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Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik. Andreas SuchanekЧитать онлайн книгу.

Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik - Andreas Suchanek


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      Fragen, die andere würden beantworten müssen.

      Er ließ die Kugeln kreisen, versank im warmen Schein des Lichts. Seine Gedanken trieben ab. Bilder aus der Vergangenheit kamen auf. Familienfeiern, das Erwachen seines Erbes, der Beginn seines Kampfes als Lichtkämpfer. Eine neue Welt hatte ihn aufgenommen. Sie alle bekamen zu Beginn in aller Deutlichkeit vermittelt, dass der Kampf gegen das Böse auch Opfer brachte. Wer das nicht begriff, tat es spätestens, wenn einer der anderen starb.

      Trotzdem blieb der Gedanke zu sterben weit weg. Sie halfen den Nimags, taten Gutes und hatten eine Menge Spaß. Diese Leichtigkeit vertrieb jede Angst.

      »Wie dumm wir doch sind.«

      Je näher das Ende kam, desto öfter fragte er sich, ob er den Weg als Lichtkämpfer beschritten hätte, hätte er die Wahl gehabt. Das Erbe erschien, es stellte keine Fragen. Die Verantwortung wurde aufgebürdet, ob man dazu bereit war oder nicht. Die meisten fügten sich einfach ein, er ebenfalls. Immerhin war es toll, plötzlich über Magie zu gebieten. Der Preis kam später.

      Er schluckte.

      Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Er wollte nicht mehr denken. Mit ausgebreiteten Armen stellte er sich unter die schwebenden Kugeln und ließ sie rotieren. Jede Bewegung zog ihm weitere Essenz ab. Er ließ sie kleiner werden und größer, bildete Formen aus. Immer mehr seiner Kraft floss ab. Das Ende näherte sich mit gewaltigen Schritten.

      Sein Blick fiel noch einmal auf die Wand.

      Er hatte das Feuer dazu genutzt, einen Abschiedsbrief auf den Stein zu brennen. Zusammengesetzt aus schwarzem Ruß standen die Worte dort geschrieben, die er an seine Freunde und die übrigen Lichtkämpfer richten wollte. Natürlich hatte er sie verfestigt, damit sie nicht einfach herabrieselten oder durch sein Aurafeuer unleserlich wurden. Seine letzte Chance, noch einmal über den Abgrund von Leben und Tod hinweg eine Nachricht zu schicken.

      Die Kugeln begannen zu rotieren, immer schneller.

      Es war paradox. In jedem Kampf war man froh darüber, wenn die Essenz ausreichte und man keine Gefahr lief, ein Aurafeuer auszulösen. Doch heute, hier und jetzt, wollte er genau das tun. Während sonst jeder Zauber zu viel der eigenen Kraft fraß, schien es heute einfach nicht voranzugehen.

      Zu viele Gedanken.

      Er stellte sich in die Mitte des Raumes, hielt die Arme weiterhin ausgebreitet. Seine Gedanken wurden zur Atmung, alles andere verwehte. Er wurde eins mit seinem Körper, seinen Wunden, der Magie. Alles, was er hätte sagen können, war gesagt. Alles, was er hätte denken können, war gedacht. Das Letzte, was er jetzt noch tun konnte, stand bevor.

      »Lebt wohl.«

      Die letzte Essenz schwand.

      16. Die Maske fällt

      Clara stand in der Bibliothek. Auf einem Tisch vor ihr stapelten sich Folianten. In diesen Momenten hätte sie alles für eine indizierte Suche gegeben, wie sie auf Computern in Datenbanken möglich war. Chloe hatte mehrere Versuche unternommen, Johanna und Leonardo dazu zu bringen, die Werke einzuscannen. Doch diese waren strikt dagegen. Jede derartige Maschine konnte gehackt werden. Sie gähnte, vertrieb die Kopfschmerzen und blätterte weiter.

      »Alles klar?«, fragte Chris. »Hast du schon was gefunden?«

      »Nein«, knurrte sie.

      »Hey, sorry, ich bin nur … sauer.«

      Clara atmete aus, ihre Schultern sackten herab. »Ich weiß. Tut mir leid. Bin einfach verspannt, daher hab ich ständig Kopfschmerzen, und, ach verdammt: Warum können die nicht klar und deutlich schreiben. Immer wieder stoße ich auf Querverweise. Von Andeutungen gar nicht zu reden. Die haben früher vielleicht geschwollenes Zeug geschrieben.«

      Sie rief sich selbst zur Ordnung. Müdigkeit, Sorge und Wut zerrten an ihrer aller Nerven. Gerade in diesen Situationen zeigte sich, wer einen kühlen Kopf bewahren konnte. Clara hatte schon viele schlimme Dinge erlebt, sie würde auch das überstehen.

      »Chloe und Max werden die Klinge finden«, war Chris überzeugt. Er verschwand hinter einer Regalreihe, seine Stimme drang dumpf zu ihr herüber.

      Das vorliegende Buch erwies sich ebenso als Fehlschlag. Der Verfasser der kurzen Abhandlung hatte im Hauptwerk zwar mehr zu den Wechselbälgern, ihrer Geschichte und der Clan-Aufteilung geschrieben, doch nichts zu der speziellen Fähigkeit der alten Kreaturen. Es hatte Clara geschüttelt, als sie davon gelesen hatte, wie die Kinder damals aufgewachsen waren. Die Originale wurden entführt und durch Wechselbalg-Junge ausgetauscht, die so die perfekte Infiltration erlernten. Die echten Nimag-Kinder dienten den Clans als Sklaven. Das war mit ein Grund gewesen, weshalb die Lichtkämpfer jene Kreaturen ausgerottet hatten. Nun ja, fast ausgerottet.

      »Wieso hat niemand etwas in klaren Worten über diese Fähigkeit geschrieben?«, überlegte sie laut.

      »Vielleicht, um keine Begehrlichkeiten zu wecken«, erklang Chris' Stimme noch dumpfer als zuvor. Er war weiter in das Regaldickicht vorgedrungen. Seine Stimme klang richtiggehend fremd.

      »Begehrlichkeiten?«, echote Clara. »Hm. Möglicherweise hast du recht. Immerhin wurden diese Kreaturen damals gerne von den Schattenkriegern eingesetzt, um die Höfe von Kaisern, Königen und Fürsten auf der ganzen Welt zu infiltrieren. Stell dir nur vor, was die Mächtigen heute dafür gäben, einen Gestaltwandler bei ihren Feinden einschleusen zu können.«

      »Die Schattenfrau wird auf jeden Fall viele Pluspunkte beim dunklen Rat geholt haben«, rief Chris. »Himmel, hier stehen so viele Bücher.«

      Clara schaute gedankenverloren in die Höhe. Wo könnte ich noch was dazu finden? »Du warst doch schon mal hier! So neu kann das alles nicht sein.«

      Chris schwieg. »Stimmt, aber glaubst du wirklich, ich habe auf Details geachtet?«

      Er war nicht unbedingt für seine Liebe zur Literatur bekannt. Sie lachte leise. »Wohl eher nicht. Sag mal, wo war dein Bruder eigentlich, als du angegriffen wurdest? Chloe hat erwähnt, dass er eigentlich ins Verlies wollte, um dir beizustehen.«

      »Ich weiß, hat Chloe mich auch schon gefragt.« Chris stieß ein regelrechtes Knurren aus. »Einer der Ordnungstrottel hat ihn nicht hinein gelassen, also wollte er Johanna bitten, das zu klären. Er hat sie aber nicht gefunden. Als er zurückkam war schon alles vorbei.«

      »Heute scheint ja wirklich alles schief zu gehen.« Clara schob den Gedanken beiseite. Ihr kam eine Idee. Sie richtete den Aufrufzauber nicht auf Werke zum Thema Wechselbälger, sondern auf spezielle Fähigkeiten bei bösartigen Kreaturen. In der Ferne erklang ein Rauschen. Vier Folianten schwebten herbei. Sie gab jenen auf ihrem Tisch den Befehl, zurück ins Regal zu fliegen und Platz für die Neuankömmlinge zu machen, die kurz darauf landeten. In den ersten beiden Werken fand sie nichts. Sie schlug das dritte auf. Es war alt und zerfleddert, die Seiten waren in brüchige Pappe gebunden. Geschrieben worden war es sogar erst 1980. Allerdings besaß der Verfasser scheinbar Zugriff auf ältere Quellen. Sie musste die Zeilen zweimal lesen, bis der Gedanke endlich bei ihr angekommen war. Sie schloss das Buch. Ihre Hände zitterten.

      »Chris!«, rief sie. »Ich habe es! Du wirst es nicht glauben.«

      Stille.

      »Chris!«

      Hinter ihr erklangen Schritte. Sie fuhr herum. Doch es war nicht Chris, der vor ihr stand. Es war ein anderer Freund. Zumindest dachte sie das, bis sie das Blut auf seiner Stirn sah. Es stammte nicht von ihm, wie ihr klar wurde, als er es böse grinsend wegwischte und vom Finger leckte. »Die gute Chloe war ein harter Brocken.«

      »Max«, hauchte Clara. Sie schluckte. »Oder sollte ich eher Wechselbalg sagen.«

      Sie streckte die Hand aus.

      Die Kreatur hob den Essenzstab von Max in die Höhe. »Das lässt du schön bleiben. Glaub mir, ein gezielter maximaler Kraftschlag zwischen die Augen hat den gleichen Effekt wie eine Kugel.«


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