Letzte Fahrt. Robert Falcon ScottЧитать онлайн книгу.
sie haben gewiss all die Wochen über an qualvollem Hautreiz gelitten, ohne sich helfen zu können, und sind nun eifrig dabei, durch gegenseitiges Benagen ihrer Flanken sich die so lange entbehrten Liebesdienste zu erweisen. Und auch ich atmete wie nach einem langen Albdruck wieder auf, als ich sie alle siebzehn auf dem Eisfeld angepflockt sah.
Die Hunde gingen unter Meares’ Führung mit leichten Lasten gleich ins Geschirr, zeigten aber schon am ersten Tag eine Demoralisation, die uns viel Ärger bereitete. Schuld daran waren die maßlos dummen Pinguine, die in Scharen auf unser Eisfeld losschossen. Mit dem Kopf in der Luft hin und her stoßend, watschelten sie heran, voll verzehrender Neugier und stumpfsinniger Gleichgültigkeit gegen die heulenden Hunde, die an ihren Leinen zerrten und zu ihnen hinstrebten.
»Hallo!«, schienen die Pinguine zu sagen, »das ist lustig, was wollt denn ihr lächerlichen Geschöpfe hier bei uns? Lasst euch mal anschauen!«
Dann kamen sie näher, und wenn die Hunde, soweit die Leinen nachgaben, auf sie zusprangen, sträubten sie das Gefieder, aber nicht aus Furcht, sondern nur aus Ärger, und in einer Haltung, als ob sie einem unmanierlichen Fremden den Standpunkt klarmachen wollten, schienen sie zu schreien:
»Oho! Ihr seid ja eine saubere Sorte! Na, da seid ihr aber an die Unrechten gekommen! Wir lassen uns nicht verblüffen! Den Schwindel kennen wir!«
Noch ein paar Schritte näher – ein Sprung – ein Aufschrei – und ein gräulicher roter Fleck auf dem Schnee ist das Ende. Aber nichts konnte die dummen Vögel abschrecken; scheuchte man sie fort, so duckten sie sich und wichen seitwärts aus, als ob sie sagen wollten: »Was fällt dir ein, alberner Esel? Lass uns in Frieden!«
Ausschiffung der Ponys
Sobald ein Opfer am Boden liegt, sammeln sich die Skuamöwen, die auf die Hunde keinen aufreizenden Eindruck machen, und warten, bis die blutige Mahlzeit beendet ist; dann stürzen sie sich schreiend und zankend auf den Rest der Beute. So ging es den ganzen Nachmittag und Meares war außer sich über die Zügellosigkeit seiner Schützlinge. Jetzt, am Abend, liegen sie, an einer langen Kette angebunden, zusammengerollt im Ufersand und scheinen sich recht wohlzufühlen.
Der ersten Fahrt der Motorschlitten sahen wir natürlich alle mit großer Spannung entgegen. Day lenkte den einen, Nelson den anderen. Ohne einige kleine Unglücksfälle ging es nicht ab, und von einem glatten Erfolg lässt sich noch nicht reden. Aber sie haben schon tüchtige Lasten ans Ufer befördert und ich verspreche mir von ihnen Außerordentliches.
Welch ein anderer Anblick jetzt ringsum als vor vierundzwanzig oder achtundvierzig Stunden! Der Baugrund für die Hütte ist bereits geebnet; das notwendige Bauholz ist alles am Ufer und die Bauabteilung haust dort ebenfalls schon in unserem großen grünen Zelt mit Lebensmitteln für acht Tage. Die Ponys sind unter der Obhut von Oates und Anton auf einem Schneeabhang angepflockt, damit sie keinen Sand fressen. Um mich herum tönt, während ich dies schreibe, das laute Schnarchen von Männern, die sich von einem anstrengenden Tagewerk
für das morgige ausruhen, und auch mir fallen die Augen zu, denn ich habe seit achtundvierzig Stunden kaum geschlafen – heute kann ich es, und fröhlich mag ich träumen.
Donnerstag, 5. Januar 1911. Als ich heute ziemlich spät – die Ladearbeit war schon seit 6 Uhr im Gang – auf der Bildfläche erschien, wurde ich Zeuge eines aufregenden Vorgangs.
Etwa fünf oder sechs Schwertwale, alte und junge, streiften in der Nähe des Schiffes herum; sie schienen in großer Aufregung, tauchten hastig auf und nieder, streckten die Mäuler aus dem Wasser hervor und kamen bis dicht an das Eisfeld heran. Ich hatte zwar allerhand unheimliche Geschichten von diesen Tieren gehört, ihnen aber niemals etwas sonderlich Schlimmes zugetraut. Unmittelbar am Rand des Eisfeldes lag das Hecktau des Schiffes und an diesem Drahtseil waren die beiden Eskimohunde festgebunden. Aber ich verfiel gar nicht darauf, dass sie etwa die Aufregung der Schwertwale könnten verursacht haben, und rief nur eilig nach Ponting, weil die Tiere gar zu schön nahe waren. Ponting rannte mit seiner Kamera herbei, bereit, sie beim nächsten Auftauchen auf die Platte zu bringen; soeben waren sie verschwunden, aber im nächsten Augenblick wölbte sich das Eisfeld unter ihm und den Hunden und zerbarst in Stücke! Man hörte deutlich das dröhnende Geräusch, als die Walfische sich unter dem Eis aufrichteten und mit dem Rücken dagegen prallten. Dann tauchten sie einer nach dem anderen in den Spalten, die sie gebrochen hatten, hervor und streckten ihre hässlichen Riesenköpfe zwei, drei Meter über das Wasser, wobei ihre braungelbe Kopfzeichnung, ihre kleinen, funkelnden Augen und ihr schreckliches Gebiss – bei Weitem das größte und furchtbarste auf der Welt – deutlich zu sehen waren. Die Bestien sahen sich offenbar mit größtem Interesse danach um, was aus Ponting und den Hunden geworden war.
Ponting war glücklicherweise auf den Füßen geblieben und hatte sich mit ein paar Sprüngen auf festes Eis retten können, und auch von den beiden Hunden war keiner ins Wasser gefallen, da das Eis zufällig um sie herum und zwischen ihnen geborsten war, aber sie winselten und heulten nicht schlecht, als der Kopf eines Schwertwales keine zwei Meter vor ihnen auftauchte. Ob dann den Räubern das Spiel zu unbedeutend vorkam, weil ihnen Ponting dabei fehlte oder was sonst der Grund sein mochte: Sie verschwanden nach anderen Jagdgründen hin und wir konnten die Hunde, und was fast noch wichtiger war, mehrere Tonnen Petroleum, die auf einem nicht mit abgesplitterten Eisstück lagen, in Sicherheit bringen. Dass die Wale jeden, der etwa das Unglück hatte, ins Wasser zu stürzen, wegschnappen würden, darauf waren wir natürlich gefasst, aber dass sie mit so überlegter List handeln, gemeinsam vorgehen und Eis von fast einem Meter Dicke zertrümmern könnten, war uns etwas völlig Neues.
Ich kann also nur bestätigen, was die naturwissenschaftlichen Handbücher vom Schwertwal oder Mörder (Orca gladiator) vermelden, dass er an Kraft, Wildheit und Gefräßigkeit alle anderen Walarten übertrifft. Die ausgewachsenen Männchen sind durchschnittlich 6, die Weibchen 4 ½ Meter lang, doch soll man in Greenwich einen von 9 ½ Metern erlegt haben. Ihre Zähne – elf oder zwölf auf jeder Seite – sind 8 Zentimeter lang und stehen 6 Zentimeter über den Kinnbacken; sie sind überaus stark und scharf und die kegelförmigen Spitzen greifen ineinander. Man hat den Schwertwal beobachtet, wie er mit einem Seehund zwischen den Kinnbacken über der Oberfläche auftauchte, sein Opfer schüttelte, mit Leichtigkeit zermalmte und mit Behagen verschluckte. Im Magen eines dieser Raubtiere fand man die Überreste von dreizehn Delfinen und vierzehn Robben. Drei oder vier Schwertwale zusammen besinnen sich keinen Augenblick, die größten Bartenwale anzugreifen, die, vor Schreck gelähmt, oft gar keinen Versuch machen zu entrinnen; ja, sie verbinden sich zu Genossenschaften, um ganze Herden Wale zu jagen, in eine Bucht zu treiben und buchstäblich in Stücke zu zerreißen. Es sind Fälle vorgekommen, dass eine Schar Schwertwale über erbeutete Walfische herfiel, die an Fangschiffen vertäut waren; obwohl man sie mit Lanzen angriff und mit Schiffshaken verwundete, schleppten sie dennoch ihre Beute fort. An Intelligenz sind sie allen übrigen Walarten überlegen, und nach der heutigen Probe haben sie auch uns Achtung und Vorsicht eingeflößt; wir wissen jetzt, was wir von ihnen zu halten – und wessen wir uns zu versehen haben.
Heute besuchte ich einen gestrandeten Eisberg, in dem Ponting gestern eine wunderbare Grotte entdeckt hatte; durch ihre Rückwand leuchtete der Himmel wie durch einen Lichtschirm aus herrlichen Eiszapfen, und zwar mit einer königlichen Purpurfarbe, die durch den Kontrast mit dem Blau der Grotte oder durch optische Täuschung entstanden sein mag. Durch eine größere Öffnung konnte man, teils auch durch Eiszapfen hindurch, das Schiff, die Westberge und einen violetten Himmel erblicken – ein hinreißendes Bild, von dem Ponting mehrere prächtige Aufnahmen gemacht hat.
Im Übrigen ging die Arbeit heute trefflich vonstatten, wenn auch eine bessere Organisation und größere Vertrautheit mit den verschiedenen Aufgaben noch günstigere Resultate liefern werden. Der Bau der Hütte ist schon fast beendet; sie steht etwa 3 Meter über dem Wasser, ist also vor Spritzwellen geschützt, auch wenn wir bei eisfreier See Nordsturm haben sollten. Petroleum und das übrige Öl, Haferschrot für die Ponys und tausend andere Dinge sind schon an Land, und morgen sollen die Ponys mit der Arbeit beginnen. Den Hunden wird das Ziehen am warmen Tag sehr schwer; Meares will sie jetzt nachts arbeiten lassen. Die Motorschlitten