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Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich GlauserЧитать онлайн книгу.

Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich  Glauser


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Sprachenmésalliancen das Rätsel der menschlichen Psyche gelöst sei…

      Der Berg! Studer, denken Sie an den Berg! Sein Inneres ist plötzlich sichtbar… Ich werde Sie morgen ins U führen. Dort werden Sie manches verstehen. Unter anderem auch die merkwürdige Scheu, von der viele Menschen, auch die Gesundesten, befallen werden, sobald sie Geisteskranken gegenüberstehen.

      Einer von uns hat einmal gesagt, das komme daher, daß man da buchstäblich bei dem Unbewußten zu Besuche sei… Unbewußt, Sie werden mich wieder fragen, was unbewußt ist. Unbewußt ist alles, was wir nicht an die Oberfläche gelangen lassen, was wir so schleunigst als möglich beiseiteschieben, sobald es nur den Versuch wagt, eine Ohrenspitze zu zeigen… Zeigen Sie mir einen einzigen Menschen, der nie in seinem Leben, sei es als Kind, sei es als Erwachsener, wenigstens in Gedanken einen Mord begangen hat, der nie im Traume getötet hat… Sie werden keinen finden… Glauben Sie, daß es sonst so ungeheuer leicht wäre, Menschen in den Krieg zu jagen? Bringen Sie mir den gütigsten Vater, die besorgteste Mutter, wenn sie ehrlich sind, werden sie beide mir zugeben müssen, daß sie nicht einmal, nein, oft gedacht haben: ›Wie leichter hätt' ich's ohne Kinder!‹ Aber wie wollen Sie Ihr schon vorhandenes Kind wegbringen, es sei denn, Sie brächten es um? Sie sind Vater, Studer, ehrlich, Hand aufs Herz: haben Sie früher nicht oft das Kind als eine Last empfunden, als eine Beschränkung Ihrer Freiheit? Nun?«

      Studer grunzte. Es war ein böses Grunzen. Er liebte es nicht, daß man ihm so hart auf die Haut rückte. Natürlich hatte er solche Gedanken gehabt, als seine Tochter noch klein war, und er manchmal in der Nacht nicht schlafen konnte, weil das Kind schrie. Vielleicht hatte er sogar laut geäußert, der Teufel möge das verdammte Gof holen… Aber von einem solchen Ausspruch bis zu einem Kindsmord… Obwohl…

      »Gedanken sind zollfrei«, sagte Laduner, und sein Lächeln war traurig. »Solange es Gedanken sind, solange es Wünsche sind und wir den Wünschen nicht nachgeben, ist alles recht und in Ordnung, und die Gesellschaft ist zufrieden…

      Es darf einer in Büchern verkünden: ›Das Eigentum ist Diebstahl!‹ Es wird ihm wenig geschehen, wenigstens heutzutage. Aber leben Sie einmal nach dem Ausspruch, dann werden Sie sich selbst verhaften müssen, nicht? Schreiben Sie und verkünden Sie es in allen Zeitungen: ›Es ist ein Irrsinn, heutzutage Kinder auf die Welt zu stellen!‹ und schreiten Sie dann zur Tat. Sie brauchen kein Kind zu töten, nur einen verbotenen Eingriff zu machen. Dann können Sie ein paar Jahre in Thorberg darüber nachdenken, daß Sie irgendeinen Paragraphen übertreten haben. Pieterlen hat eben nicht an den Paragraphen gedacht. Er hat monatelang darüber nachgegrübelt, daß nun ein Kind zur Welt kommen solle, daß er das Kind mit seinen achtzig Rappen Stundenlohn nur schlecht werde erziehen können. Er schlug seiner Frau vor, nach Genf zu gehen… Sie wollte nicht…

      Und dann kam er eines Nachts heim, er hatte Überstunden gemacht, es war kurz nach Mitternacht, und er sah Licht in seiner Wohnung…

      Ich bin damals nach Wülflingen gefahren, das ist ein winziges Dorf, Hügel drum herum, und das Haus, in dem Pieterlen gewohnt hatte, lag etwas außerhalb des Dorfes. Ich mußte das Zimmer sehen, ich mußte die Frau sehen. Die Frau hätte ich mir ja kommen lassen können, aber ich wollte sie in der Umgebung sehen, in der sie gelebt hatte, vier Wochen lang, mit dem Pieterlen zusammen, ich wollte die Lampe sehen, die Lampe…«

      Eifrig suchte Laduner nach einem Bogen, hielt ihn dann am unteren Rande, klopfte zweimal kurz mit der Hand auf das Blatt und las:.

      »Die Frau konnte nicht in den Korb sehen, weil er die Lampe bis zum Boden heruntergezogen und mit Papier umwickelt hatte, so daß es im Zimmer sehr düster war. Nachher nahm er dann eine Pfannenschaufel und vergrub das Kind im Wald. Um sicher zu sein, daß es nicht lebend vergraben würde, hat er dem Kind eine Schnur um den Hals geknotet. Seine Frau wußte von alledem nichts…«

      Pause.

      Studer starrte auf den Lampenschirm. Er hatte beide Hände fest um die Armstützen seines Stuhles geschlossen. Es war ihm zumute, wie einmal bei einem Alpenflug: Das Flugzeug rutscht ab, unaufhaltsam, und dann kommt ein Gefühl in der Magengrube auf, nichts steht mehr sicher, alles ist schwankend… Auch damals hatte er sich verzweifelt mit beiden Händen festgehalten, obwohl er wußte, es nütze nichts… Schreibmaschinenbuchstaben auf weißem Papier… Worte, Worte, Sätze… Einer, der die Worte vorlas und die Sätze, und dann war das Zimmer da und die Frau im Bett und die Lampe an der langen Schnur und Pierre Pieterlen hatte einen Mord begangen: ›Vorsätzlich und mit Vorbedacht…‹

      »Er hatte seine Frau dermaßen in der Gewalt«, las Laduner mit eintöniger Stimme, und doch war die Betonung so sonderbar, daß Studer ein wenig stutzte, »und er konnte so stark auf sie einwirken, daß sie nicht versuchte, sich seinem Willen zu widersetzen. Sie war damit einverstanden, weder eine Hebamme noch einen Geburtshelfer beizuziehen…«

      Laduner räusperte sich trocken. Studer war zerstreut, ein paar Sätze verhallten, dann hörte er:

      »…um es zu ersticken. Es gab nur einen kleinen Laut von sich, und er glaubte nicht, daß dieser von seiner Frau gehört werden könnte, weil er durch das Handtuch gedämpft war… Er zeigte ihr das Kind, ohne daß sie genau sehen konnte, ob es ein Mädchen oder ein Knabe war. In Wirklichkeit handelte es sich um ein lebend geborenes Mädchen, das vollständig ausgetragen war…«

      Laduner versorgte das Blatt in der Mappe, klopfte die untere Kante auf den Tisch, um die Papiere zu ordnen, dann schob er die Mappe so lange zurecht, bis die Kante der Mappe mit der Tischkante parallel verlief. Er bedeckte die Augen mit der Hand und sprach weiter:

      »Das Zimmer… Ein Doppelbett. Der Kalkverputz der Wände schmierig, stellenweise abgebröckelt. Drei Stühle; ein Tisch, mit einer giftiggrünen Decke, die mit Fransen gesäumt war… Die Frau sah müde aus, sie war ja auch verhaftet worden! Dann hatte man sie wieder laufen lassen, weil der Mann alles auf sich genommen hatte. Sie hockte am Tisch und spielte mit den grünen Fransen. Ich habe wenig mit ihr gesprochen. Ein einfacher Mensch, verstört. Sie hat mir nicht einmal in die Augen geblickt. Unter anderem sagte sie, daß ihr Mann eigentlich nur bei ihr glücklich gewesen und sehr selten aus sich herausgegangen sei, er habe keine Freunde gehabt… ›So 'ne Gschyter!‹ hat sie gesagt. Und als ich fortging, wußte ich, daß die Frau einverstanden gewesen war mit der Tat. Sie hat es ziemlich deutlich zu verstehen gegeben. Mir gegenüber. Vor dem Gericht hat sie alles geleugnet. Sie sagte: ›Mein Mann hat mich ganz in der Gewalt gehabt…‹ Was hätten Sie getan, Studer? Noch einen Menschen unglücklich gemacht? Es im Gutachten gesagt? Ich weiß, mein großer Kollege zum Beispiel, der aussieht wie der Schauspieler Bassermann, wenn er im Film ›Alraune‹einen geheimnisvollen Sanitätsrat zu spielen hat, mein großer Kollege ist jederzeit bereit, die Justiz zu unterstützen und ihr nach dem Mund zu reden. Er ist Richter und Arzt in einer Person. Schön! Wenn man so kumulieren kann… Ich kann es nicht. Ich bin ein bescheidener Mann, Studer, und wenn ich bescheiden sage, so ist das ein Zeichen, daß ich es eigentlich gar nicht bin. Aber ich glaube immer noch, daß jeder Schuster bei seinem Leisten bleiben soll. Schließlich, ich bin Arzt, Seelenarzt, wie man uns draußen mit einem ein wenig spöttischen Lächeln nennt, weil wir manchmal ein wenig komisch sind mit unsern Fremdwörtern. Aber das ist ja nebensächlich…

      Laduner stand auf, ganz plötzlich; da er keinen Rock anhatte, hoben sich seine Hände, als er sie in die Seiten stützte, dunkel und braun vom weißen Stoffe des Hemdes ab.

      »Vorbemerkung: Wir haben hier in der Anstalt drei Fälle von chronischem Alkoholismus. Der eine dieser Fälle, ein Mann, vierzigjährig jetzt, hat seine Stelle wegen Trunksucht verloren. Er hat sieben Kinder auf die Welt gestellt, die alle leben, der Staat muß die Kinder und die Frau erhalten, der Staat muß hier für den Mann zahlen. Der zweite Fall: Handlanger, mit den bekannten achtzig Rappen Stundenlohn, hat geheiratet, weil er auch etwas von dem wollte, was wir heutzutage Leben nennen; das heißt: einen Ort, wo er daheim war, eine Frau, die zu ihm gehörte. Mit achtzig Rappen Stundenlohn kann man nicht große Sprünge machen, der Mann war ordentlich, zuerst, die Frau auch. Drei Kinder. Es hat nicht gelangt. Der Mann ist saufen gegangen, die Frau hat gewaschen. Noch zwei Kinder. Am billigsten ist Schnaps. Bätziwasser kostet zwanzig Rappen das Glas. Kann man von dem Mann verlangen, er soll Waadtländer zu fünf Franken die Bouteille trinken? Nein, nicht wahr?


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