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Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik. Andreas SuchanekЧитать онлайн книгу.

Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik - Andreas Suchanek


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fatalen Folgen einher. Die Kraft unserer Sigile lässt mit jedem Tag nach. Die Räte haben uns darauf vorbereitet. Der Wall speist sich aus uns allen, daher verlieren wir Macht. Vermutlich müssen wir unseren Schutz in wenigen Tagen aufheben. Sodann werden wir die verbliebenen Artefakte und Schriften fortbringen und das erste Castillo zerstören.

      Gezeichnet zur letzten Stunde des Tages,

      Amon

      Panik breitet sich aus, vernebelt unsere Sinne. Die Verbindung zwischen dem Artefakt und uns kann nicht aufgehoben werden. Die Erschaffung des Walls hat uns der notwendigen Kräfte beraubt. Zu schwach sind wir bereits. Doch während der Wall nur einen Teil nimmt, nie aber zu viel, stoppt das Artefakt niemals. Heute Morgen brach Walther zusammen. Seine Essenz ist leer, doch das Sigil löst kein Aurafeuer aus. Wir sind ratlos.

      Gezeichnet zur Mittagsstunde,

      Amon

      Zehn sind bereits tot. Das Artefakt frisst ihre Essenz, ihr Sigil, ihre Aura. Tote Körper bleiben zurück. Es geschieht abrupt. Meine Befürchtung ist jene: Das unheilige Ding ist eine Waffe. Einzig Tilda bleibt verschont. Unsere Köchin ist essenzlos, weshalb sie nicht mit dem Artefakt verbunden werden konnte. Gleichzeitig vermochte ich festzustellen, dass die Strahlung Pflanzen und lebendes Gewebe konserviert. Ein Schritt zur Unsterblichkeit? Aber ein fataler, das steht außer Frage.

      Gezeichnet in höchster Not,

      Amon

      Wir sind nur mehr zu dritt. Falk ist untröstlich, starrt immer wieder auf das Bild seiner geliebten Adrienne. Sie beaufsichtigte die Bücher, die ins Castillo nach Alicante gebracht wurden. Er fragt sich, ob sie beim Sturm der Angreifer noch dort verweilte, ob sie überlebt hat. Es bricht mir das Herz, ihn so leiden zu sehen. Adrienne wird sich das Gleiche fragen, sollte sie am Leben sein. Stille und Tod liegen über dem Ort, den wir einst unser Zuhause nannten. Jeder wartet darauf, dass es ihn als Nächsten erwischt. Tilda umsorgt uns rührend. Vermutlich wird sie die Letzte sein. Wenn wir tot sind, wird der Schleier fallen – und sie kann gehen.

      Gezeichnet im Angesicht des Todes,

      Amon

      Ich bin der Letzte.

      Alle anderen sind tot. Mein Dienst im Zeichen der Lichtkämpfer geht zu Ende. Der Schutz, den ich meinen Brüdern und Schwestern erschaffen wollte, hat unseren Untergang eingeleitet. Möge die Nachwelt nicht zu schlecht von mir denken. Tilda ist soeben hinausgeeilt, um mir einen ihrer geliebten Tees zuzubereiten. Sie ist etwas Besonderes, wie ich in den vergangenen Tagen feststellen durfte. Bis auf die Seele wandert ihr Blick. Das Schicksal mag ihr die Essenz verwehrt haben, doch etwas anderes wurde ihr dafür geschenkt. Mögen …

      Alex legte das letzte Blatt zur Seite. Es gab noch mehr, doch er konnte nicht länger lesen, was im Zeichen größter Not geschrieben worden war. Die Verstorbenen hatten Abschiedsbriefe beigefügt, dazu ein Inventar der verbliebenen Artefakte, das er kurz überflog. Natürlich kannte er keine einzige der darauf vermerkten Bezeichnungen. »Das ist ja übel«, flüsterte er. »Aber warum ist der Schleier nicht zusammengebrochen, als die Lichtkämpfer tot waren?«

      Jen schwieg. Ein Zittern überfiel ihren Körper. Rückwärts kippte sie um, schlug mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden auf.

      Tilda schlug die Hand vor den Mund. »Es geschieht erneut.«

      15. Lebt wohl

      Sein Sigil loderte in Pein und Agonie. Die Essenz war nahezu aufgebraucht, sein Leben näherte sich dem Ende. Er wollte, dass es schnell vorbei war, doch etwas in den Kerkerwänden verhinderte, dass er einen mächtigeren Zauber weben konnte. Ein geschickter Schutz. Jeder Schlag, der stark genug gewesen wäre, die Mauern zu sprengen, wurde gedämpft. Es blieb ihm nur das langsame Sterben.

      Er hatte ein paar schlichte Leuchtkugeln in die Höhe steigen lassen, die den Raum erhellten. Vier an der Zahl, mehr ließen sich nicht erschaffen. Die dafür notwendige Essenz floss unaufhörlich, aber behäbig aus ihm heraus. Ihm blieb ausreichend Zeit, über sein Leben nachzudenken. Bisher war er zweimal in Wut ausgebrochen und einmal in stilles Weinen. Irgendwann hatte mal jemand zu ihm gesagt, dass man gemeinsam lebte, doch alleine starb. Er hatte gelacht. Bei den Lichtkämpfern war das anders. Sie stritten zusammen gegen das Böse. Die meisten kamen dabei um. Folglich gab es so etwas wie Einsamkeit nicht.

      Eine naive Aussage.

      Er vegetierte seit Wochen in einer Zelle dahin, und niemand schien es bemerkt zu haben. Wie nahe standen sie sich wirklich, wenn der Austausch keinem aufgefallen war? Das Leben zog vorbei, Nähe wurde oberflächlich. So musste es sein.

      Er hatte also alleine gelebt.

      Und nun starb er alleine.

      Erst wenn das Aurafeuer über sie alle hinwegbrannte, würden sie merken, dass er hier war, nicht unter ihnen. Vielleicht reichte die Zeit noch aus, das Castillo zu retten. Möglicherweise auch nicht. Doch seine Pflicht hatte er dann getan, hatte alles versucht, die Lichtkämpfer vor Schaden zu bewahren.

      Er kroch zu den Spiegelscherben. Gleich zu Beginn hatte er in ihnen eine Chance zu sehen geglaubt. Er musste nur die Glasteile verflüssigen und wieder mit einem Kontaktzauber verweben. Erfolglos. Einen Kontakt mit irgendwem dort draußen herzustellen, blieb unmöglich. Dann hatte er darüber nachgedacht, mit den Splittern seine Pulsadern zu öffnen, um den Tod zu beschleunigen. Auch ein normaler Tod löste das Aurafeuer aus, da in diesem Augenblick der Schutz um das Sigil brüchig wurde. Schamerfüllt musste er jedoch feststellen, dass sein Selbsterhaltungstrieb ihn davon abhielt.

      Dann also auf die langsame Art.

      Er griff nach einer der großen Scherben, die das Licht des schwebenden Feuers spiegelten und sein Antlitz zurückwarfen. Eines seiner Augen war zugeschwollen, das Gesicht eine einzige schwammige Masse, von Rissen und Blutergüssen bedeckt. Die Haare hingen in fettigen Strähnen bis auf seine Schultern hinab, ein Vollbart zog sich über Wangen und Kinn. Er konnte die Bauchmuskeln kaum anspannen, so viele Prellungen hatte die Kreatur ihm zugefügt. Aus jedem Schlag, jeder Verletzung, die der Wechselbalg voller Freude seinem Körper angetan hatte, hatte er Wut und Hass herauslesen können, die die Kreatur gegen die Lichtkämpfer hegte. Warum? Das hatte er nie erfahren.

      Neben den physischen Attacken hatte das Ding ihn auch verhöhnt und das Äußere von Personen angenommen, die ihm nahestanden. Er vertrieb diese Gedanken sofort wieder. Nicht eine Sekunde wollte er daran zurückdenken, welche Worte die Kreatur ihm ins Ohr geflüstert hatte, während sie ihm eine weitere Wunde zufügte.

      »Mein Aurafeuer wird sie warnen«, flüsterte er heiser. »Sie werden dich finden und töten. Dafür sorge ich.«

      Zitternd ließ er die Scherbe fallen.

      Er hatte mit einem Heilzauber seine Hände wieder gerichtet und die Wunden oberflächlich versorgt, trotzdem schmerzte jede Bewegung der Finger, jede Anspannung der Handmuskeln. Er war kein Heiler. Natürlich bekam jeder Lichtkämpfer einen Grundkurs in Heilmagie verpasst, doch das ging nicht über Stabilisierungsmaßnahmen hinaus. Die meisten interessierten sich eher für Attacken und Abwehr. Ihm war es da ähnlich ergangen.

      Wie viel Zeit mochte vergangen sein?

      Immer wieder sah er durch den Kontaktstein Schlaglichter dessen, was dort draußen geschah.

      Leonardo in einer Blutlache.

      Das Turmzimmer.

      Der Weg zu einem neuen Ziel, eine weitere Attacke.

      In seinem Geist leuchtete die tödliche Sigilklinge wie ein Fanal. Die Kreatur hatte die Waffe bis vor Kurzem hier drinnen versteckt. Der Raum war – wie er mittlerweile wusste – durch Suchzauber nicht aufspürbar. Wer oder was sich darin auch befand, es tauchte auf keiner Karte auf, konnte nicht geortet werden.

      »Wie habt ihr das geschafft, du und die Schattenfrau?«

      Von dem Augenblick an, als er nachts aus dem Bett geschleift worden war und Stunden später in Gefangenschaft wieder erwachte,


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