit der Zunge, und Jenny hätte am liebsten laut herausgelacht.
Doch sie besaß mehr Selbstbeherrschung als der Kinderarzt und verzog keine Miene.
»Frau Moebius hatte also gestern Abend wieder einen Anfall?«, wandte sie sich an Daniel.
»Davon höre ich jetzt zum ersten Mal.«
»Nur für den Fall, dass Sie mir nicht glauben«, presste Lammers durch die Lippen. »Ich habe Zeugen.«
»Schon gut«, winkte Jenny Behnisch ab, ohne den Blick von ihrem Freund zu wenden. »Wenn du von den Anfällen wusstest, hast du sicher auch einen Plan, wie es weitergehen soll. Dass die Patientin nur so lange hier bleiben kann, wie eine medizinische Indikation gegeben ist, ist dir mit Sicherheit klar.«
»Ich würde sie gern hier behalten, bis die Fäden gezogen sind«, erwiderte Daniel und schenkte sich ein Glas Wasser aus einer der Flaschen ein, die auf dem Tisch standen. »Die Wunden heilen nicht so gut wie erwartet, und es ist eine Infektion zu befürchten.«
Diese Bemerkung war nicht imstande, Volker Lammes zu erheitern.
»Das sind doch nur faule Ausreden!« Wie um seine Worte zu unterstreichen, schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch. »Sie wissen genau, dass die Patientin nicht hierher, sondern in eine Psychiatrie gehört!«
»Sie unterstellen dem Kollegen Lügen?«, fragte Jenny und zog eine Augenbraue hoch zum Zeichen ihrer Missbilligung.
Volker Lammers klappte den Mund wieder zu, und sie wendete sich an Daniel.
»Habe ich das richtig verstanden? Frau Moebius soll noch zwei bis drei Tage hier bleiben?«
Daniel nickte.
»Das wäre das Beste für sie.«
»Das Beste wäre eine entsprechende Behandlung«, knurrte Lammers, immer noch nicht willens, sich zu fügen. »Was, wenn die anderen Patienten von dieser Verrückten Wind bekommen? Was, wenn sie in ihre Zimmer stürmt und Angst und Schrecken verbreitet, weil sie meint, Mörder wären hier unterwegs?« Er wandte sich an Jenny und sah sie aus schmalen Augen an. »Sie sind doch eine intelligente Frau«, fuhr er härtere Geschütze auf. »Was dann passiert, muss ich Ihnen doch nicht sagen, oder?«
Wohl oder übel musste die Klinikchefin eingestehen, dass sie dieses Argument nicht außer Acht lassen konnte.
»Wie hast du dir das vorgestellt? Personell bin ich nicht in der Lage, eine Schwester für ihre persönliche Betreuung abzustellen«, teilte sie ihrem Freund mit.
»Das ist mir durchaus klar«, räumte Daniel ein. »Ich werde gleich im Anschluss nochmal mit Frau Moebius reden. Wenn Sie sich bereit erklärt, Psychopharmaka zu nehmen, bin ich ziemlich sicher, dass die Anfälle ausbleiben.«
Mit diesem Vorschlag konnte Jenny Behnisch leben und beendete die außerordentliche Besprechung. Der nächste Termin saß ihr schon im Nacken, und sie musste sich beeilen, um nicht zu spät zu kommen. Daniel machte sich auf den Weg zu Frau Moebius. Im Anschluss wollte er Marla ins Gewissen reden und sie von einem Treffen mit ihrer Mutter überzeugen. Und auch Volker Lammers kehrte notgedrungen an seine Arbeit zurück. Wieder hatte er sein Ziel – die Entmachtung von Fee Norden – nicht erreicht. Doch es würden sich andere Gelegenheiten ergeben, und er würde nicht eher ruhen, bis er zuerst stellvertretender und irgendwann Chef der Pädiatrie der Behnisch-Klinik sein würde.
*
»Hast du eine Ahnung, wo der Ordner mit den Kontoauszügen hingekommen ist, Prinzessin?«, rief Pascal durch die Wohnung, die er vor kurzem mit seiner Verlobten bezogen hatte. Obwohl sämtliche Umzugskisten bereits ausgeräumt und der Inhalt in Schränken und Schubladen verschwunden war, herrschte noch ein ziemliches Durcheinander. Das war auch der Grund, warum die beiden sich an diesem Tag freigenommen hatten.
Als der Galerist keine Antwort bekam, machte er sich auf die Suche nach seiner Braut. Er fand sie im Wohnzimmer, wo sie am Fenster stand und offenbar tief in Gedanken versunken hinausblickte.
»Prinzessin!«, wiederholte er dicht hinter ihr, und wie von der Tarantel gestochen fuhr Marla herum.
Dabei wischte sie mit dem Ärmel übers Fensterbrett und riss einen Blumentopf mit sich. Krachend zerbarst er auf dem Boden, und die Erde spritzte zu allen Seiten.
»Bist du verrückt geworden?«, fauchte sie, und schlagartig standen ihr Tränen in den Augen. »Wie kannst du mich so erschrecken?«
»Aber ich hab doch schon aus dem Arbeitszimmer gerufen, und du hast mich nicht gehört«, verteidigte er sich völlig verdattert. »Was ist denn nur los mit dir? Seit zwei Tagen bist du wie verwandelt. So schreckhaft und streitsüchtig bist du doch sonst nicht.«
Marla fühlte sich ertappt, und das Blut schoss ihr ins Gesicht.
»Stimmt doch gar nicht«, wehrte sie sich, als zu ihrer Erleichterung das Telefon klingelte. »Gehst du ran? Dann räume ich inzwischen den Dreck hier weg.«
Um des lieben Friedens willen war Pascal einverstanden und machte sich auf die Suche nach dem Apparat. Kurz darauf reichte er Marla den Hörer und nahm ihr Kehrblech und Besen aus der Hand.
»Hier, für dich. Dr. Norden will dich sprechen.«
Die werdende Mutter riss die Augen auf und wollte im ersten Moment schreiend davon laufen. Da das aber schwer möglich war, ohne Pascals Verdacht zu erregen, griff sie nach dem Apparat und verließ das Zimmer.
»Warum rufst du mich hier an?«, fragte sie statt eines Grußes. Ihre Hand zitterte und sie drehte sich um, um sicherzugehen, dass Pascal sie nicht hörte. »Wenn es wegen meiner Mutter ist …«
»Es ist wegen deiner Mutter. Und nein, du legst jetzt nicht auf, sondern hörst mir zu!« Daniel Nordens Tonfall ließ keinen Widerspruch zu.
Marla schluckte.
»Okay.« Ihre Stimme war ein tonloses Flüstern.
Doch ihre Zusage war mehr, als Daniel zu hoffen gewagt hatte.
»Ich brauche eine Unterschrift von dir«, fuhr er fort. »Deine Mutter muss demnächst in eine andere Klinik verlegt werden.« Er konnte nur hoffen, dass sie ihm seine kleine Lüge abnahm. »Sie ist nicht mehr zurechnungsfähig.« Es tat ihm leid, zu so drastischen Mitteln greifen zu müssen. Doch die Bäckerin ließ ihm keine Wahl.
Tatsächlich zögerte Marla.
»Warum von mir?«
»Weil du die einzige Angehörige bist«, war Daniel nicht bereit aufzugeben. Seine Hartnäckigkeit zeigte Erfolg.
Marla haderte noch einen Moment mit sich. Dann gab sie schließlich nach.
»Also