Mami Staffel 3 – Familienroman. Gisela ReutlingЧитать онлайн книгу.
entgegen. Sie trug eine Tasche mit dem Aufdruck einer exklusiven Boutique.
»Schau mal, ich habe mir ein neues Kleid gekauft. Heute abend bin ich doch bei unseren Nachbarn eingeladen.«
»Ein neues Kleid?« Sven musterte sie ärgerlich. »Ganz schön viel Aufwand für einen nachbarlichen Besuch! Übrigens hat diese Frau Falkenroth eben hier angerufen. Ich soll dir ausrichten, ihr Sohn könne deinen Besuch gar nicht abwarten. Er hätte Sehnsucht nach dir«, fügte er sarkastisch hinzu.
»Das hat sie bestimmt nicht gesagt.« Christine blickte zu Boden. Sie fühlte sich ein wenig schuldig und ärgerte sich darüber. Sven hatte ihr immer vertrauen können. Warum sagte er solche Dinge?
»Übrigens hättest du mich ruhig fragen können, ob ich mitkommen möchte«, fuhr Sven fort.
»Aber du hast doch heute abend eine Sitzung in der Agentur!« sagte Christine erstaunt.
Sven zuckte zusammen. »Ach ja, natürlich. Eine sehr wichtige Sitzung«, sagte er lahm. »Aber die dauert höchstens bis zehn. Danach könnte ich dich und die Kinder doch bei den Falkenroths abholen. Wie wär’s?« Christine gefiel diese Idee aus irgendeinem Grund nicht besonders, aber sie wußte auch kein Argument dagegen. »Also gut«, sagte sie. Sven gab ihr einen Kuß und brauste in seinem Sportwagen davon.
Im Haus kam ihr Bernadette entgegen. »Brauchen Sie mich heute abend?« fragte sie schüchtern. »Ich würde ganz gern mit einer Freundin ins Kino gehen, wenn das möglich wäre.« Christine wunderte sich über Bernadettes unterwürfigen Ton. So kannte sie das junge Mädchen ja gar nicht. Sie sah fast so aus, als hätte sie ein schlechtes Gewissen. Aber Christine dachte nicht weiter darüber nach und gab ihr frei. »Sie müssen mir nur vorher noch helfen, die Kinder nett anzuziehen«, meinte sie.
Um sieben Uhr abends standen die Kinder in ihren schönsten Kleidern am Fuß der Treppe. Julia trug statt des üblichen Pferdeschwanzes die braunen Haare offen und sah in ihrem rotgemusterten Kleidchen und den Lackschuhen fast wie eine kleine Dame aus. Markus’ wilder Haarschopf war durch einen ordentlichen Scheitel gebändigt, und er hatte seinen gestreiften Lieblingspullover durch ein kleines blaues Jackett ersetzt. Florentine war die hübscheste in ihrem weißen Kleid und mit einer silbernen Haarspange im blonden Mozartzopf. Wohlgefällig betrachtete Bernadette die Kinder. Auch sie selbst hatte sich auffällig schick gemacht und duftete intensiv nach ihrem bevorzugten Moschusparfüm.
»Mann, hast du hohe Schuhe an!« rief Markus aus. »Wo gehst du denn hin?«
»Ins Kino«, gab sie kurz zurück. Julia schüttelte verwundert die langen braunen Haare zurück. »Komisch. Mama macht sich nie so fein, wenn sie ins Kino geht.«
»Die Menschen sind halt verschieden«, bemerkte Bernadette spitz. In diesem Moment kam Christine in ihrem neuen Kostüm die Treppe hinunter. Die drei Kinder staunten ihre Mutter mit offenem Mund an. »Bist du schön, Mama!« rief Florentine hingerissen aus. Bernadette biß sich auf die Lippen, denn im stillen mußte sie zugeben, daß sie Christine nicht das Wasser reichen konnte. Das schlichte blaßblaue Kostüm saß wie angegossen und betonte die makellose Figur der Trägerin. Der schmale Rock endete knapp über dem Knie, so daß die wohlgeformten Beine zu sehen waren. Das Haar hatte Christine zu einer eleganten Grace-Kelly-Frisur hochgesteckt. Bernadette war sich bewußt, daß das viel vornehmer wirkte als ihre unordentlich hochgetürmte Löwenmähne. Gut, daß Sven sie beide nicht nebeneinander sehen konnte, dachte sie. Aber dann verzog sie ihr Gesicht zu
einem schadenfrohen Lächeln. Schließlich wollte Sven doch mit ihr verreisen und nicht mit Christine! Heute wollten sie die Einzelheiten der Karibik-Reise besprechen. Und das, während Christine sich mit einem Professor und seiner alten Mutter langweilen würde!
Christine hatte keine Ahnung von diesen Gedanken und lächelte das Kindermädchen freundlich an. »Vielen Dank, jetzt komme ich allein zurecht. In welchen Film wollen Sie denn gehen?«
Das hatte Bernadette sich nicht vorher zurechtgelegt. »Wir treffen uns erst mal in einem Café und wollen uns dann überlegen, welchen Film wir angucken«, stotterte sie verlegen. Christine sah auf die Uhr. »Oh, dann müssen Sie sich aber beeilen! Die Filme fangen alle um acht Uhr an. Soll ich Sie vielleicht noch schnell ins Zentrum fahren?« bot sie hilfsbereit an.
»Danke, nein, das ist wirklich nicht nötig!« Bernadette lief rot an und verabschiedete sich eilig. Ihre hohen Absätze klackten, während sie die Straße hinabstöckelte. Sie bog um eine Ecke und sah den Sportwagen, der in einer Parklücke hielt.
»Tut mir leid, ich konnte nicht eher kommen«, keuchte Bernadette atemlos und gab Sven einen zärtlichen Kuß auf die Wange. »Ich mußte stundenlang die Gören herausputzen.«
»So«, sagte er mißmutig. »Welch ein Aufwand. Hat sich Christine denn auch schick gemacht?«
»Doch, sie hat sich durchaus bemüht«, sagte Bernadette von oben herab und tat so, als sei das Wort »schick« ganz unpassend für Christine.
»Was hat sie denn angezogen?« bohrte Sven weiter und machte ein unzufriedenes Gesicht, als Bernadette es ihm widerwillig berichtete. »Aber das ist doch
ganz egal!« fügte sie hinzu. »Fahr schon los, ich will tanzen! Schau mal, wie findest du eigentlich
meine neuen Strümpfe?« Und
sie präsentierte ihre schlanken,
in Netzstrümpfen steckenden Beine.
»Super«, sagte Sven und tätschelte mit einer Hand ihr Knie. Aber Bernadette sah ihm an, daß er mit seinen Gedanken ganz woanders war.
*
»Noch etwas Fleisch? Ein paar Kartoffeln?« Frau Falkenroth war rührend um die Kinder bemüht. Sie suchte für sie die leckersten Bissen aus, schnitt ihnen das Fleisch vor und hatte zum Nachtisch sogar einen Kinderpunsch gebraut. Kurz, sie sorgte für sie, als wären sie wirklich ihre Enkel. Offenbar war Frau Falkenroth vernarrt in Kinder, überlegte Christine. Sicher wünschte sie sich nichts sehnlicher, als daß ihr Sohn heiraten würde!
Kaum hatte Christine das gedacht, als die alte Dame sich an
sie wandte. »Wollen Sie wirklich nichts mehr nachnehmen?« Das Essen war köstlich gewesen, aber Christine konnte beim besten Willen nichts mehr hinunterbringen. Aber Frau Falkenroth grübelte weiter, was sie ihren Gästen Gutes tun könnte, ermahnte Christoph, Wein nachzuschenken, und stellte selbstgemachte, sehr leckere Pralinen auf den Tisch.
»Mutter, du bist nie zufrieden, bis du unsere Gäste gestopft hast wie Mastgänse und sie nicht mehr papp sagen können«, neckte sie der Professor.
»Ja, aber ich bin doch so froh, wenn du überhaupt einmal Gäste hast!« antwortete sie spontan und wandte sich an Christine: »Sie müssen ein wenig auf meinen Sohn aufpassen, ja? Sonst vereinsamt er noch völlig über seinen Büchern.«
»Meine Mutter hält mich für einen unverbesserlichen alten Hagestolz«, sagte Christoph und zwinkerte Christine zu. Sie zwinkerte zurück und mußte kichern. Sie war an Alkohol nicht gewöhnt und fühlte sich nach drei Gläsern des ausgezeichneten schweren Rotweins, den der Professor ihr zu Ehren aus dem Keller geholt hatte, ein wenig beschwipst. Sie genoß das Beisammensein mit diesen netten Nachbarn. Nur seltsam, daß ihr immer dieses leise Prickeln den Rücken hinunterlief, wenn Christoph sie mit seinen dunklen Augen ansah! Leider rückte der Zeiger der altmodischen Standuhr schon auf zehn Uhr, und Florentine gähnte herzhaft.
»Die Kinder sind müde, ich fürchte, ich muß jetzt gehen«, sagte Christine widerstrebend.
Aber so schnell ließen ihre Gastgeber sie nicht fort. Frau Falkenroth führte Florentine in das Arbeitszimmer ihres Sohnes und bettete sie auf einen Diwan. Julia und Markus beteuerten lauthals, noch überhaupt nicht müde zu sein.
»Ja? Dann habt ihr vielleicht Lust, eine Partie Mensch-ärgere-dich-nicht zu spielen?« fragte die alte Dame munter, und die Kinder folgten ihr begeistert in den Salon, wo sie eine schon arg zerschlissene Spielesammlung aus der Kommode kramte.
Christine und Christoph blieben allein im Eßzimmer zurück. Sie setzten sich