Kindheit, Jugend und Krieg. Theodor FontaneЧитать онлайн книгу.
einen Neuenhagner Amtmann am Strohfeuer geröstet hatten. Richtiger Dreißigjähriger Krieg. Und jetzt, denke dir, jetzt schlafen die Leute darin. Ich erschrak ordentlich darüber und sagte, daß ich mir eine andere Schlafstube ausgesucht haben würde.«
Mein Papa nickte zustimmend.
»Ja, am Strohfeuer geröstet«, wiederholte ich. »Und das alles, denn sie wolltens dem Amtmann abzwacken, um des verdammten Geldes willen.«
»Ja, das verdammte Geld!« sagte mein Vater. »Es ist schon recht, und ist auch oft wirklich bloß ein verdammtes Geld. Aber es gibt auch ein gutes Geld, und ich mache mir jetzt mitunter so meine Gedanken darüber. Man soll nicht einen Amtmann rosten, um es zu kriegen; aber wenn man was hat, dann soll mans festhalten. Geld ist doch was, ist eine Macht. Und ihr habt nun alle nichts.«
»Ach Papa, rede doch nicht davon. Du weißt ja, es ist uns ganz egal.«
»Dir vielleicht, aber nicht deiner Mama.«
»Sie hat sich nun auch darin gefunden.«
»Darin gefunden! Sieh, mein Junge, da liegt die Anklage, und die alte Frau hat auch ganz recht. Das sag mir jetzt alle Tage, wenn ich da unten mit meiner Luise sitze und ihr mein Weltsystem entwickele, weil ich keinen andern habe, dem ich es vortragen kann, und wenn dann die beste Stelle kommt, und ich mit einem Male sage: ›Nicht wahr, Luise?‹ sieh, dann fährt sie zusammen oder sitzt da wie ein Zaunpfahl.«
»Es wird dir schwerer als uns, Papa.«
»Wohl möglich. Und es würde mir noch schwerer, wenn ich mir nicht sagte: Die Verhältnisse machen den Menschen.«
»Das sagtest du schon, wie wir noch Kinder waren. Und gewiß ist es richtig.«
»Ja, richtig ist es. Aber damals, ich kann so zu dir sprechen, denn du bist ja nun selber schon ein alter Knabe, damals sagte ich es so hin und dachte mir nicht viel dabei. Jetzt aber, wenn ich meinen alten Lieblingssatz ausspiele, tu ichs mit Überzeugung. So ganz kann es einen freilich nicht beruhigen. Aber doch beinah, doch ein bißchen.«
Ich nahm seine Hand und streichelte sie.
»Das ist recht. Ihr habt eine Tugend, ihr seid alle nicht begehrlich, nicht happig. Aber da wir nun mal dabei sind und ich nicht weiß, wie lang ich auf dieser sublunarischen Welt noch wandle, so möcht ich doch über all diese Dinge noch ein Wort zu dir sagen. Es gibt immer noch ein paar Leute, die denken, das Jeu sei schuld gewesen. Ich sage dir, das ist Unsinn. Das war nur so das zweite, die Folge. Schuld war, was eigentlich sonst das Beste ist, meine Jugend, und wenn es nicht lächerlich wäre, so möcht ich sagen, neben meiner Jugend meine Unschuld. Ich war wie das Lämmlein auf der Weide, das rumsprang, bis es die Beine brach.«
Er blieb einen Augenblick stehn, denn er litt an asthmatischen Beschwerden, und ich mahnte ihn, daß es wohl Zeit sei, umzukehren.
»Ja, laß uns umkehren; wir haben dann den Wind im Rücken, und da spricht es sich besser. Und ich habe doch noch dies und das auf dem Herzen. Ich sagte eben, meine Jugend war schuld. Und das ist auch richtig. Sieh, ich hatte noch nicht ausgelernt, da ging ich schon in den Krieg, und ich war noch nicht lange wieder da, da verlobte ich mich schon. Und an meinem dreiundzwanzigsten Geburtstag habe ich mich verheiratet, und als ich vierundzwanzig wurde, da lagst du schon in der Wiege.«
»Mir ist es lieb, daß du so jung warst.«
»Ja, alles hat seine zwei Seiten, und es hat wohl auch seine Vorteile gehabt, daß ich nicht morsch und mürbe war. Aber das mit der Unerfahrenheit bleibt doch ein schlimmes Ding, und das Allerschlimmste war, daß ich nichts zu tun hatte. Da konnt ichs denn kaum abwarten, bis abends der verdammte Tisch aufgeklappt wurde.«
»Sonderbar, ich habe so vieles von dir geerbt, aber davon keine Spur. Spiel war mir immer langweilig.«
Er lachte wehmütig. »Ach, mein lieber Junge, da täuschst du dich sehr, wenn du meinst, daß wir darin voneinander abweichen. Es hat mir auch nie Vergnügen gemacht, auch nicht ein bißchen. Und ich spielte noch dazu herzlich schlecht. Aber wenn ich mich dann den ganzen Tag über gelangweilt hatte, wollt ich am Abend wenigstens einen Wechsel verspüren, und dabei bin ich mein Geld losgeworden und sitze nun hier einsam, und deine Mutter erschrickt vor dem Gedanken, ich könnte mich wieder bei ihr einfinden. Es sind nun beinah fünfzig Jahre, daß wir uns verlobten, und sie schrieb mir damals zärtliche Briefe, denn sie liebte mich. Und das ist nun der Ausgang. Zuneigung allein ist nicht genug zum Heiraten; Heiraten ist eine Sache für vernünftige Menschen. Ich hatte noch nicht die Jahre, vernünftig zu sein.«
»Ist es dir recht, wenn ich der Mama das alles wiedererzähle?«
»Gewiß ist es mir recht, trotzdem es ihr nichts Neues ist. Denn es sind eigentlich ihre Worte. Sie hat nur die Genugtuung, daß ich sie mir zu guter Letzt zu eigen gemacht habe. Sie hat recht gehabt in allem, in ihren Worten und in ihrem Tun.«
Er sprach noch eine Weile so weiter. Dann kamen wir an die Stelle, wo die Chaussee aus dem Walde wieder niederstieg, zunächst auf den Fluß und die Bohlenbrücke zu. Jenseits der Brücke dehnte sich dann das Bruch in seiner Sommerschönheit, diesseits aber lag als nächstes das Wohnhaus meines Vaters, aus dessen Schornstein eben ein heller Rauch in der Nachmittagssonne aufkräuselte.
»Da sind wir wieder, und Luise kocht nun wohl schon den Kaffee. Darauf versteht sie sich. ›Ist die Blume noch so klein, etwas Honig sitzt darein.‹ Oder so ähnlich. Man kann nicht alle Verse auswendig wissen. Und lobe nur den Kaffee, sonst erzählt sie mir dreißigmal, es habe dir nicht geschmeckt. Und wenn ich Glück habe, weint sie auch noch dazu.«
Als wir ins Haus traten, war die Kaffeedecke bereits aufgelegt, und die Tassen standen schon da, dazu, faute de mieux, kleine Teebrötchen, denn Schiffmühle war keine Bäckergegend, und nur einmal des Tages kam die Semmelfrau. Dazu hatten wir schönes Quellwasser, das aus dem Sandberg kam.
Als fünf Uhr heran war, mußt ich wieder fort. »Ich begleite dich noch«, und so bracht er mich bis über die Brücke.
»Nun lebe wohl, und laß dich noch mal sehen.« Er sagte das mit bewegter Stimme, denn er hatte die Vorahnung, daß dies der Abschied sei.
»Ich komme wieder, recht bald.«
Er nahm das grüne Käpsel ab und winkte.
Und ich kam auch bald wieder.
Es war in den ersten Oktobertagen, und oben auf dem Bergrücken, da, wo wir von »Poseidons Fichtenhain« gescherzt hatten, ruht er nun aus von Lebens Lust und Müh.
Allerlei Gewölk
Ich schloß das vorletzte (fünfzehnte) Kapitel mit einem glücklichen Erziehungsakt meines Vaters, mit einem nicht glücklichen meiner Mutter habe ich dies neue Kapitel zu beginnen.
Weihnachten rückte heran, und schon die ganze Woche vorher hieß es: »Aber diesmal wird es eine Freude sein ... so was Schönes«, und wenn ich dann mehr wissen wollte, setzte die gute Schrödter hinzu: »Gerade, was du dir gewünscht hast ... Die Mama ist viel zu gut, denn eigentlich seid ihr doch bloß Rangen.«
»Aber was is es denn?«
»Abwarten.«
Und so, fieberhaft gespannt, sahen wir dem Heiligabend entgegen. Endlich war er da. Wie herkömmlich verbrachten wir die Stunde vor der eigentlichen Bescherung in dem kleinen, nach dem Garten hinaus gelegenen Wohnzimmer meines Vaters, das absichtlich ohne Licht blieb, um dann den brennenden Weihnachtsbaum, den meine Mama mittlerweile zurechtmachte, desto glänzender erscheinen zu lassen. Mein Vater unterhielt uns während dieser Dunkelstunde, so gut er konnte, was ihm jedesmal blutsauer wurde. Denn wiewohl er unter Umständen, wie vielleicht nur allzuoft hervorgekoben, in reizendster Weise mit uns plaudern und uns durch freie Einfälle, die wir verstanden oder auch nicht verstanden, zu vergnügen wußte, so war er doch ganz unfähig, etwas einer bestimmten Situation Anzupassendes, also etwas für ihn mehr oder weniger Zwangsmäßiges,