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Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie MarlittЧитать онлайн книгу.

Im Hause des Kommerzienrates - Eugenie  Marlitt


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Moritz, sei nicht böse, daß ich der Abrede zuwider handle! Aber um mich abholen zu lassen, dazu bin ich nun doch schon ein wenig zu groß.«

      Er stand wie versteinert vor ihr. »Recht hast du, Käthe. Die Zeit, wo ich dich an der Hand führte, ist vorüber,« sagte er langsam, gleichsam in dem Anblicke ihres mit Rosenglut überhauchten Gesichts verloren. »Nun, sei mir tausendmal willkommen!« Jetzt erst reichte er auch Bruck begrüßend die Hand. »Ein Zusammenfinden im Korridor — da muß ich wohl gleich hier vorstellen —«

      »Bemühe dich nicht, Moritz! Das habe ich bereits selber besorgt,« unterbrach ihn das junge Mädchen. »Der Herr Doktor machte gerade Krankenbesuch bei Suse, als ich in die Mühle kam.«

      Das Gesicht des Kommerzienrates verlängerte sich. »Die Mühle war dein Absteigequartier?« fragte er betreten. »Aber liebes Kind, die Großmama Urach hat mit der liebenswürdigsten Bereitwilligkeit erklärt, sich deiner anzunehmen; mithin verstand es sich von selbst, daß du dich ihr sofort vorstelltest; statt dessen gehst du zu deiner alten Flamme, der Jungfer Suse! Ich bitte dich, sage das drin lieber nicht!« setzte er hastig flüsternd hinzu.

      »Verlangst du das ernstlich von mir?« Die fest klingende Mädchenstimme stach seltsam ab von seinem scheuen Flüstertone. »Ich kann doch nicht leugnen, wenn die Sache zur Sprache kommen sollte ... Auf das Verheimlichen verstehe ich mich wirklich nicht, Moritz —« Sie verstummte für einen Moment, erschrocken über die Feuerglut, die ihm in das Gesicht schoß, dann aber sagte sie resolut: »Habe ich einen Fehler begangen, so will ich mich auch dazu bekennen; es wird ja nicht gleich meinen Kopf kosten.«

      »Wenn du einen gut gemeinten Wink so tragisch nehmen willst, dann habe ich allerdings nichts mehr zu sagen,« entgegnete er verlegen und ärgerlich zugleich. »Den Kopf wird es freilich nicht kosten, aber deine Stellung in meinem Hause erschwerst du dir. Uebrigens ganz wie du willst! Sieh du selbst, wie du dich mit diesem herben ‚Geradedurch‘ in unseren hochfeinen Gesellschaftskreisen zurechtfindest!«

      Schon bei den letzten Worten hatte sein Ton mehr scherzhaft als pikiert geklungen. Er ließ sich nun einmal nicht gern die behagliche Stimmung verderben. Er bot ihr galant den Arm und führte sie nach dem ehemaligen Speisezimmer, das neben dem Wintergarten lag, und dessen Thür er aufstieß.

      Das war aber nicht mehr der traute Eßsalon mit seinen altmodischen, behäbigen, roten Saffianmöbeln. Die Wand, die ihn einst vom Wintergarten getrennt, war verschwunden; an ihrer Stelle trugen schlanke, oben im Rundbogen auslaufende Säulen den Plafond, den der köstlichste Farbenschmuck in maurischem Stil bedeckte. Drunten lief ein niedriges, spitzenklares, vergoldetes Bronzegitter von einer Säule zur anderen — es schied den steingetäfelten Fußboden des maurischen Zimmers von dem weißen Wegsand, dem grünen Flaum kleiner Rasenflecke im Wintergarten. Hinter diesem Gitter grünte und blühte es wonnig; da dufteten Maiblumen und köstliche Bouquets von Parmaveilchen zu Füßen der mächtigen Drachenbäume, des dunkeln Lorbeers und der prachtvollen Dekoration von silbergestreiften, metallisch glänzenden Blattpflanzen. Dieses herrliche Pflanzenbild wurde umrahmt und gleichsam in einzelne Felder geteilt durch eine Art von Blumenornamentik. Um die Säulen rankte sich die Klematis und behing die schlanken Schäfte bis hinauf in das feingebogene Rund mit weißen und lilablauen Blüten.

      Zwischen den zwei Säulen, die einen Mittelweg in das Zimmer frei ließen, stand Flora. Sie war noch in der Straßentoilette und augenscheinlich im Begriff, das Zimmer zu verlassen. Hoch hinter ihrem federgeschmückten Haupt wölbte der Springbrunnen des Wintergartens seine glitzernde Kuppel. Mit der behandschuhten Rechten hob die schöne Dame das schwere kastanienbraune Samtkleid, dem das schräg hereinfallende Abendlicht schwachgoldige Reflexe entlockte, ein wenig über den Fuß, die unbedeckte Linke aber legte sich anmutig stützend an die Säule, weiß und zart wie die danebenhängende Klematisblüte.

      Beim Eintreten des hochgewachsenen Mädchens öffnete sie zuerst ihre graublauen Augen weit vor Erstaunen, aber auch ebenso rasch kniff sie die Lider zu einem blinzelnd prüfenden Blick zusammen, wobei ein sarkastisches Lächeln um ihre Lippen huschte.

      »Nun rate, Flora, wen ich da bringe!« rief der Kommerzienrat.

       »Da brauche ich mir nicht lange den Kopf zu zerbrechen — das ist Käthe, die sich allein auf den Weg gemacht hat,« versetzte sie in ihrer eigentümlich nachlässigen und doch so überaus bestimmten Art und Weise. »Wer die alte Sommer gekannt hat, der weiß, daß das stämmige Mädchen da mit dem weiß und roten Aepfelgesicht ihre Enkelin sein muß, Augen und Haare aber hat sie frappant wie Klothilde, deine verstorbene Frau, Moritz.«

      Mit einer geschmeidigen Bewegung löste sie sich gleichsam aus dem Blumenrahmen, trat auf die Schwester zu, und den Kopf in den Nacken zurückbiegend, bot sie ihr die Lippen zum Kuß. Ja, das war noch immer die unvergleichlich schöne Flora, aber das langjährige Herrschertum über die Herzen hatte die weibliche Grazie von ihrer Ausdrucksweise genommen. Ebenso nachlässig wie bei dem kühlen Begrüßungskuß nach sechsjähriger Trennung war ihr Wesen dem miteingetretenen Doktor gegenüber. »Grüß Gott, Bruck!« sagte sie und reichte ihm die Rechte, aber nicht wie eine Braut, sondern wie ein Kollege dem anderen. Er erfaßte die Hand mit leichtem Drucke und ließ es ruhig geschehen, daß sie sofort wieder zurückgezogen wurde.

      Die äußere Zurückhaltung zwischen dem Brautpaar schien sich von selbst zu verstehen. Flora wandte unbefangen den Kopf nach dem Wintergarten zurück. »Großmama,« rief sie mit lächelndem Spott in ihren geistreichen Zügen, »unser Goldfisch macht dir und deinen Bekannten die Freude, sich vier Wochen früher anstaunen zu lassen.«

      Die Präsidentin war bereits bei Floras ersten Worten hinter einer Kameliengruppe hervorgetreten. Ohne daß sie es vielleicht selbst wußte, hatte sie die Angekommene mit jener Spannung gemustert, welche die meisten Menschen einem sogenannten Glückskind gegenüber an den Tag legen. Floras boshaft übermütiger Zuruf machte diesen Ausdruck sofort verschwinden. Die alte Dame zog unwillig die Brauen zusammen, und ein feines Rot der Verlegenheit flog über ihr bleiches Gesicht hin. »Ich erinnere mich nicht, ein so auffälliges Interesse gerade für jene Eigenschaft deiner Schwester gezeigt zu haben,« sagte sie kühl und mit einem streng verweisenden Blick. »Wenn ich mich über Käthes Kommen freue und sie freundlich willkommen heiße, so geschieht das, weil sie meines lieben verstorbenen Mangold Kind und eure Schwester ist.«

      Sie ging mit gehobenen Händen auf Käthe zu, als beabsichtige sie eine Umarmung; allein diese verbeugte sich so tief und zeremoniell, als stehe sie zum erstenmal in ihrem Leben vor der stolzen Schwiegermutter ihres Vaters. Ein scharfer Blick hätte in dieser einen Gebärde leicht das scheue Zurückweichen vor jeglicher Berührung erkannt, die Präsidentin aber sah darin offenbar nur das Anzeichen eines tiefen Respektes. Sie zog die Hände zurück und hauchte einen Kuß auf die Stirn des jungen Mädchens. »Bist du wirklich allein gekommen?« fragte sie; ihre Augen suchten unruhig forschend die Thür, als müsse noch irgend eine nicht gerade willkommene Reisebegleitung eintreten.

      »Ganz allein. Ich wollte einmal selbständig meine Flügel probieren, und das hat meine Doktorin gern erlaubt.« Sie strich noch einmal wie unbewußt mit den schlanken Fingern über die Stelle, welche die alte Dame mit ihren kalten Lippen berührt hatte.

      »Ei, das glaube ich dir gern; das ist ja ganz im Sinne der alten Lukas,« sagte die Präsidentin mit einem leisen, ironischen Lächeln. »Sie war ja auch stets sehr selbständig ... Dein guter Papa hatte sie ein ganz klein wenig verzogen, mein Kind. Sie that, was ihr gefiel; selbstverständlich immer nur das Rechte —«

      »Und das Verständige; aus dem Grunde mag ihr wohl auch der Papa seine jüngste wilde Hummel anvertraut haben,« setzte Käthe mit jener heiteren Unbefangenheit hinzu, die ihr ganzes Wesen charakterisierte. Aber gerade dieser Freimut, diese Leichtigkeit und Sicherheit schienen unangenehm zu berühren.

      Die Präsidentin zog die Schultern leicht empor. »Dein Papa hat sicher dein Bestes gewollt, liebe Käthe, und meine Sache ist es nie gewesen, irgend eine seiner Maßregeln zu bemäkeln. Aber er war eine vornehme Natur und hielt streng auf das Dekorum — ob es ihn nun doch nicht einigermaßen in Verlegenheit


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