Mami Staffel 3 – Familienroman. Gisela ReutlingЧитать онлайн книгу.
sie weigerten sich standhaft, auch nur einen Bissen von dem Kuchen anzunehmen. Es war Ehrensache für sie, daß der Professor ihn ganz allein essen mußte, und sie schauten fasziniert zu, wie er das zweite Stück feierlich und mit zur Schau getragenem Behagen verspeiste.
»Und woher kommt der Teddybär?« fragte er dann. »Von mir«, sagte Florentine sehr leise. Christoph war gerührt, daß sie ihr Spielzeug geopfert hatte. Er wunderte sich über sich selbst, wieviel Spaß es ihm machte, sich mit den Kindern zu unterhalten. Bisher hatte er nie viel mit Kindern zu tun gehabt – außer seiner Mutter hatte er keine Verwandten mehr, und seine Freunde waren fast alle Junggesellen.
»Möchtest du deinen Bären denn nicht wiederhaben? Schau mal, bei mir langweilt er sich doch nur.« Aber Florentine schüttelte entschieden den Kopf und trat sogar einen Schritt zurück. »Nein. Der ist für dich.«
»Aber warum denn?«
»Weil wir… weil wir so gemein zu dir waren«, sagte sie, und ihr helles Stimmchen zitterte heftig. Christoph strich ihr tröstend über die Locken und dann sah er die Kinder nachdenklich an. Ihre Reue war echt, aber trotzdem hatten sie eine große Dumheit begangen und möglicherweise einen nicht wiedergutzumachenden Schaden angerichtet.
»Bobo soll es sehr gut bei mir haben, das verspreche ich dir«, sagte er zu Florentine. »Und nun paßt mal auf. Ich weiß, daß es euch leid tut. Aber ihr habt, auch wenn ihr nichts Böses wolltet, etwas sehr Schlimmes getan. Ihr habt sogar etwas gestohlen.« Julia wollte etwas sagen, aber sie verstummte, als er sie mit seinen ruhigen, ernsten Augen ansah. »Ihr habt gedacht, einem Spion, einem schlechten Menschen, darf man ruhig etwas stehlen. Das ist ein großer Irrtum. Ihr wolltet einen Spion bekämpfen und habt nun eine kostbare Urkunde, die die Menschen viele Jahrhunderte lang sorgfältig aufbewahrt haben, verloren.«
Die Kinder hörten ihm aufmerksam zu und waren so niedergeschlagen, daß sie ihm leid taten. »Ich bin euch ja schon nicht mehr böse«, sagte er tröstend. »Aber ihr wißt jetzt, daß es schlimme Folgen haben kann, wenn man sich über Regeln einfach so hinwegsetzt. Mir kommt es darauf an, daß ihr so etwas nie wieder tut. Versprecht ihr mir das?«
Die Kinder nickten und gaben ihm die Hand darauf. Christoph hatte den richtigen Ton getroffen. Sie spürten, daß er sie als kleine Persönlichkeiten betrachtete – ganz anders als die meisten Erwachsenen, die sie kannten.
»Dürfen wir wieder zu Ihnen kommen?« fragte Julia leise, als sie schon die Tür zur Veranda geöffnet hatte.
»Aber gern! Und nennt mich einfach Christoph, ja?« Er sah den Kindern lächelnd hinterher und winkte, als die kleine Florentine sich noch einmal umdrehte.
Wie erfrischend die Aufrichtigkeit und der gutherzige Eifer dieser Kinder doch waren! Professor Falkenroth hatte sich in den letzten Jahren so stark auf seine Forschungen konzentriert, hatte so viele einsame Stunden in Bibliotheken und Archiven verbracht, daß er gar nicht auf den Gedanken gekommen war, er könnte einmal eine Familie gründen. Jetzt aber sann er unwillkürlich darüber nach, wie schön es sein mußte, Kinder zu haben und zu sehen, wie sie heranwuchsen. Der Vater der drei mußte sehr glücklich sein, dachte er mit einem leichten Seufzer. Oder war Christine Kohse vielleicht gar nicht verheiratet? Er grübelte lange darüber nach. Und nun konnte er erst recht nicht mehr arbeiten.«
*
Christine hatte ihren Onkel, der in den nächsten Tagen ein paar alte Freunde besuchen wollte, zur Bahn gebracht und war nun dabei, einen Auftrag für ihren Partyservice zu erledigen. Gerade knetete sie Mürbeteig, als das Telefon schrillte. Sven war am Apparat.
»Liebling, ich komme heute zwei oder drei Stunden später. Tut mir leid, aber die neue Werbekampagne für ›Wonder White‹ ist irrsinnig zeitaufwendig. Wir machen jetzt noch ein kleines Brainstorming.«
»Schade.« Christine seufzte. »Wir sehen uns zur Zeit so selten.«
»Tja, nach dieser Kampagne wird das schon wieder anders. Tschau!«
Er legte auf. Christine sah nachdenklich den Hörer an. Seine Stimme hatte nicht so geklungen, als ob ihm seine Verspätung leid täte. Sie fühlte einen Stich in der Brust. Konnte es sein, daß er sie nicht mehr so liebte wie früher?
Langsam ging sie in die Küche zurück. Sie hatte noch viel Arbeit vor sich, denn morgen feierte der Golfclub ein Jubiläum, und sie war mit der Herstellung des Buffets beauftragt worden. Normalerweise machte ihr die Arbeit Spaß, aber jetzt fühlte sie sich allein und unglücklich und hatte Angst, daß sie nicht alles schaffen würde. Ob Bernadette ihr ein bißchen helfen konnte?
In diesem Moment hörte sie das klackende Geräusch von Stöckelschuhen auf der Treppe. Bernadette kam herunter, in eine Parfümwolke gehüllt, die Christine schon an der Küchentür riechen konnte. Richtig, Bernadette hatte heute ihren freien Abend.
»Ach, Sie gehen aus?« Christine lächelte gequält. »Und ich hatte schon gehofft, sie hätten vielleicht Zeit für mich.«
Bernadette warf einen Blick in die Küche. »Herrje, da haben Sie aber noch was vor! Nein, ich kann Ihnen leider nicht helfen. Ich bin zum Essen verabredet. Aber Sie schaffen das schon.« Munter summend ging das Kindermädchen zur Haustür, die laut hinter ihr zuschlug.
Draußen stieg Bernadette in ein wartendes Taxi und ließ sich ins »Blue Moon« chauffieren. Die Cocktailbar lag im Kellergeschoß eines Zweckbaus aus den 50er Jahren. Von außen sah man dem Gebäude wahrlich nicht an, daß die beliebteste Bar der Stadt darin logierte. Aber drinnen herrschte Hochbetrieb.
Bernadette sah sich noch suchend um, da stand Sven schon neben ihr und half ihr aus dem Mantel. »Ich habe uns schon eine hübsche Ecke gesucht«, sagte er lächelnd und gab ihr Begrüßungsküßchen auf beide Wangen. Sven lotste das junge Mädchen durch den überfüllten Raum zu einer verschwiegenen kleinen Nische. Ein Kellner brachte die umfangreiche Cocktailkarte.
»Phantastisch!« rief Bernadette begeistert aus. »Das sind ja mindestens fünfzig verschiedene Sorten. Hach, was nehme ich bloß?«
Sven nutzte die Gelegenheit, um auf dem schwarzen Ledersofa näher an seine Begleiterin heranzurücken. Die beiden steckten die Köpfe eng zusammen, während er ihr ausführlich die Karte erklärte.
Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten, fiel ihm plötzlich etwas Unangenehmes ein. »Hast du Christine gesagt, wohin du gehst?« Bernadette lächelte süß. »Na klar. Und auch, mit wem ich gehe.« Als sie sah, wie er zusammenfuhr, kicherte sie hell auf. »Natürlich nicht, du Einfaltspinsel. Du glaubst wohl, ich gehe zum erstenmal mit einem verheirateten Mann aus?«
»Ich bin keineswegs verheiratet!« protestierte Sven. Bernadette sah ihn mit großen Augen an. »Na, aber du benimmst dich doch fast wie ein Ehemann. Tagsüber arbeitest du, und abends kommst du brav heim zu Frau und Kindern.«
Er runzelte die Brauen. »Willst du damit sagen, ich sei ein alter, langweiliger Kerl?!«
Das junge Mädchen kicherte und stupste ihn leicht in die Seite. »Dann würde ich wohl kaum mit dir ausgehen.« Sie sah sich interessiert in der schummrigen Bar um, in der sich das Stimmengewirr mit leiser Jazzmusik vermischte. »Hier gefällt’s mir. Und du siehst hier ganz anders aus als zu Hause. Irgendwie… fast wie ein Abenteurer. Paßt gut zu dir!«
Sven lehnte sich geschmeichelt zurück und reckte das Kinn mit dem Dreitagebart, den er sich hatte stehen lassen. Er genoß jede Sekunde dieses heimlichen kleinen Rendezvous.
Der Kellner brachte die Cocktails, einen »Manhattan« für Sven und einen »Cadillac« für Bernadette. Genießerisch beugte sie sich über das Glas, schloß die üppig geschminkten Lippen um den Strohhalm und nahm einen großen Schluck. »Mhmm.« Dann richtete sie sich wieder auf und sah Sven tief in die Augen. »Mir wird’s hier fast zu warm.« Bernadette trug ein eng anliegendes, silbern schimmerndes Jackett zu ihrem schwarzen Minirock. Jetzt knöpfte sie die Jacke auf und enthüllte ein winziges Top mit Spaghettiträgern.
Sven rückte noch näher an sie heran. »Weißt du was?« murmelte er.
»Na?« Sie warf die Löwenmähne lässig zurück und lächelte ihn an.