Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik. Andreas SuchanekЧитать онлайн книгу.
sie vor euch, …
Ein Riss, ein Netz, ein Bruch.
Was einst war, wird wieder sein.
Was nun ist, …
Feuerblut, Silberregen, Ascheatem.
Aus Licht wird …,
getrennt …
Ein Krieg am Anfang, am Ende, immerdar.
Zwei Seiten …
Schnee und Asche.
… die Ewigkeit.
Alex lauschte den Worten gebannt, die immer wieder von seltsamen Geräuschen unterbrochen wurden. Plötzlich kam die Erinnerung.
Joshua, jener Lichtkämpfer, der vor einhundert Jahren für den Schutz des Onyxquaders gesorgt und den Räten die notwendige Zeit verschafft hatte, war ein Seher gewesen. In dem Augenblick, in dem der Onyxquader erstmals aktiviert worden war, hatte er eine gewaltige Vision erhalten. Joshua schrieb sie kurz darauf nieder, in einem Folianten, den nur sein Nachfahre entschlüsseln konnte. Sein Erbe sollte die Zeit überdauern und in seinem Nachfahren wiederkehren.
Seiner Nachfahrin.
Seit jener Zeit suchten die Lichtkämpfer nach diesem Erben. Nur mit diesem konnte der Foliant, in dem der letzte Seher alle wichtigen Informationen niedergeschrieben hatte, entschlüsselt werden.
Noch immer drangen Worte aus Jens Mund, doch sie blieben unverständlich. Immer wieder kam es zu Aussetzern, Lauten, Kampfgeräuschen, die aus dem Nichts an ihre Ohren hallten.
»Ich habe ein Portal gefunden«, keuchte Kevin, der plötzlich neben Alex stand. »Wir müssen weg. Egal wie. Hier bricht bald alles zusammen.« Er deutete in die Höhe. »Was macht sie hier?«
Über ihnen stand noch immer die Schattenfrau, eine Silhouette, eingehüllt in ein Nebelfeld. In diesem Augenblick zerstob es. Die Gestalt war fort.
»Wir sind wohl die letz…« Alex riss die Augen auf.
Der Rauch vor Jens Mund verwehte. Ihre Augen nahmen wieder eine normale Farbe an. Sie fiel. Direkt auf den Spalt zu.
Er dachte nicht nach, handelte instinktiv.
Ein Sprung brachte ihn nach vorne, er griff nach der Hand der Lichtkämpferin, die noch immer völlig benommen war.
Sie fiel an ihm vorbei. Dann kam der Ruck, riss ihn nach vorne. Ächzend krachte er zu Boden, hielt Jens Arm mit beiden Händen umklammert. »Wow, bist du schwer.«
»Soll das etwa heißen, ich bin dick?!«, kam es zurück.
Die Lage war ernst, doch Alex musste grinsen. »Du scheinst ja wieder in Ordnung zu sein.«
»Alexander, wieso hänge ich … über einem Abgrund?« Sie griff mit der Rechten nach einem Felsvorsprung, klammerte sich mit der Linken aber weiter an ihm fest.
»Sag bitte Alex, okay. Sonst denke ich immer, meine Mum schimpft mit mir«, ächzte er.
Kevin schob sich neben ihm über den Boden. »Gib mir deine andere Hand.«
Jen griff zu.
Gemeinsam zogen sie sie in die Höhe. Die Erde bebte stärker, immer mehr Spalten entstanden. Die Wände stürzten zusammen, als bestünde das gesamte Refugium aus einem Kartenhaus.
Alex stützte die taumelnde Jen, führte sie zu dem Abgang, den Kevin entdeckt hatte. Dieser rannte zum Folianten, schnappte sich das Artefakt und malte ein Zeichen in die Luft. Jens Essenzstab und die tödliche Sigilklinge, die zwischen Steinen gelegen hatten, flogen in seine Hand.
Erst dann folgte er ihnen.
Der Raum blieb hinter ihnen zurück, soweit man noch von einem Raum sprechen konnte. Alex warf einen letzten Blick hinter sich. Die Wände stürzten soeben ein, als zerdrücke die Faust eines Titanen ein paar Bierdeckel. Auch hier unten rieselten Sand und Erde von der Decke, Steine bröckelten.
Ein weiteres Mal erzitterte der Boden.
Ruhe kehrte ein.
»Ist es vorbei?«, fragte Alex.
»Wenn sich der Angriff – und es war definitiv einer – nur auf den Hohlraum um dieses Gebäude erstreckt hat, dann ja. Wir sind hier in ausgehöhlten Stollen, die wohl schon vor dem Bau des Gebäudes Teil des Untergrunds waren.«
Jen stöhnte. Sie machte sich von beiden los. »Ist okay, ich kann alleine gehen. Wo ist Chris?«
»Beim Portal«, erwiderte Kevin. »Die Mönche sind weg, ich habe eine Schutzsphäre um ihn geworfen, falls doch jemand auftaucht.«
»Ein Bad«, sagte Jen.
»Wie bitte?« Alex schaute sich verdutzt um. »Hast du Halluzinationen?«
Sie verdrehte die Augen. »Das nennt man Imagination. Ich stelle mir vor, wie ich in einer heißen Badewanne liege. Draußen stürmt es, Regen prasselt gegen die Scheiben. Neben meiner Wanne steht ein Glas Rotwein. Duftöle im Wasser. Leise Musik im Hintergrund. Kerzen. Verstehst du?«
»Klar«, sagte Alex. »Hab vor Kurzem einen Porno gesehen, der so begonnen hat.«
Kevin lachte leise.
Jen atmete langsam aus, zählte bis zehn und stellte sich erst danach vor, ihn in eine Statue zu verwandeln. Oder eine Kakerlake. »Weißt du, was du bist?«
»Klar«, kam es zurück. »Jung, gut aussehend, trainiert, prima im B…«
»Ein Idiot. Und das ist diplomatisch formuliert. Komm schon Kev, auf was freust du dich?«
»Max«, erwiderte ihr Freund. »Sex. Bier.«
»Nicht einmal auf einen schwulen besten Freund ist Verlass.«
»Wir starten hier jetzt nicht mit Klischees, oder?«
Sie zwinkerte ihm zu. »Heute ärgere ich dich mal nicht.«
Eine Abzweigung tauchte vor ihnen auf. Kevin führte sie nach rechts. Sie erreichten eine kleine Kammer. Chris lag an der Seite, noch immer bewusstlos. Vermutlich hatte er innere Verletzungen davongetragen, um die sich ein kundiger Heilmagier kümmern musste.
»Shit«, entfuhr es Kevin.
»Was ist los?«, fragte Alex. Es ärgerte ihn, dass es noch so viele blinde Flecken in seinen Erinnerungen gab. Er wusste so wenig.
»Jemand hat das Pentagramm verändert«, sagte Jen.
»Okay. Dann mach es neu.«
Sie warf ihm einen Blick zu, der an Aussagekraft nicht zu überbieten war. Fehlte nur, dass sie ihn in die Wangen kniff und ins stille Eckchen schickte. »Weißt du, wenn das so einfach wäre, müsste man diese Dinger nicht an vorgefertigten Plätzen erschaffen und mühevoll in das Portalnetz einfügen.«
»Was ist eigentlich dein Problem?«, entfuhr es ihm.
»Mein Problem?« Sie richtete sich kerzengerade auf. »Mein Problem ist, dass mein bester Freund von seinem Sigil zerfetzt wurde. Mein Problem ist, dass ich es nicht verhindern konnte. Mein Problem ist, dass jemand mit seiner Erinnerung, seiner Macht, seinem Wissen ausgestattet wurde und sich aufführt wie ein erwachsenes Kind.«
Stille senkte sich herab.
»Ich bin nicht Mark«, sagte er nur.
Jens Gesicht war ein Spiegel ihrer Seele. Da waren Trauer, Wut, Scham über das eigene Verhalten. »Ich … tut mir leid.«
Er nickte. »Mir auch. Aber weißt du, ich werde niemals Mark sein. Will ich auch gar nicht. Mein Leben gehört mir, und ich ändere mich für niemanden.«
Sie schwiegen.
»Okay, Leute.« Kevin räusperte sich. »All das hat Zeit bis später.«