Mami Staffel 3 – Familienroman. Gisela ReutlingЧитать онлайн книгу.
Aber in diesem Fall?
»Dieser Kerl hat sie eingewickelt«, sagte Julia mißgelaunt. »Diese ganze Geschichte mit der Katze ist nur ein Trick, damit er sich hier unauffällig umsehen konnte.«
»Ja, aber wir haben das geheime Dokument doch trotzdem noch!« meinte Markus. Aber auch das hob die Stimmung der Kinder nicht, denn sie hatten kein einziges Wort entziffern können.
Julia griff nach ihrem Fernglas, stieg auf einen Stuhl und steckte den Kopf aus dem schmalen Fenster, das in das Schrägdach eingelassen war. Von hier aus konnte man immerhin die Dachziegel der geheimnisvollen Villa sehen. Aber das war auch alles. Julia wollte gerade wieder den Kopf einziehen und das Fenster schließen, als sie ein kratzendes Geräusch hörte. Im nächsten Moment plumpste ein weiches, felliges Etwas gegen ihren Hinterkopf. Julia schrie auf, verlor das Gleichgewicht, und sie und ein großer Kater landeten zusammen auf dem Boden des Speichers.
Nachdem sich die Kinder von ihrem Schreck erholt hatten, lockten sie den Kater wieder aus dem Winkel hervor, in den er sich geflüchtet hatte. Das Tier war ziemlich wohlgenährt und hatte ein glänzendes kohlrabenschwarzes Fell, weiße Pfötchen und ein weißes Lätzchen. Markus starrte es fasziniert an. »Dann war es also doch kein Trick! Das muß der Kater von Mister X sein!« Julia rieb sich den Nacken. »Wahrscheinlich ist er von den Dachziegeln abgerutscht. Au weia, wenn ich nicht gerade rausgeguckt hätte, wäre
er direkt auf die Terrasse geplumpst.«
Inzwischen hatte auch Kater Murr seinen Schreck überwunden, ließ sich von Julia auf den Arm nehmen und schnurrte kräftig, als sie ihn nach unten trug.
Christine staunte. »Na, so was! Bringt ihn am besten gleich rüber zum Professor.« Julia blickte ihre Mutter ernst an, als sie in den Garten ging. »Wenn wir in einer halben Stunde nicht zurück sind, ruf die Polizei an!« Christine mußte lachen. »Ihr spinnt ganz schön!«
»Mami hat keine Ahnung vom Ernst der Lage«, maulte Julia, während die Kinder zu dem Loch in der Hecke trotteten. Markus trug Kater Murr auf dem Arm. »Und wenn er uns was tut?« fragte Florentine ängstlich. Julia legte beschützend den Arm um die kleine Schwester. »Wir sind zudritt, einer kann immer weglaufen und Hilfe holen. Und wer weiß, vielleicht ist das eine gute Gelegenheit, mehr über ihn herauszufinden!«
Der Professor sah sie vom Fenster seines Arbeitszimmers, als sie durch den Garten gingen. Er öffnete die Tür zur Veranda und lächelte die Kinder freundlich an. »Habt ihr Murr gefunden? Großartig, vielen Dank!« Der Kater sprang von Markus’ Arm hinab und lief zu seinem Futternapf.
»Möchtet ihr was trinken oder ein paar Kekse?« fragte Herr Falkenroth. Die Kinder zögerten mißtrauisch. Plötzlich fuhr Markus heftig zusammen und packte seine ältere Schwester am Arm. Auf dem Küchentisch lag der Revolver! Die drei Verschwörer wollten gerade die Flucht ergreifen, als etwas Unglaubliches geschah. Der Revolver klingelte wie ein Telefon.
Julia sperrte den Mund weit auf vor Staunen. Herr Falkenroth nahm das schwarze Ding in die Hand. »Das ist ein Funktelefon«, erklärte er den Kindern. »Ein reichlich albernes amerikanisches Modell. Meine Studenten haben es mir geschenkt. Das Haus hier hat nämlich keinen Telefonanschluß. Hier Christoph Falkenroth«, meldete er sich.
Die Kinder standen immer noch wie versteinert da. In Julias Kopf überstürzten sich die Gedanken. Wenn das kein echter Revolver war – ja, war Herr Falkenroth dann überhaupt ein echter Agent?
»Schön, Mutter, aber ich habe gerade Besuch«, sagte er in den Hörer und winkte den Kindern, sich zu setzen. »Wann? Das freut mich! Ja, ich hole dich ab.« Er legte den vermeintlichen Revolver auf den Tisch. Markus nahm ihn in die Hand und besah ihn fasziniert. Währenddessen tischte der Professor Orangensaft und Butterkekse auf.
»Was arbeiten Sie eigentlich?« platzte Julia heraus. Christoph Falkenroth versuchte, es ihr in einfachen Worten zu erklären. Aber je länger er redete, desto fassungsloser wurde Julias Gesichtsausdruck. »Darf… darf ich diese Briefe mal sehen?« fragte sie.
Der Professor schüttelte den Kopf. »Dazu sind sie viel zu wertvoll.« Aber als er ihr enttäuschtes Gesichtchen sah, tat ihm die Absage leid. »Also gut. Aber ihr dürft nichts anfassen!«
Er führte sie in sein Arbeitszimmer. Als die Kinder um den Schreibtisch versammelt waren, nahm Herr Falkenroth die ihnen so wohlvertraute Mappe aus einer Schublade und blätterte in den Papieren, die darin lagen. »Das hier ist zum Beispiel ein Brief von Dürer an einen Auftraggeber, den Kaufmann Johann Gottlieb Jacobi, von dem sollte er ein Porträt malen. Selbst in den Geschäftsbriefen zeigt sich der außergewöhnlich elegante Briefstil Dürers.« Christoph war, ohne es selbst zu merken, ins Dozieren hineingeraten und blätterte dabei ein Papier nach dem anderen um. »Natürlich habe ich diese kostbaren Dokumente nur geliehen. Das interessanteste liegt ganz unten – ein Brief Dürers an den größten Philosophen Erasmus von Rotterdam…«
Ängstlich beobachtete Julia, wie der Professor plötzlich erblaßte und mit fliegenden Fingern in der Mappe herumsuchte. »Um Gottes willen!« murmelte er mit kaum hörbarer Stimme und griff sich an den Kopf. »Ich habe jetzt keine Zeit mehr für euch. Kommt ein andermal wieder, ja?« Hastig schob er die Kinder zur Verandatür hinaus.
Draußen begann Florentine zu weinen. »Er hat so traurig ausgesehen«, schluchzte sie. Julia blickte finster vor sich hin. Mit gesenkten Köpfen trotteten die drei Verschwörer nach Hause. »Au weia«, murmelte Markus. »Was haben wir da bloß angestellt!«
*
Kaum waren sie zurückgekehrt, wollten die Kinder auf den Dachboden laufen, aber Christine hielt sie zurück: »Es gibt Essen! Wascht euch die Hände und setzt euch an den Tisch.«
Alle Hausbewohner waren um den Abendbrottisch versammelt. Sven berichtete ausführlich von dem neuen Sportwagenmodell, das er heute beim Autohändler gesehen hatte, und ließ niemand anderen zu Wort kommen. Erst als es beim besten Willen nichts mehr über Höchstgeschwindigkeit, Ausführung und Preis zu sagen gab, konnte Christine die Geschichte von dem vermißten Kater erzählen, der Julia auf den Kopf gefallen war. Onkel Heinrich lachte herzlich darüber. »Da hat sich der Herr aber gefreut, als ihr ihm den Kater zurückgebracht habt, was?« meinte er zu Florentine.
Julia trat ihre Schwester unter dem Tisch heftig gegen das Schienbein, aber das nützte nichts. Kaum erinnerte sich das kleine Mädchen wieder an den unglücklichen Gesichtsausdruck des freundlichen Professors, verzog es von neuem weinerlich den Mund vor lauter schlechtem Gewissen. »Was hast du denn, Flöchen?« fragte Christine teilnahmsvoll. Das war zuviel für Florentine. Sie brach in bittere Tränen aus, ließ sich von ihrem Stuhl herabgleiten und schmiegte sich an ihre Mutter.
Christine strich zärtlich über die weiche, runde Wange. »Warum weinst du denn?«
»Wir haben ihm den Brief weggenommen«, stieß Florentine hervor. Sven horchte auf. »Was habt ihr?«
Widerstrebend erzählten die Kinder ihre Geschichte, die die Erwachsenen immer wieder durch ungläubige Ausrufe unterbrachen. »Ein Brief von Albrecht Dürer!« staunte Heinrich Zott. »Auf unserem Dachboden? Der muß doch Zehntausende wert sein!«
»Ist ja Wahnsinn!« Bernadettes grüne Augen wurden rund vor Verblüffung.
In diesem Moment sah Christine aus dem Fenster und erblickte einen Polizeiwagen, der in schnellem Tempo vor dem Haus vorbeifuhr und nach links in die Straße einbog, die die Kastanienallee kreuzte. »Oh, Gott! Wahrscheinlich hat er schon die Polizei geholt, damit die nach Spuren eines Einbruchs fahndet!«
»Kommen wir jetzt ins Gefängnis?« fragte Markus weinerlich.
Christine überlegte fieberhaft. »Ich würde diesen unseligen Brief am liebsten sofort zu Professor Falkenroth hinüberbringen – aber wenn jetzt gerade die Polizei da ist… Am besten warten wir noch eine Stunde.«
»Ich leg mich solange ein bißchen hin«, kündigte Sven an. »War ein anstrengender Tag in der Agentur.« Auch Onkel Heinrich und Bernadette zogen sich zurück. Christine blieb mit den Kindern unten, die ihr noch eimal die ganze Geschichte mit allen Einzelheiten erzählen mußten.
»Mein