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Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo TolstoiЧитать онлайн книгу.

Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi


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Dann trat er auf Basarew zu, welcher mit weitaufgerissenen Augen hartnäckig nur nach seinem Kaiser blickte. Die kleine, weiße Hand mit dem Orden bewegte sich nach einem Knopfloch des Soldaten Basarew, russische und französische dienstfertige Hände hefteten das Kreuz an die Uniform. Basarew blickte finster nach dem kleinen Mann mit den weißen Händen, stand unbeweglich mit präsentiertem Gewehr da und blickte Kaiser Alexander an, als ob er fragen wollte, ob er noch länger da stehen solle, ob er nicht zurücktreten oder sonst etwas anderes tun solle. Aber er erhielt keinen Befehl und blieb ziemlich lange in dieser unbeweglichen Stellung.

      Die Kaiser stiegen zu Pferde und ritten weiter. Die Russen öffneten die Reihen, mischten sich mit den französischen Gardisten und setzten sich an die Tische, welche für sie errichtet worden waren. Basarew saß auf einem Ehrenplatz. Er wurde umarmt und beglückwünscht, französische und russische Offiziere drückten ihm die Hände. Von den Tischen her erschallte ein Stimmengewirr; man hörte russische und französische Worte und Gelächter. Zwei Offiziere gingen heiter und glücklich an Rostow vorüber.

      »Was das für eine Bewirtung ist, alles von Silber« sagte der eine. »Haben Sie Basarew gesehen?«

      »Ja.«

      »Morgen, sagt man, wird die russische Garde die französische bewirten.«

      »Nein, was dieser Basarew für ein Glück hat! Lebenslänglich zwölfhundert Franken Pension!«

      »Seht, Kinderchen, was für eine Mütze!« rief ein russischer Gardist mit einer französischen Bärenmütze auf dem Kopfe.

      »Merkwürdig! Hübsch! Famos!«

      Boris kam mit seinem Kameraden Schilinsky auch, um das Bankett anzusehen. Als Boris wieder zurücktrat, bemerkte er Rostow, welcher an der Ecke eines Hauses stand.

      »Rostow! Guten Tag!« rief Boris. »Wir haben uns noch nicht gesehen!«

      Er konnte sich nicht enthalten zu fragen, was ihm begegnet sei, so finster und seltsam war Rostows Miene.

      »Nichts! Nichts!« erwiderte Rostow.

      »Ja, später.«

      »Du kommst doch zu mir?«

      Rostow stand lange an der Ecke und sah von ferne dem Gelage zu. In seinem Innern ging eine angestrengte Arbeit vor sich, welche er nicht zu Ende bringen konnte. Schreckliche Zweifel erhoben sich in ihm. Er erinnerte sich an Denissow mit seinem veränderten Wesen und an das Hospital mit diesen abgeschnittenen Armen und Beinen, mit diesem Schmutz und den Krankheiten, und er glaubte wieder diesen Leichengeruch wahrzunehmen. Dann dachte er wieder an diesen selbstzufriedenen Bonaparte mit seinen weißen Händchen, welcher jetzt Kaiser war, und vom Kaiser Alexander geliebt und verehrt wurde. Wozu nun die abgeschnittenen Arme und Beine und die Menge der getöteten Menschen? Dann fiel ihm ein, wie Basarew belohnt, Denissow aber bestraft wurde, und ertappte sich selbst auf so schrecklichen Gedanken, daß er davor erschrak. Der Geruch der Speisen und der Hunger erinnerten ihn an seinen eigenen Zustand. Er mußte etwas essen vor der Abreise und trat in ein Gasthaus, das er am Morgen gesehen hatte. Es war so überfüllt von Leuten aller Art und auch von Offizieren, welche wie er in Zivilkleidung gekommen waren, daß er kaum Platz finden konnte. Zwei Offiziere von derselben Division wie er setzten sich zu ihm. Bald kam das Gespräch auf den Frieden. Die Offiziere, Rostows Kameraden, wie der größte Teil der Armee waren unzufrieden darüber, daß nach der Schlacht bei Friedland Friede geschlossen wurde, sie meinten, man hätte noch standhalten sollen, Napoleon wäre verloren gewesen, seine Truppen hätten weder Proviant noch Munition mehr. Nikolai aß schweigend und trank allein zwei Flaschen Wein. Seine innerliche Arbeit, die zu keiner Lösung gelangte, beunruhigte ihn noch immer. Er fürchtete sich, seinen eigenen Gedanken sich hinzugeben, und konnte sich ihrer doch nicht entledigen. Nach einer mißfälligen Bemerkung eines der Offiziere über die Franzosen fuhr Rostow plötzlich auf mit einer Heftigkeit, welche durch nichts gerechtfertigt war und daher die Offiziere sehr in Erstaunen setzte.

      »Wie können Sie darüber urteilen, was besser wäre?« rief er mit hochrotem Gesicht. »Mit welchem Recht urteilen Sie über die Handlungen des Kaisers? Wir können weder die Absichten noch die Handlungen des Kaisers begreifen!«

      »Ich habe kein Wort vom Kaiser gesagt«, rechtfertigte sich der Offizier, der sich den Ausbruch Rostows nur dadurch erklären konnte, daß er ihn für betrunken hielt.

      Aber Rostow hörte ihn nicht an.

      »Wir sind keine diplomatischen Beamten, wir sind Soldaten, weiter nichts«, fuhr er fort. »Befiehlt man uns zu sterben – so sterben wir, und wenn jemand bestraft wird, so heißt das, daß er schuldig sei! Nicht uns kommt es zu, darüber zu urteilen! Wenn es dem Kaiser gefällt, Bonaparte als Kaiser anzuerkennen und ein Bündnis mit ihm zu schließen, so bedeutet das, daß es so sein muß. Wenn wir über alles urteilen und räsonieren wollen, so gibt es nichts Heiliges mehr! Ebensogut können wir sagen, es gibt keinen Gott und nichts mehr!« schrie Nikolai und schlug auf den Tisch. Was nach den Begriffen der Zuhörenden ganz verworren war, erschien ihm durchaus konsequent und zu seiner Gedankenreihe passend. »Wir haben nur unsere Pflicht zu erfüllen, uns zu schlagen, aber nicht nachzudenken!« schloß er.

      »Und zu trinken!« sagte einer der Offiziere, der Streit vermeiden wollte.

      »Ja, und zu trinken« wiederholte Nikolai. »Kellner, noch eine Flasche!« schrie er.

      89

       Inhaltsverzeichnis

      Im Jahre 1808 fuhr Kaiser Alexander nach Erfurt zu einer neuen Zusammenkunft mit dem Kaiser Napoleon, und in den höchsten Kreisen Petersburgs sprach man viel über die Pracht und Großartigkeit dieses feierlichen Kongresses. Im Jahre 1809 war die Annäherung der beiden Beherrscher der Welt, wie Napoleon und Alexander genannt wurden, so weit gelangt, daß nach der Kriegserklärung Napoleons an Österreich ein russisches Korps an die Grenze rückte, um seinem früheren Feind Bonaparte gegen den früheren Verbündeten, den Kaiser von Österreich, beizustehen. Man sprach sogar in den höchsten Kreisen von einer Heirat zwischen Napoleon und einer Schwester des Kaisers Alexander. Aber außer den politischen Ereignissen war die Aufmerksamkeit der russischen Gesellschaft mit großer Spannung auch auf die inneren Reformen gerichtet, welche zu dieser Zeit in allen Teilen der kaiserlichen Regierung eingeführt weiden sollten.

      Fürst Andree lebte still und zurückgezogen zwei Jahre lang auf dem Lande. Alle diese Arbeiten und Unternehmungen in der Verwaltung seiner Güter, welche Peter bei sich anfing, ohne sie zu irgendeinem Resultat zu bringen, da er beständig von einer Sache zur andern überging, alle diese Arbeiten wurden auch vom Fürsten Andree begonnen und durchgeführt ohne die geringste bemerkbare Mühe.

      Er besaß im höchsten Grade jene praktische Geschicklichkeit, welche ohne Anstrengung und Unruhe alles in Bewegung setzt, die aber Peter gänzlich fehlte.

      Die dreihundert Seelen, welche eines seiner Güter bewohnten, wurden in freie Bauern verwandelt. Das war eines der ersten Beispiele in Rußland. Auf andern Gütern wurde die Fronarbeit in eine Geldabgabe verwandelt. In Bogutscharowo wurde auf Kosten des Fürsten eine gelernte Hebamme angestellt, und der Geistliche unterrichtete die Kinder der Bauern in Lesen und Schreiben. Die eine Hälfte seiner Zeit verbrachte Fürst Andree in Lysy Gory bei seinem Vater und seinem Sohn, der noch in weiblicher Obhut war, die übrige Zeit verlebte er auf seinem eigenen Gut Bogutscharowo. Die Weltereignisse verfolgte er eifrig, las viele Bücher und bemerkte zu seinem Erstaunen, wenn Gäste aus Petersburg kamen, daß diese Leute, welche Gelegenheit hatten, alle Ereignisse der inneren und äußeren Politik an der Quelle kennenzulernen, in der Kenntnis derselben gegen ihn sehr zurückstanden, obgleich er einsam auf dem Lande lebte. Neben der Verwaltung seiner Güter und der Lektüre von Büchern aller Art, beschäftigte sich Fürst Andree um diese Zeit auch mit einer kritischen Beschreibung unserer beiden letzten unglücklichen Feldzüge und mit der Ausarbeitung eines Projekts über die Reform unserer Gesetze und Bestimmungen über das Heerwesen. Im Herbst kam er auf den Gedanken, nach Petersburg zu reisen und erdachte sich eine ganze Reihe von vernünftigen, logischen Gründen, warum er durchaus nach Petersburg reisen


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