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Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich GlauserЧитать онлайн книгу.

Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich  Glauser


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in Ihr Büchlein notieren…«

      Wieder überhörte Studer geflissentlich die Ironie. Er fragte mit seiner treuherzigsten Miene:

      »Eine Angstneurose? Was ist das, Herr Doktor?«

      »Herrgott! Ich kann doch hier kein Kolleg über Neurosenlehre lesen. Später will ich es Ihnen erklären… Dort ist das Direktionsbüro. Daneben das Ärztezimmer. Ich werde jetzt eine Stunde beschäftigt sein; wenn Sie etwas brauchen sollten, so wenden Sie sich an den Portier. Übrigens können Sie sich notieren, daß er Dreyer heißt.«

      Und Studer hörte noch das Zuschlagen einer Türe.

      Der Tatort und der Festsaal

       Inhaltsverzeichnis

      Der Busch vor dem Fenster trug weiße Beeren, die an Wachskugeln erinnerten. Auf dem Fenstersims, zwischen den Glassplittern, tanzten zwei Spatzen. Sie benahmen sich wie Stehaufmännchen. In kurzen Zwischenräumen tauchten ihre Köpfe über dem untern Rand des Holzrahmens auf, verschwanden, tauchten wieder auf. Als Studer den umgefallenen Bürostuhl wieder auf die Beine stellte, flogen sie fort…

      Zuerst setzte er sich, zog noch einmal sein Wachstuchbüchlein hervor und schrieb in seiner kleinen Schrift, die ein wenig an Griechisch erinnerte:

      ›Caplaun Herbert, Sohn des Obersten, Angstneurose, Patient des Dr. Laduner.‹

      Dann lehnte er sich befriedigt zurück und betrachtete die Verwüstung.

      Blut am Boden, das stimmte. Aber nur wenig: einzelne Tropfen, die auf dem glänzenden Parkett zu dunklen Plättchen eingetrocknet waren. Sie liefen in einer Linie von der zerbrochenen Fensterscheibe zur Tür. Vielleicht war einer mit der Faust durch die Scheibe gefahren und hatte sich verwundet.

      Das kleine Tischchen, links neben dem Fenster, war wohl für die Schreibmaschine bestimmt, während sich der Schreibtisch, groß und breit, verschnörkelt, in der Ecke rechts vom Fenster breitmachte. Studer stand auf und hob die Schreibmaschine auf. Fingerabdrücke brauchte man hier wohl nicht zu suchen. Und vorläufig wußte man ja noch gar nicht, ob ein Mord passiert war oder ob sich der alte Direktor auf eine kleine Erholungsreise begeben hatte. In letzterem Falle hätte er zwar die Ärzteschaft avisiert, aber alte Herren haben manchmal ihre Mucken…

      Über dem Schreibtisch hing ein Gruppenbild. Da stand inmitten von jungen Männern und Mädchen in Schwesterntracht ein alter Herr, der auf dem Kopfe einen breitrandigen schwarzen Hut trug. Ein lockiger, grauer Bart wucherte ihm aus Kinn und Wangen, und eine Stahlbrille saß auf seiner Nase.

      In weißen Buchstaben stand unter der Photographie: »Unserem verehrten Herrn Direktor zum Andenken an den ersten Kurs.« Ja, ja, die jungen Männer sahen alle sehr brav aus, sie trugen schwarze Anzüge und hohe steife Kragen, und ihre Krawatten saßen ein wenig schief.

      »Unserem verehrten Direktor…« Kein Datum? Doch. Inder Ecke unten: 18. April 1927.

      Unter dem Bild, auf einem grünen Löschblatt, lag ein in der Mitte zusammengefalteter Brief. Studer las die ersten Zeilen: »… bitten wir Sie dringlichst, die schon seit zwei Monaten fällige Expertise über den Geisteszustand des…«

      Hm! Ein bequemer Herr, der Direktor Borstli mit seiner Pelerine und seinem breitrandigen Hut… Wetten, daß er einen Schwalbenschwanz trug!… Gewonnen! Auf dem Bild trug er einen – einen grauen, soviel man sehen konnte, und die Hosen waren an den Knieen ausgebeult… Ein alter Mann, ein Mann der alten Schule… Wie war er mit dem betriebsamen Dr. Laduner ausgekommen? Eigentlich wußte man noch nicht viel über den Herrn Direktor Ulrich Borstli, außer daß er an hübschen Pflegerinnen Gefallen fand und sich von ihnen Ueli nennen ließ. Warum sollte er auch nicht? Er war niemandem Rechenschaft schuldig, ein kleiner König in – wie hatte Dr. Laduner das gesagt? – ja, richtig: in Mattos Reich. Diesen Schül, der den Geist Matto erfunden hatte, den mußte man kennenlernen. Matto! Glänzend! Matto hieß ja verrückt auf italienisch. – Matto! Das hatte Klang!

      War er verheiratet gewesen, der alte Direktor? Sicher! Witwer? Wahrscheinlich…

      Es war doch nichts zu holen in dem Büro. Warum war man dann von Dr. Laduner hineingeschickt worden? Der Mann tat nichts ohne Überlegung. Wovor hatte er Angst?… Man war leicht gehemmt, weil man den Dr. Laduner gern hatte, aufrichtig gern, weil man vor allem das Bild nicht vergessen konnte, das Bild aus der Anstalt in Oberhollabrunn… Und dann auch, weil er einem Brot und Salz geboten hatte… Chabis! Aber es war nun einmal so…

      Wo mochte nur der alte Direktor stecken? Auf alle Fälle war es vielleicht gut, man sprach mit dem Portier. Portiers waren gewöhnlich mitteilsame Menschen, um nicht geradeheraus zu sagen: klatschsüchtige… Aber auf alle Fälle waren sie immer auf dem laufenden.

      Und während aus dem Nebenraum, dem Ärztezimmer, durch die geschlossene Verbindungstür, eine eintönig referierende Stimme sickerte, drückte sich Wachtmeister Studer aus dem Direktionsbüro wie ein Schüler, der sich vor dem Lehrer drücken will. – Der Lehrer? In diesem Falle Dr. med. Ernst Laduner, zweiter Arzt und stellvertretender Direktor…

      Der Portier Dreyer trug eine Weste mit angesetzten Lüsterärmeln und eine grüne Schürze vorgebunden. Er war daran, den Gang z'wüsche. Studer stellte sich breitbeinig vor ihn hin:

      »Loset, Dreyer!«

      Der Mann sah auf, sein Blick war leer. Die linke Hand, die auf dem Besenstiel ruhte, trug einen Verband.

      »Ja, Herr Wachtmeister?« Der Mann kannte ihn also schon. Desto besser!

      »Ihr seid verwundet?«

      »Nüt vo Belang…« sagte Dreyer und senkte den Blick.

      Bluttropfen im Direktionsbüro… Der Portier verwundet – an der Hand!… Studer nahm sich zusammen. Nid! Nid! Keine verfrühten Hypothesen. Einfach registrieren: Portier Dreyer ist an der Hand verwundet… Weiter!

      »War der Direktor verheiratet?«

      Der Portier grinste. Seine Augenzähne trugen Goldplomben, das störte Studer, darum blickte er beiseite.

      »Zweimal«, sagte Dreyer. »Zweimal war er verheiratet. Und beide Frauen sind tot. Die zweite war zuerst Köchin bei ihm, Haushälterin hat man das genannt. Sie war aus keiner schlechten Familie. Sie hat's dann gut verstanden, ihre Geschwister in der Anstalt unterzubringen: den Bruder als Maschinenmeister, die Schwester als Buchhalterin in der Verwaltung – und ihr Schwager, der Mann ihrer zweiten Schwester, ist vierter Arzt.« Es war zu erwarten gewesen, und die Erwartung hatte nicht getäuscht. Portiers waren wirklich auf dem laufenden. Sie redeten weniger witzig als beispielsweise Dr. Laduner, aber sachlicher.

      »Danke«, sagte Studer trocken. »Hat der Direktor gestern eine größere Geldsumme empfangen?«

      »Woher wisset ihr das, Herr Wachtmeister? Vom Mai bis in den August war er krank. Er hat Ferien genommen. Aber dann war der Herr Direktor noch bei einer Krankenkasse. Gestern ist das Geld gekommen: hundert Tage zu zwölf Franken Taggeld machte gerade tausendzweihundert Franken.«

      »So«, sagte Studer. »Und am Ersten hat er wohl den Lohn gezogen, das war doch auch gestern?«

      »Nein, den läßt er immer auf der Verwaltung stehen, und wenn eine größere Summe beieinander ist, läßt er sie an die Bank schicken. Er hat ja fast nichts gebraucht. Wohnung frei. Eine Haushälterin hat er nicht mehr nehmen wollen. So hat man ihm das Erstklaßmenü aus der Küche gebracht.«

      »Wie alt war der Direktor?«

      »Neunundsechzig. Nächstes Jahr hätte er seinen siebzigsten Geburtstag gefeiert…«

      Dann, als sei die Sache damit erledigt, schob Dreyer den schwarzen Haarbesen vor sich her, und für einen Augenblick herrschte der Geruch von Staub über die beiden andern: Bodenwichse und Apotheke.

      »Hat er das Geld bei sich behalten? Ich meine die zwölfhundert Franken…«

      Der


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