Dr. Norden Staffel 6 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
Familie.
»Das hätte ich mir eigentlich denken können!« Marla lachte übers ganze Gesicht und bat Pascal, ihr gleich am nächsten Tag ein Foto des Kinderzimmers mit in die Klinik zu bringen.
»Dein Wunsch ist mir Befehl.« Er beugte sich über sie, um sie zärtlich zu küssen, ehe er sich an Tatjana wandte. »Wo seid ihr denn heute Abend alle? Dann lasse ich eine ganze Kiste Champagner und Kaviar vorbei bringen.«
»Nicht nötig. Ich hab die Meute schon mit Pizza versorgt«, grinste Tatjana sehr zu Pascals Entsetzen. »Und ich muss mich jetzt auch verabschieden. Danny und eine Pizza Capricciosa allein daheim … Das kann eigentlich nicht gut gehen!« Mit diesen Worten verabschiedete sie sich für diesen Abend von Marla und Pascal und machte sich gut gelaunt auf den Heimweg, sich des Glückes wohlbewusst, das ihr mit ihrem Freund und seiner Familie jeden Tag aufs Neue widerfuhr. Sie konnte nur hoffen, dass Marla mit Pascal eine ähnlich gute Wahl getroffen hatte. Doch zumindest in diesem Moment sah alles danach aus.
*
Von so einer ausgelassenen Stimmung war Dr. Daniel Norden an diesem Abend weit entfernt. Obwohl er kein Spezialist war, hatte ein Blick auf die Aufnahmen genügt, um zu wissen, dass Lukas nicht nur an einer Lungenentzündung litt. Der Kollege Lammers bestätigte diesen Verdacht gleich darauf.
»Im linken Lungenlappen hat sich offenbar Eiter angesammelt«, murmelte er, als er am Schreibtisch vorm Computer saß. Seine Miene war ernst, und aller Hohn und Spott war daraus verschwunden. In diesem Moment war er ganz und gar verantwortungsvoller Arzt, der sich auf das Leid seines Patienten konzentrierte.
Mit Entsetzten hatten die Eltern diese Diagnose aufgenommen.
»Aber wie kann das sein?«, fragte Helmut mühsam beherrscht.
»Ein sogenanntes Empyem in der Lunge kann durch verschiedene Organismen verursacht werden«, erklärte Volker Lammers und lehnte sich zurück, um Helmut anzusehen. »Streptococcus aureus ist die verbreitetste Ursache in allen Altersgruppen und für den Großteil solcher Erkrankungen bei Säuglingen und Kleinkindern verantwortlich. Hat Ihnen das der Kollege Norden denn nicht gesagt?« Mit dieser Bemerkung verflog der Eindruck des wohlwollenden Mediziners, und der Sarkasmus gewann wieder Überhand.
»Natürlich hat uns Dr. Norden über dieses Risiko aufgeklärt«, ergriff Nina sofort Partei für ihren Arzt. »Aber wir stimmen mit ihm überein, dass man nicht immer gleich vom schlimmsten Fall ausgehen muss. Deshalb haben wir abgewartet.«
»Ein böser Fehler«, entfuhr es Dr. Lammers. »Der mit Eiter gefüllte Hohlraum muss dringend entleert werden. Dazu wird ein Schlauch in die Brust Ihres Sohnes gelegt. Das alles wäre ihm erspart geblieben, wenn der Kollege rechtzeitig reagiert hätte.«
»Schießen Sie immer gleich mit Kanonen auf Spatzen?«, konnte sich Daniel diese Unterstellungen nicht länger gefallen lassen. »Das Empyem hätte sich auch in der Klinik bilden können.«
»Das ist Ihre ganz persönliche Meinung.«
Daniel stand neben Volker Lammers und atmete ein paar Mal tief ein und aus.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich diese Diskussion gern auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.« Nichts in seiner Stimme verriet seine innere Erregung. »Ich würde jetzt lieber den Eingriff besprechen und mich im Anschluss um Lukas kümmern.«
»Diese Sorge können Sie getrost mir überlassen, Kollege Norden.« Volker Lammers stand auf und nickte den Eltern zu. »Eine Schwester bringt Sie in einen Aufenthaltsraum. Ich lasse Sie rufen, sobald wir im OP fertig sind.«
Helmut und Nina Claas tauschten Blicke, die von dem tiefen Verständnis des Ehepaars sprachen.
»Wir möchten, dass Dr. Norden bei dem Eingriff dabei ist«, tat Lukas‘ Vater seine und die Meinung seiner Frau kund. »Natürlich nur, wenn er einverstanden ist.« Ein wenn auch verhaltenes Lächeln spielte um seine Lippen, als er Daniel Norden das Vertrauen aussprach.
»Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Lukas zu helfen«, versprach Daniel ohne Triumph in der Stimme.
Er war nur froh, dass Blicke nicht töten konnten, denn es war so sicher wie das Amen in der Kirche, dass er andernfalls auf der Stelle tot umgefallen wäre.
*
»Was für ein Tag!«, seufzte Daniel Norden, als er an diesem Abend endlich neben seiner Frau auf dem Sofa saß.
»Mein armer Liebling!« Fees Mitgefühl war echt, als sie den Arm um seine Schultern legte und ihn an sich zog. Noch wusste sie nicht, was sich in der Klinik abgespielt hatte. Aber sie kannte ihren Mann gut genug, um zu wissen, wie erschöpft er ewar.
Einen Moment lang saß das Ehepaar reglos da, völlig versunken in die Nähe des anderen. Erst als sein Magen laut und vernehmlich knurrte, erwachte Daniel aus seiner Versunkenheit.
»Oh, das klingt nach einer Reklamation«, stellte Fee fest und stand auf.
»Hat die gefräßige Meute was zum Essen übrig gelassen?«
Fee war schon an der Tür, als sie sich noch einmal umdrehte.
»In weiser Voraussicht habe ich eine Pizza für dich mitbestellt und sie versteckt«, beruhigte sie ihren Mann.
Nur ein paar Minuten später kehrte Felicitas mit einem Tablett in der Hand zurück. Sie brachte nicht nur die versprochene Pizza, sondern auch noch eine Schüssel Salat und eine Flasche Wein mit. »Das hast du dir redlich verdient«, erklärte sie, als sich Daniel bedankte.
»Habe ich dir schon mal gesagt, dass du die beste Ehefrau, Mutter und Liebhaberin von allen bist?«, fragte er und griff nach der Gabel, um eine Tomate aufzuspießen und in den Mund zu stecken.
»Du hast die Ärztin vergessen«, machte Fee ihn auf sein Versäumnis aufmerksam und zwinkerte ihm zu zum Zeichen, dass sie scherzte.
Doch diese Bemerkung erinnerte Daniel unwillkürlich an Volker Lammers.
»Tut mir leid. Aber dieses Prädikat hat schon dein Kollege Lammers für sich reserviert.«
Als Felicitas diesen Namen hörte, verdrehte sie die Augen.
»Sag bloß, du hattest das Vergnügen, ihm heute zu begegnen.«
»Ich durfte sogar mit ihm im OP stehen und mich vor meinen Patienten maßregeln lassen.« Während Daniel sein Abendessen verspeiste, berichtete er seiner Frau von den ungeheuerlichen Begebenheiten in der Klinik.
Gelassenheit und Ruhe waren normalerweise herausstechende Eigenschaften der Ärztin. Doch im Zusammenhang mit Volker Lammers war Fee nahe dran, sich zu vergessen.
»So ein Vollidiot!«
Mit dieser Bemerkung brachte sie Daniel zum Lachen.
»Entschuldige! Aber so ein Wort aus deinem Mund ist wirklich ungewöhnlich.«
»Es ist ja auch mehr als ungewöhnlich, dass Jenny so jemanden einstellt und auch noch mit dieser Beharrlichkeit an ihm festhält.« Felicitas schüttelte den Kopf, dass ihr Haar mit der Farbe von reifem Weizen hin und her schwang.
Daniel nahm eine weitere Pizzaecke und aß die Hälfte davon, ehe er antwortete.
»Einerseits gebe ich dir natürlich recht. Wenn Lammers mit allen Leuten so umspringt, wird über kurz oder lang der Ruf der Klinik leiden. Andererseits hat er heute wirklich gute Arbeit geleistet.« Er griff nach seinem Glas Wein und stieß mit Fee an. »Immerhin hat er Lukas eine Vollnarkose erspart. Wie er unter örtlicher Betäubung den Schlauch gesetzt hat, um den Eiter abzusaugen … das war schon bemerkenswert«, zollte Dr. Norden dem Kollegen seinen Respekt.
»Ich finde die Reaktion der Eltern viel bemerkenswerter«, wollte Fee allerdings nichts davon wissen und schielte auf das Stück Pizza in Daniels Hand. »Dass sie dich dabeihaben wollten, spricht für ihre Menschenkenntnis.« Ehe Daniel begriff, wie ihm geschah, beugte sie sich blitzschnell zu ihm hinüber und biss ein Stück von seiner Pizza ab. Sie hatte der Versuchung nicht länger widerstehen können.
»Aber