Phantasien (Deutsche Ausgabe). Lafcadio HearnЧитать онлайн книгу.
Und plötzlich überkam mich eine große Bangigkeit. Und all die Scharen weißgekleideter Männer und Frauen erhoben sich schweigend, und zehntausend mal tausend Augen schauten mich an.
Ich vernahm eine Stimme, zart, süß, eine Stimme, wie wir sie hören, wenn geliebte Tote uns in Träumen besuchen.
»Du hast mich geküßt! Jetzt ist der Bund für immer besiegelt.«
Und als ich noch einmal die Augen aufschlug, sah ich, daß all die Sitze Gräber waren und all die weißen Gewänder Leichentücher. Noch immer leuchtete über mir ein Licht an der blauen Kuppel, aber es war nur das Licht eines weißen Mondes in dem ewigen Azur des Himmels. Weiße Gräber dehnten sich in geisterhaften Reihen bis zum Rande des Horizontes; – und wo ich ein Schauspiel zu erblicken gemeint hatte, sah ich nur ein hochragendes Mausoleum; – und ich wußte, daß der Duft der Nacht nur der Odem der Blumen war, die auf den Gräbern sterben!
Der schwarze Cupido
In dem Zimmer hing ein kleines Bild, und ich nahm das Licht, um es genauer zu betrachten. Ich weiß nicht, warum ich nicht schlafen konnte. Vielleicht war es infolge der geistigen Überanstrengung.
Der vergoldete Rahmen, massiv und reich geschnitzt, umschloß eins der seltsamsten Gemälde, die ich je gesehen hatte: der Kopf einer Frau ruhte auf einem Samtkissen, der eine erhobene Arm und eine nackte Schulter mit einem Stück des wunderbaren Busens hoben sich vom dunklen Hintergrunde ab. Wie ich schon sagte, war es nur ein kleines Bild. Die junge Frau lag augenscheinlich auf der rechten Seite, aber nur ihr Kopf, der sich auf das Samtkissen schmiegte, ihr weißer Hals, ein schöner Arm und ein Stück ihres Busens waren sichtbar.
Mit vollendeter Kunst hatte der Maler in dem Beschauer das Gefühl zu erwecken vermocht, als neige er sich über das Ruhebett, das auf dem Bilde nicht sichtbar war, so daß sein Gesicht sich dem schönen Antlitz auf dem Kissen näherte. Es war eins der bezauberndsten Gesichter, von denen ein menschliches Wesen jemals geträumt hat: die zarte Röte der Wangen, der sanfte, feuchte Schimmer in den halbgeschlossenen Augen, dies sonnengoldene Haar, dies Rot der Lippen, dies Oval des Gesichts! Und all das von einem tiefschwarzen Hintergrund sich abhebend. Im linken Ohrläppchen bemerkte ich einen seltsamen Ohrring, einen winzigen Cupido aus schwarzem Jett, der an seinem eigenen Bogen hing: er hatte den Bogen an den beiden Enden gefaßt, als wolle er ihn abreißen von der dünnen goldenen Kette, die ihn an dem schönen Ohr befestigte, das zart und rosig war wie eine Seemuschel. Was für ein seltsamer Ohrring war das!
Aber das seltsamste an dem Bilde waren Haltung und Ausdruck des schönen Weibes. Der Kopf, der halb zurückgeworfen war, mit halb geschlossenen Augen und zärtlichem Lächeln, schien um einen Kuß zu bitten. Die Lippen wölbten sich erwartungsvoll. Ich meinte schon ihren duftenden Atem zu spüren. Unter dem gerundeten Arm sah ich ein seidiges Gespinst von glänzenden Haaren in zierlichen Löckchen. Der Arm war erhoben, gleichsam bereit, sich um einen geliebten Nacken zu legen. Ich war frappiert durch die Kunst des Malers. Kein Photograph hätte auch mit den zartesten Tönen solche Wirkung erzielen, keiner den Glanz der glatten Schultern, die Adern, die kleinsten Einzelheiten so wiedergeben können! Das Bild wirkte seltsam faszinierend. Es übte auf mich eine Wirkung aus, als schaute ich wirklich eine lebendige Schönheit, eine rosige, bebende Wirklichkeit. In dem unruhigen Licht der Lampe meinte ich sogar die Lippen sich bewegen, die Augen aufleuchten zu sehen. Der Kopf schien sich, einem Kuß entgegen, vom Kissen zu heben. Es war ein seltsamer Einfall – aber ich konnte nicht anders: ich mußte diesen Mund küssen! Nicht einmal, sondern hundert Mal ... und dann plötzlich erschrak ich. Geschichten von blutenden Statuen, geheimnisvollen Bildern und verzauberten Wandteppichen kamen mir in den Sinn; und da ich in einem fremden Hause und einer fremden Stadt allein war, befiel mich eine seltsame Erregung. Ich stellte das Licht auf den Tisch und ging zu Bett.
Aber es war unmöglich zu schlafen. Immer wenn ich eben ein wenig einzuschlummern begann, sah ich den schönen Kopf auf dem Kissen neben mir: dasselbe Lächeln, dieselben Lippen, das goldene Haar, den seidigen Flaum unter dem liebkosend erhobenen Arm. Ich stand auf, kleidete mich an, steckte mir eine Pfeife an, löschte die Lampe und rauchte im Dunkeln, bis die ersten zarten blauen Farben des Tags sich durch die Fenster hereinstahlen. In der Ferne sah ich die weißen Zinnen der Berge rosig erglühen und hörte das Getöse erwachenden Lebens.
»Las cinco menos quarto, Sennor,« rief der Kellner, indem er an meine Tür klopfte, – »tiempo para levantarse.«
Bevor ich aufbrach, fragte ich den Besitzer des Hauses nach dem Bilde. Er erwiderte lächelnd: »Es ist von einem Wahnsinnigen gemalt, Sennor.«
»Wie heißt er?« fragte ich. »Wahnsinnig oder nicht, er war ein Genie.«
»Ich weiß nicht einmal mehr seinen Namen. Er ist tot. Sie haben ihm erlaubt, im Irrenhaus zu malen. Das beruhigte ihn. Ich bekam das Bild nach seinem Tode von seiner Familie. Sie wollten kein Geld dafür nehmen und sagten, sie seien froh, wenn sie es weggeben könnten.«
Ich hatte dies Bild schon ganz vergessen, als ich fünf Jahre später durch eine kleine Straße in der Stadt Mexiko kam. Meine Aufmerksamkeit wurde seltsam gefesselt durch einige Gegenstände in dem Schaufenster eines schmutzigen Ladens, der einem spanischen Juden gehörte. Ein Paar Ohrringe – zwei kleine Cupidos aus schwarzem Jett, die den Bogen über dem Kopf hielten, und die Bogen waren mit feinen goldenen Ketten an den Haken der Ohrringe befestigt!
Sogleich fiel mir das Bild ein! Und die ganze Nacht.
»Mir liegt gar nichts daran, sie zu verkaufen, Sennor.« sagte der dunkle Juwelier, »wenn ich nicht meinen Preis dafür bekomme. Ein zweites Paar wie diese finden Sie nicht. Ich weiß, wer sie verfertigt hat. Sie wurden für einen Künstler gemacht, der nur ihretwegen hierher kam. Er wollte einer Dame ein Geschenk damit machen.«
»Una Mejicana?
»Nein, Americana.«
»Schön, mit dunklen Augen, – damals vielleicht zwanzigjährig, – rosig?«
»Wie, kennen Sie sie? Sie wurde allgemein Josefita genannt. Sie wissen, daß er sie getötet hat? Eifersucht. Als man sie fand, lächelte sie noch, so, als sei sie im Schlaf erschlagen. Ein »punal«. Ich habe die Ohrringe auf einer Auktion zurückgekauft.«
»Und der Künstler?«
»Starb im Irrenhause im Wahnsinn. Manche sagen, er sei schon verrückt gewesen, als er sie tötete. Wenn Sie wirklich die Ohrringe haben wollen, will ich sie Ihnen für sechzig Pesos lassen.«
Als ich eine Blume war
Einstmals war ich eine Blume, schön und groß. Mein schneeiger Kelch war so reichen Duftes voll, daß die Insekten mit den Regenbogenflügeln, die sich auf mir niederließen, sich berauschten, und daß alle, die mich erblickten, an die Schönheit jener Weihrauchschalen dachten, die bei den Banketten der alten Cäsaren benutzt wurden.
Die Bienen sangen mir den ganzen leuchtenden Sommer lang ihr Lied, die Winde streichelten mich in den Stunden der Kühle, der Geist des Taus füllte bei Nacht meinen weißen Becher. Große Pflanzen, mit Blättern breiter als Elefantenohren, beschatteten mich wie mit einem Baldachin aus lebendem Smaragd. In der Ferne hörte ich den Fluß sein mystisches, ewiges Lied singen und Tausende von Vögeln zwitschern. Zur Nacht lugte ich durch meine seidigen Blütenblätter zu der unendlichen Prozession der Sterne hinauf, und bei Tage wandte ich mein Herz aus gelbem Golde für immer dem Auge der Sonne zu.
Kolibris mit prunkenden Brüsten, die von Sonnenaufgang herkamen, ließen sich bei mir nieder, tranken den duftigen Tau, der in meinem Kelche haftete, und sangen mir von den Wundern unbekannter Länder, von schwarzen Rosen, die nur in den Gärten der Zauberer wachsen, und von gespenstischen Lilien, deren Hauch Tod ist und die ihre Herzen nur tropischen Monden öffnen.