Kindheit, Jugend und Krieg. Theodor FontaneЧитать онлайн книгу.
ein Gardinchen im Winde wehte.
»Da seh ich wieder das Kuckloch. Und steht auch wieder auf. Erkältest du dich nicht?«
»Nein, mein Jung. Und jedenfalls, es läßt sich nicht anders tun. Wenn ich das Fensterchen zumache, krieg ich keine Luft. Und nachts ... Gefahr is nicht ... reinstehlen kann sich keiner; solche dünne Kerle gibt es gar nicht. Und dann hab ich ja auch die Pistole.«
»Ist es immer noch die alte, die nicht losgeht?«
»Natürlich. Auf das Losgehn kommt es bei Pistolen auch gar nicht an. Die moralische Wirkung entscheidet dabei. Das Moralische entscheidet überhaupt.«
»Meinst du?«
»Ja, das mein ich. Ich bin erst spät dahintergekommen, aber besser spät als gar nicht. Und nun komm in die Vorderstube. Ich merke, Luise hat schon aufgetragen, und wenn mich meine Sinne nicht täuschen, übrigens bin ich auch ein bißchen eingeweiht, so ist es eine geschmorte Kalbsbrust. Erster Gang. Ißt du so was?«
»Gewiß eß ich so was. Kalbsbrust ist ja das Allerfeinste, besonders, was so dicht dran sitzt.«
»Ganz mein Fall. Es ist doch merkwürdig, wie sich so alles forterbt. Ich meine jetzt nicht im Großen, da ist es am Ende nicht so merkwürdig. Aber so im Kleinen. Kalbsbrust ist doch am Ende was Kleines.«
»Ja und nein.«
»Das ist recht. Daran erkenn ich dich auch. Man kann nicht so ohne weiteres sagen, Kalbsbrust sei was Kleines. Und nun wollen wir anstoßen. Es ist noch Rotwein aus Stettin; die Stettiner manschen am besten. Was Echtes gibt es überhaupt nicht mehr. Weißt du noch den alten Flemming mit seinem echten Bordeaux? Er nannt ihn immer bloß Medoc; ihm so ohne weiteres einen vollfranzösischen Zunamen zu geben, so weit wollt er doch nicht gehn. Medoc ist übrigens ein wirklicher Ort, freilich sehr klein, höchstens 1400 Einwohner ... Ja, der alte Flemming, ein vorzüglicher Herr. Ist nun auch schon zur großen Armee. Alles marschiert ab ... Na, ewig kann es nicht dauern.«
Und nun stießen wir an, und ich sah, daß es wieder die schönen Pokalgläser aus der alten Swinemünder Zeit waren.
»Sind das nicht ...«
»Gewiß. Und ich freue mich, daß du sie wiedererkennst. Zwei sind nur noch davon da, aber mehr als zwei brauch ich auch nicht, denn mehr als einen Gast kann ich in dieser meiner Hütte nicht beherbergen. Und am liebsten ist es mir, wenn du kommst. Und nun krame mal aus. Was sagst du zur Weltausstellung? Die Franzosen machen so was doch immer am besten. Und dazu die Rede von dem Louis Napoleon! Er hat doch so was von dem Alten. Und hat auch darin ganz recht, daß im Leben, das heißt im Leben eines Volkes, alles untereinander zusammenhängt und übereinstimmt, und daß da, wo es die besten Generäle gibt, es auch die besten Maler gibt, oder die besten Schneider und Schuster. Und umgekehrt.«
»Ich habe wenig davon gelesen, und ich kann mich nicht recht entsinnen.«
»Immer dieselbe Geschichte«, lachte mein Vater. »Nicht gelesen. Und wenn ich nun bedenke, daß du ein Zeitungsmensch bist! Da denkt man, die hören das Gras wachsen, und jedesmal, wenn du mich besuchst, seh ich, daß ich besser beschlagen bin als du. Überhaupt, wie's in der Welt aussieht, davon hab ich doch immer am meisten gewußt. So war es schon, als ich noch jung war, in Ruppin und in Swinemünde. Die Swinemünder, na, das ging noch; solch flotter, fideler Schiffsreeder, der mal nach London und mal nach Kopenhagen fährt, na, der hat doch immer ein bißchen Wind weg; aber die Ruppiner Schulprofessoren ... es hat mich mitunter geniert, wieviel besser ich alles wußte. Natürlich Horaz und die unregelmäßigen Verba ausgenommen. Da war z.B. der alte Starke. Dessen Steckenpferd war Aristoteles, und was Aristoteles lange vergessen hatte, das wußte Starke. Aber das, worauf es ankommt, das wußt er nicht. Ich laß es mir nicht abstreiten, unsere Schule geht falsche Wege; die Menschen lernen nicht das, was sie lernen sollten. Ney ist doch interessanter als Pelopidas. Und es kommt auch noch ... Aber da bringt uns Luise die Omelette. Nimm nur hier die helle Hälfte, die andere Hälfte ist etwas verbrannt. Und wenn wir hier fertig sind, dann will ich dir meinen Hof zeigen und meinen Steinbruch. Und dann machen wir einen Spaziergang auf Neuenhagen zu. Bei so schönem Wetter kann ich marschieren, ohne große Beschwerde.«
So ging es noch eine Weile weiter, und dann standen wir auf, um nach seinem Programm alles in Augenschein zu nehmen. Zuerst also den Hof. Es sah alles ziemlich kahl aus, und ich bemerkte zunächst bloß einen Sägebock mit einer Buchenholzklobe darauf, daneben Säge und Axt. Er wies drauf hin und sagte: »Du weißt, alte Passion und ersetzt mir nach wie vor die Bewegung ... Aber nun komm hierher ... Du hörst sie wohl schon.«
Und unter diesen Worten schritt er mit mir auf einen niedrigen Stall zu und schlug hier eine Klapptür auf, hinter der ich nun zwei Schweine ihre Köpfe vorstrecken sah. »Was sagst du dazu? Prächtige Kerls. Wenn sie mich hören, werden sie wie wild vor Vergnügen und könnens nicht abwarten.«
»Du wirst sie wohl verwöhnen. Mama und die Schrödter sagten auch immer, du verfuttertest bei den Biestern mehr, als sie nachher einbrächten.«
»Ja, die Schrödter; eine gute treue Seele. Mich konnte sie nicht recht leiden, weil ich die besten Bratenstücke mitunter an Peter und Petrine gab, weißt du noch?«
Ich nickte.
»Ja, damals waren es die Katzen. Etwas muß der Mensch haben. Nun sind es die da ... Na, gleich, gleich; beruhigt euch nur.«
Und dabei bückte er sich und fing an, seine Lieblinge zu krauen. Er erzählte mir dann noch allerhand von der Klugheit dieser Tiere, deren innerer Bau übrigens, wie jetzt wissenschaftlich feststehe, dem des Menschen am nächsten komme. »Sus scrofa und Homo sapiens – es kann einem doch zu denken geben.«
Und nun nahm er mich unterm Arm und ging mit mir auf eine mitten im Hofzaun angebrachte Gittertür zu, hinter der ein schmaler Zickzackweg den Sandberg hinaufführte. Links und rechts waren tiefe Löcher gegraben, in denen Feldsteine von beträchtlicher Größe mit ihrer Oberhälfte sichtbar wurden.
»Läßt du die ausgraben, Papa?«
»Versteht sich, das ist jetzt eine Haupteinnahme von mir; ich kümmere mich dabei um nichts, ich gebe bloß die Erlaubnis, und dann kommen die Kerls und buddeln solchen Stein aus, das heißt viele Steine, und schaffen sie dann in ihren Kahn, und ich kriege mein Geld. Gott segne den Chausseebau. Daß das Geld im Boden liegt, ist doch wahr, und wenn auch weiter nichts dabei herauskommt als eine Ladung Steine.«
Dabei waren wir den Zickzackweg hinauf und traten in den schon mehrerwähnten Fichtenwald ein, der den ganzen Bergrücken, eigentlich schon ein Plateau, überdeckte. Ein Säuseln ging durch die Kronen, und ich sagte, während ich in die Höh blickte, so vor mich hin: »Und in Poseidons Fichtenhain Tritt er mit frommem Schauder ein.«
Er klopfte mich sofort zärtlich auf die Schulter, weil er herausempfand, daß ich die zwei Zeilen bloß ihm zuliebe zitierte. »Ja, das war immer meine Lieblingsstelle. Für gewöhnlich lernten wir damals, als ich noch jeden Morgen von Schloß Niederschönhausen ins Graue Kloster mußte, nur ›Johann den muntern Seifensieder‹ und ›Gott grüß Euch, Alter, schmeckt das Pfeifchen‹, und Schiller war damals noch nicht halb so berühmt wie jetzt und noch nicht sozusagen unter den Heroen. Aber ›Die Kraniche des Ibykus‹ habe ich doch damals schon gelernt und ist mir auch sitzen geblieben. Es muß so was drin sein. Hast du denn auch alles behalten von früher?«
»Na, es geht. Eigentlich ist es merkwürdig, daß noch so viel sitzen bleibt.«
»Da hast du recht.«
Und nun traten wir aus dem Wald auf eine breite gradlinige Chaussee heraus, die von Ebereschenbäumen eingefaßt war.
»Das ist ja eine wundervolle Chaussee für solche Gegend«, sagte ich. »Wo läuft die denn hin?«
»Die läuft, glaube ich, auf Oderberg zu; aber zunächst läuft sie hier bis Neuenhagen.«
»Neuenhagen. Du nanntest es schon vorhin. Ja, da bin ich vor Jahren auch einmal gewesen und hat mich alles ganz ungemein interessiert. Da liegt nämlich, was du vielleicht nicht weißt, Hippolyta von Uchtenhagen begraben und hat einen schönen Grabstein. Ich glaube so um 1590 herum.