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Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie MarlittЧитать онлайн книгу.

Im Hause des Kommerzienrates - Eugenie  Marlitt


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eingetreten; es muß eine heftige Erschütterung eingewirkt haben —«

      »Daß ich nicht wüßte — ich versichere dir, nein!« sagte der Kommerzienrat, ziemlich fest dem ausdrucksvollen Blick des Arztes begegnend. »Uebrigens, was soll dieser Inquisitorenblick? Ich sehe nicht ein, weshalb ich es dir verheimlichen sollte, wenn der Kranke wirklich in einem Fieberanfall aus dem Bette gesprungen wäre.« Er blieb unbeirrt auf dem Wege, den er eingeschlagen. Fast wollte es ihm die Kehle zusammenschnüren bei seinen letzten Worten. Um den äußeren Ehrenschein zu retten, gab er die wahre innere Ehre hin — er leugnete mit eherner Stirn, aber er war ja auch in Wirklichkeit ohne alle Schuld; er war der an Leben und Gesundheit Schwerbedrohte gewesen. Nicht ein einziges Motiv lag nahe, welches das Bekennen des wahren Sachverhaltes zur Gewissenspflicht gemacht hätte.

      Der Arzt wandte sich schweigend von ihm ab. Unter seinen Bemühungen schlug zwar der Schloßmüller die Augen wieder auf, aber er stierte mit wirrem, verloschenem Blick ins Leere, und der Versuch zu sprechen erstarb in einem schwachen Gurgeln und Lallen.

      Mehrere Stunden später verließ der Kommerzienrat Römer die Schloßmühle — es war alles vorüber. Ueber die Thüren des Sterbezimmers und des Alkovens spannten sich bereits breite Papierstreifen. Der Kommerzienrat hatte sofort nach dem letzten Atemzuge des Schloßmüllers bei den Gerichten Anzeige gemacht und als vorsichtiger und gewissenhafter Mann vor seinen Augen versiegeln lassen.

       Inhaltsverzeichnis

      Er schritt jetzt durch den Park nach Hause. Die Lichter der Mühle, die noch eine kleine Strecke weit einen schwachen Schein auf seinen Weg herausgeworfen, verschwanden hinter ihm; er wandelte nun allein mit sich selbst in tiefster Finsternis, und nicht der scharfe Windhauch, der ihn anblies, nicht die vereinzelten Schneeflocken, die wie flatterndes Nachtgevögel eisigkalt an seiner Wange niederstrichen, nein, seine aufgeregten Gedanken und die Erinnerung an den Anblick, den er stundenlang hatte ertragen müssen, sie waren es, die einen Schüttelfrost durch seine Glieder jagten. Auf demselben Wege, dessen Kieselgeröll jetzt mißtönend unter seinen Füßen rasselte, war er heute nachmittag gekommen, eben aufgestanden vom reichbesetzten Mittagstisch, sorglos, seinen vielberufenen Glücksstern über sich wähnend — und nun, nach wenigen Stunden, wollte es fast scheinen, als trage er Mitschuld am Tode eines Menschen, er, der Kommerzienrat Römer, der um seiner empfindlichen Nerven willen nicht einmal ein Tier leiden sehen mochte! Bah, das war der Neid der Götter, der kein ungetrübtes Menschenlos duldet, der dem Glücklichen gern Steine auf die glatte Bahn wirft, und welcher jetzt auch bemüht war, ihm einen Nagel in das Gewissen zu drücken; der heitere Lebensgenuß sollte ihm vergällt werden — mit nichten! Ihn traf nur ein Vorwurf, der des Verschweigens, aber wem schadete er denn damit? Niemand, niemand auf Gottes weiter Erde! Basta — er war mit sich fertig. Eben bog er in die breite Lindenallee ein, welche direkt auf die Villa zulief. Ströme silberweißen Lichtes flossen durch Fenster und Glasthüren des unteren Balkonzimmers. Von dort her griff das üppige Leben voll Genuß mit weißen, schwellenden Armen nach ihm und zog ihn an sich aus Nachtdunkel und innerer Bedrängnis. Er atmete befreit auf; er warf die schlimmen Eindrücke der letzten Stunden weit hinter sich und ließ sie gleichsam verfließen mit dem Rauschen des Mühlwassers, das in der Ferne allmählich erstarb.

      In dem Salon dort, am Thee- und Whisttische der verwitweten Frau Präsidentin Urach, hatte sich eine zahlreiche Abendgesellschaft eingefunden. Die sehr tiefgehenden mächtigen Glasscheiben und das klar durchsichtige Bronzegeflecht des niedrigen Balkongeländers gestatteten einen vollkommenen Einblick in den Salon. Seine farbenglänzenden Wandgemälde, die faltenschweren Thürbehänge von veilchenblauem Samt, der schwebende Kettenleuchter von Goldbronze, den die mit dem Silberlichte des Gases gefüllten Milchglaskugeln wie riesige Perlen umkreisten, ließen ihn feenhaft, aber auch herausfordernd wie eine Schaubühne aus dem intensiven Dunkel des Winterabends treten ... Ein Windstoß pfiff durch die Allee und schüttete ein Gemisch von Schneeflocken und dürren Lindenblättern wie toll über den Balkon her; die vornehme Ruhe hinter den Scheiben ließ sich nicht alterieren durch den groben Gesellen; nicht einmal das luftige Gewebe der Spitzengardinen bewegte sich — höchstens daß der Feuerkern im Eckkamin unter seinem grimmigen Atem für einen Moment höher aufglühte.

      Und der immer rascher dahinschreitende Mann draußen überblickte mit einer Art von innerlich zitterndem Wonnegefühl die Gruppen der Versammelten — nicht daß blonde und dunkle Locken, weiche, schlanke Frauen- und Mädchengestalten sein Auge entzückt hätten, die Frühlingsgenien des Deckengemäldes streckten vielmehr ihre mit Anemonen und Maiblumen gefüllten Händchen über Matronenhäubchen, über gebleichte Scheitel und Glatzköpfe hin — aber welche Namen waren da vertreten! Offiziere von hohem Range, pensionierte Hofdamen und Herren vom Ministerium saßen an den Spieltischen, oder umsaßen, ihren steifen Rücken in den blauen Samt der Lehnstühle gedrückt, plaudernd den wärmenden Kamin. Auch der alte, hochmütige Medizinalrat von Bär war da. Beim Aufwerfen der Karten zuckten Blitze von seinen kostbaren Brillantringen, lauter Geschenken fürstlicher Personen. Und alle diese Leute waren in seinem Hause, im Hause des Kommerzienrats Römer; der rubinfunkelnde Wein in den Gläsern war aus seinem Keller, und die frischen, duftenden Erdbeeren, welche die betreßten Diener in großen Kristallschalen eben herumreichten, hatte er bezahlt. Die Frau Präsidentin Urach war die Großmama seiner verstorbenen Frau; sie machte mit unumschränkter Macht über seine Kasse die Honneurs im Hause des Witwers.

      Der Kommerzienrat bog um die westliche Seite des Hauses. Hier waren nur zwei Fenster im Erdgeschoß beleuchtet; ziemlich nahe dem einen brannte eine Hängelampe und warf die helle Glut der roten Gardine so weit hinaus daß der weiße Leib der steinernen Brunnennymphe drüben vor der Bocage in einem vollen Rosenlichte schwamm. Der Kommerzienrat schüttelte den Kopf; er trat in das Haus, ließ sich von einem herbeieilenden Diener den Ueberzieher abnehmen und öffnete die Thür des Zimmers, in dem sich die roten Vorhänge befanden. Der ganze Raum war rot; Tapeten, Möbelbezüge, selbst der Teppich, der sich über den Fußboden hinspannte, trug die satte dunkle Purpurfarbe. Unter der Hängelampe stand ein Schreibtisch, ein Möbel von wunderlicher Form, in chinesischem Geschmacke schwarz lackiert, mit Goldgeäder und feinen Goldarabesken; es war ein Arbeitstisch im vollsten Sinne des Wortes; aufgeschlagene Bücher, Papierhefte und Zeitungen bedeckten seine breite Platte, auch ein dickes Manuskript mit quer darüber hingeworfenem Stifte lag da, und daneben stand auf einem kleinen, runden Silberteller ein Kelchglas, zur Hälfte mit dunklem, schwerem Rotweine gefüllt. Das war ein Zimmer, wo keine Blume gedeiht, wo kein Vogel sein störendes Lied singen darf. In den vier Ecken, auf Säulenstücken von schwarzem Marmor, standen lebensgroße Büsten aus demselben Material, das die strenggeschnittenen Köpfe noch herber und härter im Ausdrucke erscheinen ließ, und die eine lange Wand nahmen Büchergestelle ein; sie harmonierten in Farbe und Ausschmückung mit dem Schreibtische und bargen eine ansehnliche Bibliothek in ihren Fächern, schön gebundene Bücher neuesten Datums, aber auch Folianten in Schweinsleder und ganze Stöße abgegriffener Broschüren. Fast schien es, als sei hier das tiefe, gleichmäßige Rot als Grundton nur gewählt, um den Ernst des Gedankens in der Gesamteinrichtung hervorzuheben.

      Flora im Arbeitszimmer. (S. 20.)

      Als der Kommerzienrat auf die Schwelle trat, blieb die Dame, die offenbar da auf und ab gegangen war, inmitten des Zimmers stehen. Man hätte meinen mögen, auch sie sei eben von draußen hereingekommen, direkt aus dem Schneegestöber mit überschneitem Gewande, so blendend weiß stand sie auf dem roten Teppich. Es ließ sich schwer bestimmen, ob die weichen Falten des langen Kaschmirkleides lediglich aus Bequemlichkeit so lässig um Hüften und Taille geschürzt waren, oder ob diesem außergewöhnlichen Arrangement ein sorgfältiges


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