Butler Parker Jubiläumsbox 6 – Kriminalroman. Günter DöngesЧитать онлайн книгу.
Für später, wenn er selbst wieder aktiv wurde. Daß es hinunter zum Hafen ging, wunderte ihn nicht sonderlich. Dort gab es schließlich die meisten und besten Verstecke.
Parker dachte darüber nach, wer ihn wohl entführt haben mochte. Freunde des erhängten Frank Carpenter? Oder dessen Feinde? Ging es um die Brieftasche? Nun, die hatte der wahrscheinliche Mörder bei seiner Flucht aus dem Warenhauslift ja gerade noch mitgehen lassen können.
Es stimmte den Butler sehr nachdenklich, daß die beiden Entführer nicht darauf bestanden, ihm die Augen zu verbinden. Das Hafengebiet war bereits erreicht. Ihnen war es gleichgültig, ob Parker sah, wohin die Fahrt ging oder wo sie endete.
Sollte das bedeuten, daß sie ihm so oder so keine Gelegenheit mehr geben wollten, darüber etwas zu berichten? Mit anderen Worten: Planten sie seine Ermordung …?
*
Anwalt Mike Rander, der junge, sympathische Strafverteidiger aus Chikago, Arbeitgeber und Freund des Butlers, hatte eine Niete gezogen. Die Adresse auf dem Telegrammformular entpuppte sich als Schnellimbiß. Die beiden Männer hinter der Theke wußten weder etwas von einem Ted Surtees noch von einem Telegramm. Sie zeigten auf die beiden Telefonzellen im Hintergrund des Lokals. Von dort aus konnte schließlich jeder ein Telegramm absetzen und dann schleunigst verschwinden.
Mike Rander verlor keine Zeit damit, sich weiter nach Surtees zu erkundigen.
Er trat wieder auf die Straße und wartete auf seinen Butler.
Als insgesamt dreißig Minuten verstrichen waren, schlenderte Mike Rander ein Stück die Straße hinunter. Weit und breit war von Parker nichts zu sehen. Um das Verfahren abzukürzen, bog Rander in eine Seitenstraße ein und erreichte die Mason Street. Er hatte Glück, in eine gerade abfahrende Cable-Car einsteigen zu können. Rumpelnd, rasselnd und schwerfällig setzte dieses seltsame Gefährt sich in Bewegung. Es kroch die schwindelnde Steilstrecke mit dem Temperament einer angefeuerten Schildkröte empor.
Nach zehn Minuten erreichte Mike Rander das Haus, in dem Frank Carpenter wohnte. Auch er hielt sich an die Hinweistafeln und stieg hinauf in die zweite Etage. Nach dem Klingeln öffnete ihm Helen Angus, die Nichte Carpenters.
»Sie wünschen?« fragte Helen Angus nervös.
»Eine Frage: Wurden Sie von einem Mr. Josuah Parker besucht? Ich wollte mich hier mit ihm treffen.«
»Mr. Parker? Ein älterer Herr, recht ungewöhnlich gekleidet?«
»Das ist er.«
»Er ist vor gut einer halben Stunde bereits gegangen.«
»Sie sind eine Verwandte von Mr. Frank Carpenter?«
»Stimmt. Nähere Einzelheiten kann Ihnen Ihr Bekannter mitteilen. Ich bin in Eile. Verzeihen Sie, aber ich bin auch etwas nervös.«
»Sie wollen verreisen?«
»Ich ziehe mich nur zurück in meine Wohnung.«
»Ich werde nicht weiter stören«, entschuldigte sich Mike Rander. Er grüßte und verließ die Tür. Auf der Straße angekommen, wandte er sich nach links und ging die steile Straße hinunter.
Er war sicher, von der blonden, jungen Dame beobachtet zu werden. Deshalb bezwang er auch seinen Wunsch, sich umzuwenden und das Fenster zu beobachten. Die junge Dame sollte glauben, er warte nicht in der Nähe des Hauses, sondern gehe wirklich.
In einer Seitenstraße hielt Mike Rander Ausschau nach einem Taxi. Er unterdrückte einen Fluch. Gerade jetzt, wo er solch einen Wagen brauchte, war kein Taxi zu sehen. Und er brauchte unbedingt einen Wagen, um die junge Dame aus Carpenters Wohnung verfolgen zu können. Er wußte nicht, wer sie war, welche Rolle sie spielte. Er spürte nur, daß er sie nicht aus den Augen verlieren durfte. Alles, was mit dem Mord an Carpenter auch nur entfernt zusammenhing, mußte beobachtet werden.
Er wandte sich an einen dicklichen, gemütlich aussehenden Mann, der mit zwei großen, schweren Koffern aus einem Schuhgeschäft herauskam. Wahrscheinlich ein Vertreter, der seine Musterkoffer verstauen wollte.
»Können Sie mir helfen?« fragte Rander.
»Sagen Sie mir erst, wie diese Hilfe aussehen soll.«
»Meine Freundin zieht um. Sie will mir nicht sagen, wohin.«
»Ihr Pech.« Der Vertreter lächelte.
»Ich erstatte Ihnen alle Auslagen, wenn Sie ihr nachfahren. Zusammen mit mir.«
»Soll das ein fauler Witz sein?« fragte der Vertreter mißtrauisch.
»Hier, meine Karte«, sagte Rander und überreichte dem Vertreter seine Visitenkarte. Dazu packte er einen 20-Dollar-Schein.
»Sieht gut aus«, meinte der Vertreter.
»Sieht noch besser für Sie aus, wenn Sie sich beeilen. Es wird nur ein paar Minuten dauern, bis ich in ein Taxi umsteigen kann.«
»Schön, fahren wir los«, erwiderte der dickliche Mann und grinste vertraulich. »Man ist ja kein Unmensch.«
Es klappte wie am Schnürchen.
Der Wagen bog in die Mason Street ein. In diesem Augenblick stieg die blonde Helen Angus in einen Ford und fuhr los. Rander erkannte sie trotz der Entfernung an ihrem Haar.
»Der Ford ist es«, rief Mike Rander, der vom Jagdfieber erfaßt wurde. »Lassen Sie sich nicht abschütteln!«
»Mann, ich bin Vertreter«, sagte der Dickliche und schnaufte empört. »Wer mich abschüttelt, der muß erst noch geboren werden …«
*
»Aussteigen, Alter, Sie haben es geschafft.«
Parker ächzte, als er sich in Bewegung setzte und aus dem Wagen stieg. Er war schwach in den Beinen und mußte sich am Wagenschlag festhalten. Seine rechte Hand umklammerte den Bambusgriff des Universal-Regenschirms. Parker sah sehr mitgenommen aus.
Der Gangster mit dem groben Gesicht grinste unverhohlen. Er wies auf eine Tür, die sich am Ende einer Tiefgarage befand, in die sie hineingefahren waren.
»Werden Sie den kleinen Fußmarsch noch schaffen?« fragte er dann.
»Langsam, etwas langsamer, bitte.« Kraftlos klang die Stimme des Butlers. Immer wieder kleine Verschnaufpausen einlegend, schritt Parker auf die Tür zu.
Hinter der Eisentür, die von dem Fahrer des Wagens aufgeschlossen wurde, befand sich der eigentliche Lagerkeller. Auch hier Fässer, Kisten, Langholz und Baumwollballen. Gleich hinter dem Eingang gab es einen Lastenaufzug. Die seitliche Sicherung bestand aus grobem Maschendraht.
Parker schreckte zurück, als er diesen Lastenaufzug betreten sollte. Der Gangster hinter ihm versetzte ihm einen Stoß. Der Butler stolperte und hielt sich am Maschendraht fest. Wirklich, er sah unglücklich und hilflos aus.
Sie fuhren hinauf ins Erdgeschoß.
Durch blau gestrichene Scheiben sickerte Licht in die große Lagerhalle. Hohl klangen die Schritte der drei Männer wider. Sonst war es unheimlich still. Parker wurde durch eine Art Schlucht geführt, die von hochragenden Baumwollballen gebildet wurde.
Er blieb stehen und schnappte keuchend nach Luft.
»Einen kleinen Moment, mein Herz.«
»Der klappt uns zusammen, bevor wir beim Chef sind«, sagte der Gangster mit dem groben Gesicht.
»Laß ihn«, gab der Fahrer zurück. Er zeigte sich von Parkers Gesundheitszustand doch etwas beeindruckt.
»Es geht schon wieder«, murmelte der Butler. Es ging so lange, bis er in einem kleinen, niedrigen Büroraum auf einen Stuhl fallen konnte. Er stützte sich auf seinen Universal-Regenschirm auf.
Der Fahrer verließ den Raum. Seine Schritte waren nach wenigen Sekunden schon nicht mehr zu hören.
Parker sah durch das einzige Fenster des Raumes hinaus auf den Hafen. Barkassen schossen umher, ein paar Frachter wurden in das große Hafenbecken gelotst. Längs