Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik. Andreas SuchanekЧитать онлайн книгу.
es«, erwiderte sie.
Sie schaute nach oben. Unbeeindruckt von der Gewalt, die das gesamte Refugium zu zerstören drohte, stand die Schattenfrau auf der Galerie und blickte hinab. Fast meinte Jen, ein Lächeln in der Schwärze zu erkennen.
»Hat die das ausgelöst?«, fragte Alexander.
»Keine Ahnung. Komm, wir brauchen den Folianten.«
Sie rannten zu dem Podest.
»Ihr dürft das nicht tun«, sagte Huan. Breitbeinig stand er vor ihnen, die Klinge erhoben.
Es war Alexander, der reagierte. Blitzschnell entstand ein Symbol in der Luft. Ein Sog erwachte, der ihren Gegner quer durch den Raum schleuderte.
»Wow, gute Arbeit.«
»Gewusst wie«, kam es zurück.
Jen verdrehte die Augen. »Du machst es Frau echt schwer. Danke lieber Mark dafür, dass er sein Wissen so stark vertieft hat. Davon profitierst du nun.«
Sie trat an das Podest. »Also schön, hauen wir ab.«
Jen griff nach dem Folianten …
… und die Welt hörte auf zu existieren.
15. Der Blick aus dem Schatten
Sie wartete geduldig.
Oh ja, das war sie schon immer gewesen. Geduldig. Seit damals. Seit jenem Augenblick, der alles in Gang gesetzt hatte. Hundertsechsundsechzig Jahre nach dem Entstehen des Walls fielen die Puzzleteile an ihren Platz, langsam noch, doch zunehmend schneller.
Vor dem Morgengrauen hatte sie die Statue pulverisiert und deren Position eingenommen. Hier stand sie nun, wartete, beobachtete, durchdachte Pläne wie Strategien. Ein Außenstehender hätte sich vermutlich darüber gewundert, dass eine Statue in einem Augenblick ein grausames Lächeln auf den Lippen trug, im nächsten aber völlig ausdruckslos in die Gegend starrte.
Zuerst kamen Alexander und Christian. Fast sah es so aus, als gelänge Huan sein Vorhaben. Gerade holte er aus, um die Klinge in die Brust seines Gefangenen zu rammen, da erschienen Jennifer und Kevin, Christians Bruder. So sollte es sein. Das Chaos war komplett, als die gute Jennifer einen jener Mönche tötete, die den Dämpfungszauber aufrechthielten – nicht, dass dieser für sie, die Schattenfrau, eine Bedeutung gehabt hätte.
Sie verfolgte den Kampf interessiert.
Fast war es soweit.
Da kam das Beben. Sie erkannte den Geschmack, den es mit sich brachte. Leonardo hatte das Artefakt eingesetzt und eine böse Überraschung erlebt. Oh ja, sie erinnerte sich. 1906, San Francisco. Was für eine tolle Zeit das doch gewesen war. Frei, ungezügelt und wild hatte sie sich genommen, was immer sie wollte. Zugegeben, niemand ahnte, dass sie damals bei der Erdbebensache die Finger im Spiel gehabt hatte. Ein Experiment. Der Effekt war beeindruckend gewesen. Wirklich. Leider sahen andere das ähnlich. Allen voran die Pfadfinder der magischen Welt, die Lichtkämpfer und Unsterblichen. Auf ihren weißen Rössern, metaphorisch gesprochen, kamen sie angaloppiert und verdarben jeden Spaß. Fortan schlummerte jenes Artefakt unter dem Castillo. Nun hatte Leonardo es eingesetzt. Er war und blieb eben ein Narr!
Doch eine Gefahr war es nicht.
Sie trat von ihrem Podest herab. Die Steinhülle zerbröselte, die Schattensphäre entstand. Verborgen vor aller Augen stand sie auf der Galerie. Glücklicherweise waren die singenden Mönche damit beschäftigt, abzuhauen.
Jennifer hatte sie mittlerweile bemerkt. Egal. Ein Duell mit den Lichtkämpfern, so gern sie es auch ausgefochten hätte, kam heute nicht infrage. Zu viel konnte dabei schiefgehen. Dieses Mal durfte sie nur beobachten.
Natürlich hatte sie dem Grafen von Saint Germain nichts davon gesagt. Der würde nur wieder versuchen, zu intrigieren, eigene Vorteile herauszuschlagen – und am Ende den dunklen Rat informieren. Vermutlich wunderte er sich noch immer, weshalb sie eine Mitgliedschaft als Rätin abgelehnt hatte. Sie waren so leicht zu berechnen, zu manipulieren, zu lenken.
Sie liebte es.
Der wahre Meister des Spiels um die Macht verbarg sich im Schatten und lenkte jene Figuren, die von sich selbst glaubten, Autorität zu besitzen. Emotionslos, kalkulierend, auf das Ziel fokussiert.
Nach einer Wartezeit von über hundert Jahren konnte man ihr Geduld nicht absprechen. Doch je näher das Ziel rückte, desto gefährlicher wurde die Sache, desto fragiler ihre Sicherheit. Bald musste sie alles auf eine Karte setzen.
Der Schatten muss fallen. Endlich.
Heute war sie hier, weil sie es sehen wollte. Der Foliant lag auf dem Podest, aufgeschlagen, er wartete. Von den Anwesenden wusste einzig Huan, welche Macht darin verborgen lag. Welches Wissen.
Jennifer löste die Fesseln von Alexander. Die beiden Brüder waren mittlerweile verschwunden. Natürlich suchten sie nach einem Ausgang. Die ursprünglichen Bewohner des Refugiums flohen. Nur Huan war geblieben.
In diesem Augenblick flog er durch die Luft, krachte zu Boden.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren überfiel so etwas wie Ungeduld die Schattenfrau, sie vermischte sich mit Vorfreude. Atemlos starrte sie auf die Lichtkämpferin, die ihre Hand ausstreckte.
Tue es!
Und sie tat es.
Eine Essenzaureole schoss aus dem Pergament, schlug in Jennifers Körper ein. Die Lichtkämpferin flog zurück, landete im Zentrum des Raumes, umgeben von sich verästelnden Rissen am Boden und sich verbreiternden Spalten. Steine prasselten herab, Glas barst.
Alexander rannte auf sie zu, schließlich blieb er entsetzt stehen.
Jennifer richtete sich auf. Ihre Augen leuchteten Silber, als habe jemand flüssiges Quecksilber in die Augenhöhlen gekippt. Schwarze Linien krochen über ihre Haut.
Die Schattenfrau zoomte das Bild der Lichtkämpferin mit einem einfachen Fingertrick heran.
Es waren Worte, geschrieben mit schwarzer Tinte, die über Wangen, Stirn und Arme krochen. Jedes einzelne verströmte pure Macht, blieb aber unlesbar.
Gleich muss es soweit sein.
In diesem Moment kehrte Kevin zurück. Er trat zwischen zwei Säulen hervor. Sein Bruder war nirgends zu sehen. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen starrte er auf Jennifer.
Natürlich, du weißt schließlich, was das zu bedeuten hat, nicht wahr? Du hast in den Vorlesungen immer brav aufgepasst.
Die Schattenfrau lachte.
Jennifers Körper erhob sich in die Luft. Wenige Meter schwebte sie über dem Boden. Direkt unter ihr bildete sich ein weiterer Spalt, der schnell breiter wurde.
Rauch quoll aus ihrem Mund.
Dann kamen die Worte.
16. Joshuas Erbe
Alex stand einfach nur da.
Zwischen Chaos und Tod, herabfallenden Trümmern und Brüchen im Boden, die ständig zahlreicher wurden. Tief in seinem Inneren wand sich sein Sigil, zuckte, als spürte es eine vertraute Präsenz. Wissen kratzte an den Rändern seines Geistes, wollte in sein Bewusstsein dringen.
Jen schwebte über den Steinplatten, starrte in Richtung Decke, von der kaum noch etwas übrig war. Rauch quoll aus ihrem Mund, als hätte jemand eine Nebelmaschine in ihren Bauch gesteckt und angeschaltet.
Dann kamen die Worte.
Jens Stimme vermischte sich mit jener eines Mannes. Seltsam tief hallte Silbe für Silbe wider, unterlegt von Rauschen und Lauten eines Kampfes.
Dreimal dreht … Schlüssel,
Verrat, Feuer, Tod.
Im Licht des …,
die