Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm HauffЧитать онлайн книгу.
vorkamen, so gaben wir uns alle mögliche Mühe, einen Gegenstand, eine Ursache für unser namenloses Unglück zu ersinnen.
Mein gewöhnliches Verhältnis zu der reichen Kaufmannstochter war übrigens das eines Edelknaben von dunkler Geburt, der an dem Hof eines großen Grafen oder Fürsten lebt, eine unglückliche Leidenschaft zu der schönen Tochter des Hauses bekommt, und endlich von ihr heimliche, aber innige Gegenliebe empfängt. Und wie lebhaft wußte Amalie ihre Rolle zu geben; wie gütig, wie herablassend war sie gegen mich! wie liebte sie den schönen, ritterlichen Edelknaben, dem kein Hindernis zu schwer war, zu ihr zu gelangen, der den breiten Burggraben (die Entenpfütze in unserm Hof) durchwadet, der die Zinnen des Walles (den Gartenzaun) erstiegen, um in ihr Gartengemach (die Moosbank unter den Achazien) sich zu schleichen. Tausend Dolche (die Nägel auf dem Zaun, die meinen Beinkleidern sehr gefährlich waren) tausend Dolche lauern auf ihn, aber die Liebe führt ihn unbeschädigt zu den Füßen seiner Herrin.
Das einzige Unglück bei unserer Liebe war, daß wir eigentlich gar kein Unglück hatten. Zwar gab es hie und da Grenzstreitigkeiten zwischen dem armen Ritter, meinem Vater, und dem reichen Fürsten (dem Kaufmann), wenn nämlich eines unserer Hühner in seinen Garten hinübergeflogen war, und auf seinen Mistbeeten spazierenging; oder es kam sogar zu wirklicher Fehde, wenn der Fürst einen Herold (seinen Ladendiener) zu uns herüberschickte und um den Tribut mahnen ließ (weil mein Vater eine sehr große Rechnung in dem Kontobuch des Fürsten hatte). Aber dies alles war leider kein nötigendes Unglück für unsere Liebe, und diente nicht dazu, unsere Situationen noch romantischer zu machen.
Die einzige Folge, die aus meinem Lesen und meiner Liebe entstand, war mein hartes Unglück, immer unter den letzten meiner Klasse zu sein, und von dem alten Rektor tüchtig Schläge zu bekommen; doch auch darüber belehrte und tröstete mich meine ›Herrin‹. Sie entdeckte mir nämlich, daß des Herzogs (des Rektors) ältester Prinz um ihre Liebe gebuhlt und sie aus Liebe zu mir den Jüngling abgewiesen habe; er aber habe gewiß unsere Liebe und den Grund seiner Abweisung entdeckt und sie dem alten Vater, dem Rektor, beigebracht, der sich dafür auf eine so unwürdige Art an mir räche. Ich ließ die Gute auf ihrem Glauben, wußte aber wohl, woher die Schläge kamen; der alte Herzog wußte, daß ich die unregelmäßigen, griechischen Verba nicht lernte, und dafür bekam ich Schläge.
So war ich fünfzehn, und meine Dame vierzehn Jahre alt geworden, ungetrübt war bis jetzt der Himmel unserer Liebe gewesen, da ereigneten sich mit einem Mal zwei Unglücksfälle, wovon schon eines für sich hinreichend gewesen wäre, mich aus meinen Höhen herabzuschmettern.
Es war die Zeit, wo nach dem Frieden von Paris die Fouqéschen Romane anfingen, in meinem Vaterlande Mode zu werden … .«
»Was ist das, Fouquésche Romane?« fragte der Lord.
»Das sind lichtbraune, fromme Geschichten; doch durch diese Definition werden Sie nicht mehr wissen als vorher. Herr von Fouqué ist ein frommer Rittersmann, der, weil es nicht mehr an der Zeit ist, mit Schwert und Lanze zu turnieren, mit der Feder in die Schranken reitet, und kämpft, wie der gewaltigen Währinger einer. Er hat das ein wenig rohe und gemeine Mittelalter modernisiert, oder vielmehr unsere heutige modische Welt in einigen frommen Mystizismus einbalsamiert, und um fünfhundert Jahre zurückgeschoben. Da schmeckt nun alles ganz süßlich und sieht recht anmutig, lichtdunkel aus; die Ritter, von denen man vorher nichts anders wußte, als sie seien derbe Landjunker gewesen, die sich aus Religion und feiner Sitte so wenig machten, als der Großtürke aus dem sechsten Gebot, treten hier mit einer bezaubernden Courtoisie auf, sprechen in feinen Redensarten, sind hauptsächlich fromm und kreuzgläubig.
Die Damen sind moderne Schwärmerinnen, nur keuscher, reiner, mit steifen Kragen angetan, und überhaupt etwas ritterlich aufgeputzt. Selbst die edlen Rosse sind glänzender als heutzutage und haben ordentlich Verstand, wie auch die Wolfshunde und andere solche Getiere.«
»Mon dieu! solchen Unsinn liest man in Deutschland?« rief der Franzose und schlug vor Verwunderung die Hände zusammen.
»O ja, meine Herren, man liest und bewundert; es gab eine Zeit bei uns, wo wir davon zurückgekommen waren, alles an fremden Nationen zu bewundern; da wir nun, auf unsere eigenen Herrlichkeiten beschränkt, nichts an uns fanden, das wir bewundern konnten, als die tempi passati – so warfen wir uns mit unserem gewöhnlichen Nachahmungseifer auf diese und wurden allesamt altdeutsch.
Mancher hatte aber nicht Phantasie genug, um sich ganz in jene herrliche vergangene Zeiten hineinzudenken, man fühlte allgemein das Bedürfnis von Handbüchern, die, wie Modejournale neuerer Zeit, über Sitten und Gebräuche bei unseren Vorfahren uns belehrt hätten, da trat jener fromme Ritter auf, ein zweiter Orpheus, griff er in die Saiten und es entstand ein neu Geschlecht; die Mädchen, die bei den französischen Garnisonen etwas frivol geworden waren, wurden sittige, keusche, fromme Fräulein, die jungen Herren zogen die modischen Fracks aus, ließen Haar und Bart wachsen, an die Hemder eine halbe Elle Leinwand setzen, und ›Kleider machen Leute‹ sagt ein Sprichwort, probatum est, auch sie waren tugendlich, tapfer und fromm.«
»God damn! Sie haben recht, ich habe solche Figuren gesehen«, unterbrach ihn der Engländer, »vor acht Jahren machte ich die große Tour und kam auch nach der Schweiz. Am Vierwaldstätter See ließ ich mir den Ort zeigen, wo die Schweizer ihre Republiken gestiftet haben. Ich traf auf der Wiese eine Gesellschaft, die wunderlich, halb modern, halb aus den Garderoben früherer Jahrhunderte sich gekleidet zu haben schien. Fünf bis sechs junge Männer saßen und standen auf der Wiese und blickten mit glänzenden Augen über den See hin. Sie hatten wunderbare Mützen auf dem Kopf, die fast anzusehen waren wie Pfannkuchen. Lange wallende Haare fielen in malerischer Unordnung auf den Rücken und die Schultern; den Hals trugen sie frei und hatten breite, zierlich gestickte Kragen, wie heutzutage die Damen tragen, herausgelegt.
Ein Rock, der offenbar von einem heutigen Meister, aber nach antiker Form gemacht war, kleidete sie nicht übel; er schloß sich eng um den Leib und zeigte überall den schönen Wuchs der jungen Männer. In sonderbarem Kontrast damit standen weite Pluderhosen von grober Leinwand. Aus ihren Röcken sahen drohende Dolchgriffe hervor, und in der Hand trugen sie Beilstöcke, ungefähr wie die römischen Liktoren. Gar nicht recht wollte aber zu diesem Kostüm passen, daß sie Brillen auf der Nase hatten und gewaltig Tabak rauchten.
Ich fragte meinen Führer, was das für eine sonderbare Armatur und Uniform wäre, und ob sie vielleicht eine Besatzung der Grütli-Wiese vorstellen sollten? Er aber belehrte mich, daß es fahrende Schüler aus Deutschland wären. Unwillkürlich drängte sich mir der Gedanke an den fahrenden Ritter Don Quijote auf, ich stieg lachend in meinen Kahn und pries mein Glück, auf einem Platz, der durch die erhabenen Erinnerungen, die er erweckt, nur zu leicht zu träumerischen Vergleichungen führt, eine so groteske Erscheinung aus dem Leben gehabt zu haben. Die jungen Deutschen söhnten mich aber wieder mit sich aus, denn als mein Kahn über den See hingleitete, erhoben sie einen vierstimmigen Gesang in so erhabener Melodie, mit so würdigen, ergreifenden Wendungen, daß ich ihnen in Gedanken das Vorurteil abbat, welches ihr Kostüm in mir erweckt hatte.«
»Nun ja, da haben wir’s«, fuhr der Baron von Garnmacher fort, »so sah es damals unter alt und jung in Deutschland aus; auch ich hatte Fouquésche Romane gelesen, wurde ein frommer Knab, trug mich wie alle meine Kameraden altdeutsch und war meiner Herrin, der ›wunnigen Maid‹ mit einer keuschen, inniglichen Minne zugetan. Auf Amalien machte übrigens der › Zauberring‹, die › Fahrten Thiodolfs‹ etc. nicht den gewünschten Eindruck; sie verlachte die sittigen, lichtbraunen, blauäugigen Damen, besonders die Bertha von Lichtenrieth, und pries mir Lafontaine und Langbein, schlüpfrige Geschichten, welche ihr eine ihrer Freundinnen zugesteckt hatte.
Ich war zu erfüllt von dem deutschen Wesen, das in mir aufging, als daß ich ihr Gehör gegeben hätte, aber der lüsterne Brennstoff jener Romane brannte fort in dem Mädchen, das sich, weil sie für ihr Alter schon ziemlich groß war, für eine angehende Jungfrau hielt, und kurz – es gab eine Josephsszene zwischen uns; ich hüllte mich in meinen altdeutschen Rock und meine Fouquésche Tugend ein und floh vor den Lockungen der Sirene, wie mein Held Thiodolf vor der herrlichen Zoe.
Die Folge davon war, daß sie mich als einen Unwürdigen verachtete, und dem Prinzen, des Rektors Sohn, ihre Liebe schenkte. Ob er mit ihr Lafontaine und