Californische Skizzen. Gerstäcker FriedrichЧитать онлайн книгу.
die Straße nicht aufgerissen wurde, oder ein Haus weggefahren, oder sonst irgend eine andere entsetzliche Veränderung mit dem Platz im Handumdrehen vorgenommen sei.
Sehr natürlich mußte es ebenso mit dem Districte der Fall sein, der nicht allein im Bereich oder in der Nähe San Franciscos lag, sondern auf den die Stadt selber gleich von Anfang an, der sie einschließenden Küstenberge wegen, angewiesen war sich auszudehnen. So, wer die Mission Dolores selbst noch 1850 im Frühjahr und wer sie im Herbst sah, hätte sie kaum mehr wieder erkannt — und wie mag sie jetzt aussehen? —
Von San Francisco etwa eine Stunde Wegs durch hohe und entsetzliche Sandhügel getrennt, die im heißen Sommer Menschen und Vieh zu Tod erschöpften, schien nichtsdestoweniger eine wirkliche Vereinigung der Mission mit der Stadt noch mit unendlich vielen Schwierigkeiten zu kämpfen zu haben, ehe sie bewerkstelligt werden konnte — wenn eben nicht Amerikaner das Ganze in Händen gehabt hätten. Aber das go ahead Princip bewährte sich hier einmal wirklich wieder auf eine fast fabelhafte Art.
Zwischen der Mission und San Francisco lag eine enorme Masse von Sand, einer Communication mit dem ersten Platze außerordentlich hinderlich, und jedenfalls große Summen erfordernd, sie zu beseitigen. San Francisco gegenüber machte die See oder Bai eine tiefe Bucht, herrlichen Raum beanspruchend, den Straßen und Waarenlager füllen könnten, wenn man eben Grund und Boden genug hätte, die See hier auszuwerfen und zurückzutreiben. Was war einfacher, als daß man die Sandberge der Mission Dolores nahm, und dort, wo man sie brauchte, in die See schüttete, und so übertrieben das hier klingen mag, machten es doch die Amerikaner in wenigen Monaten möglich. Eine gewaltige Dampfmaschine, die sie von Newyork herüberbekommen hatten, fing an zu arbeiten und das riesige Maschinenwerk wühlte sich in den Berg, warf sich die Last auf den Rücken und keuchte mit Windesschnelle hinüber an die Ufer der Bai, seine Bürde dort in die Flut zu werfen, und Fußbreit nach Fußbreit dem nur langsam und trotzig zurückweichenden Meere abzugewinnen.
In wenig Monaten war die Straße nach der Mission hinaus geebnet und mit Planken belegt, und kaum glitt die letzte Bohle in ihr Lager, als auch schon breitsitzige Omnibusse darüber hinrasselten, als ob sich der Boden seit Jahrhunderten das Recht der Civilisation erworben habe, und das ganze Leben und Treiben hier nicht etwa wie über Nacht aus der Erde heraufgewachsen sei.
Wunderlich und fast wie unheimlich steht mitten zwischen dieser Flut von Neuerungen — oder stand wenigstens noch seit den letzten Nachrichten — das alte eigentliche Missionsgebäude, mit seinen düsteren Mauern aus ungebrannten Ziegelsteinen, und der alterthümlichen spanischen Bauart; mit den engen vergitterten Fenstern und niederen, wie mit der Spitzhacke eingeschlagenen Thüren, aus dessen einem Flügel sich nur ein etwas höheres Dach mit sonderbar und geschmacklos angebrachten Säulen über die übrigen gleichmäßigen und kasernenähnlichen Flanken emporhob, und die kleine, dicht darum gedrängte Ansiedlung, wie eine alte Henne ihre schüchtern rund um sie hergestreute Brut zu bewachen schien.
Was hat das alte Gebäude nicht gesehen zu seiner Zeit! — Wenn die Ziegel reden könnten, die jetzt morsch auf dem Dache sitzen und von denen die meisten nach unten zu drängen scheinen und über die Rinne schauen, als ob sie sich in dem sumpfigen Grund unten einen Platz aussuchten, wo sie am besten hinunterspringen könnten — wenn die alten Lehmsteine ihre Erfahrungen ausschwatzen könnten. Aber stumm und starr stehen sie da und schauen noch gerade so düster und unheimlich auf die jetzt um sie schaffende, rege Welt hernieder, als damals, wo die ersten scheu und ängstlich den Platz betretenden Indianer in den Schooß der christlichen Kirche aufgenommen wurden, und dem fremden Gotte ihre Knie beugten. Ein Bischen älter sind sie geworden, ein paar Runzeln haben sie mehr bekommen und der Zahn der Zeit hat etwas an ihnen genagt — lieber Gott, es geht uns ja Allen nicht besser — aber sonst stehen noch dieselben ungebrannten Ziegel, die damals, unter der Leitung der frommen Männer, die rothen Kinder jener Berge zusammentrugen und aufbauten zu einem Tempel des Herrn, noch liegt der alte Kirchhof so feucht und trostlos unter den Dachrinnen der Kirche und hinter die feuchte Mauer gedrückt, wie vor langen Jahren, und nur die steinerne Einfriedigung ist zusammengebrochen, die Kreuze sind morsch geworden und zerbröckelt und die Hügel eingesunken auf ihre stillen träumenden Miethsleute darunter.
Die Wände selber aber scheinen doch, wenn das nur irgend möglich wäre, noch grauer und feuchter geworden zu sein, während die seidenen Bänder und Blumen verblichen und stockten, und der Wind, der jetzt an gar vielen Orten Ein- und Zutritt gewonnen, so unheimlich wie rauh mit dem Flittergold raschelte, das über ein Paar entsetzlichen Heiligenköpfen hing und seinem Zweck jetzt vollkommen entsprach, die Augen der Gläubigen dorthin zu lenken.
Und so traurig und öde liegt das alte Gebäude? —
Hörst du die Violinen und Pauken, lieber Leser, gleich da unten in dem andern Eckflügel der Kirche? — Pauken und Violinen, Guitarren und lauter lachende Stimmen — da ist Fandango, und die Paare drehen sich auch wol beim Walzer in wirbelnder Lust. —
Und der Schrei? — o das ist nichts — da über der Brauerei, in der Mission, hat ein Doctor aus Buenos-Ayres erst kürzlich ein Hospital angelegt, und sie sagen, Einer von den „Ueberlebenden“ sei wahnsinnig geworden — ich erzähle dir die Geschichte ein andermal. —
Brauerei, Hospital, Schenke und Priesterwohnung, Kirche und —
Lieber Leser, du fragst wirklich zu viel — wenn Leute hier wohnen, brauchen sie auch keine Rechenschaft über sich abzulegen, noch dazu einem Fremden, der Tausende von Meilen entfernt lebt. Aber der Figur wollen wir folgen, die da eben aus der Brauerei tritt und mit leisem langsamen Schritt, des nassen Wetters nicht achtend, nach jenem alten Adobiegebäude schleicht, das etwa 300 Schritte von der Kirche entfernt, gerade oben am ersten flachen Hügel steht. Der Mann trägt einen schwarzen breiträndrigen Hut und einen schmutzigen alten dunklen Mantel, seine ganze Tracht überhaupt ist ein Mittelding zwischen geistlich und weltlich (da denn doch einmal jede der beiden ihre Mode hat) und der schielende Blick, der seinen überdieß finstern boshaften Zügen etwas wirklich Abstoßendes giebt, vollendet die ganze äußere Erscheinung des Mannes und rundet sein Aussehen gewissermaßen ab.
Es ist wunderbarer Weise ein Deutscher und heißt Johann Stapf, aber einer von jenen Charakteren, die in ihrem Lebenslauf des Schicksals wunderlichste Launen über sich ausgeschüttet sehen, und das Glück eines armen Schriftstellers nur mit der einfachen Erzählung ihrer Erlebnisse machen könnten — wenn sie nur eben erzählen dürften, was sie erlebt hatten.
Er gehörte mit zur Mission Dolores, stand wenigstens mit dem Geistlichen auf einem sehr vertrauten Fuß, und dennoch war es ein öffentliches Geheimniß, daß er im mexikanisch-californischen Kriege den Amerikanern zum Spion gedient. Er wäre aber von den Californiern längst einmal mit einem freundlichen Messer beseitigt worden, hätte er nicht wahrscheinlich ihnen dieselben Dienste geleistet.
Erst lief ihm aber der Priester und dann die Mission unter den Händen weg, der Erstere eines Landprozesses wegen, der ihm alles Das absprach, was er bisher sein eigen genannt, die letztere von den Amerikanern, bis zur Kirche, einfach in Besitz genommen, und das alte Missionsinventarium, der alte Stapf — zog eben in die Minen.
Ein anderer Priester kam auf die Mission, aber die Blütenzeit derselben war vorbei. Die Indianer, die sonst nicht allein ihre Lager in der Nähe gehabt, sondern auch durch die Häuser der spanischen Einwohner zerstreut gewesen, waren verschwunden, die Minen schienen mehr Anziehungskraft gehabt zu haben als das alte wettermüde Gebäude, und die wenigen, die sich wirklich noch in der Nähe herumtrieben, thaten es, mit sehr wenigen Ausnahmen, nur des bequemer zu bekommenden Agua ardiente oder Branntweins wegen, an den sie sich nun einmal anfingen zu gewöhnen.
Mehre Male sah ich eins ihrer Leichenbegängnisse mit Violinen und Clarinetten fröhlich zur Kirche und durch das niedere Pförtchen auf den Todtenacker ziehen, wo die Gestorbenen in ihre stillen Stübchen eingeschachtelt wurden. Nach der Kirche begannen dann ihre alten Wehklagen, trotzdem daß ihnen doch für die Geschiedenen christliche Seligkeit versprochen worden. Bis in die Nacht hinein heulten und jammerten sie, und dann lagen sie draußen im Schlamme mit ihren dünnen cattunenen Ueberwürfen, und stöhnten die ganze kalte Nacht hindurch. Zuerst über den Gestorbenen, zuletzt über ihr eignes Elend.
Die Mission hat — wie es auch so