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Kindheit, Jugend und Krieg. Theodor FontaneЧитать онлайн книгу.

Kindheit, Jugend und Krieg - Theodor Fontane


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und wenn mein Plan trotzdem unausgeführt blieb, so lag dies nur daran, daß mir seine Durchführung, als ich dicht davor stand, doch auch wieder gegen die Soldatenehre war. Ich hatte durch Jahr und Tag hin geglaubt, in erster Reihe durch mich selbst und zum zweiten durch allerlei kleine Künste, denen ich die stolzesten Namen gab, eine Machtstellung einnehmen zu können. Das erschien mir als etwas Besonderes. Blieb mir dies aber in alle Zukunft hin versagt, so hatte das andre keinen Wert mehr für mich und war auf die Dauer voraussichtlich auch nutzlos. Jedes von der andern Seite her bewilligte Glas Wacholder konnte mich sofort wieder übertrumpfen und die Frage zum zweitenmal zu meinen Ungunsten entscheiden. So ließ ich denn, nur noch sehr selten von einem Hoffnungsschimmer neu belebt, die Dinge gehen, wie sie gehen wollten, bis ein kleines Ereignis auch den letzten Rest von Zuversicht in mir tilgte.

      November war da, und die kleinen Wasserlachen, die sich um ein Wäldchen, das die »Plantage« hieß, herumzogen, waren schon überfroren. Jeden Nachmittag gegen Sonnenuntergang gingen wir hinaus, um auf diesen Tümpeln Schlittschuh zu laufen. Es war ein herrliches Vergnügen, das Eis blink und blank, und wenn dann der Mond wie eine kupferne Scheibe aufging und sein seltsames Licht durch die Erlen und Binsen warf, die den Tümpel einfaßten, so wurde ich jedesmal von einem geheimen Schauer erfaßt. Ich gab dann das Holländern und das Buchstabenmachen (immer ein lateinisches E) auf etliche Minuten auf und sah in den Mond. Einmal, als wir zu dreien oder vieren auch wieder diese Stelle besuchten, trafen wir schon ein paar andere Jungen da, Schifferjungen, etwas älter als wir, aber nicht viel. Alle trugen hohe Stiefel, drin die Hosen steckten, dazu dicke Friesjacke und Pelzmütze. Wir waren sehr unzufrieden mit der vorgefundenen Gesellschaft, und schon während wir die Schlittschuhe anschnallten, fielen anzügliche Worte. Besonders der Führer der Gegenpartei war ein muffliger Junge, häßlich und stubsnäsig, und seine trotzige Art ärgerte mich so, daß ich auf ihn zufuhr und ihn in einen dicht neben uns aufragenden Erlenbusch werfen wollte. Aber es mißglückte. Entweder ich glitt aus oder er war stärker als ich, kurzum ich kam zu Fall und lag nun zu seinen Füßen. Er nahm weiter keine Notiz davon, sah nur sehr überlegen auf mich runter und setzte dann seinen Eislauf ruhig fort, immer in meiner Nähe bleibend. Ich war wieder aufgesprungen, und »meine heilige Schar« riet mir, zum zweitenmal auf den Jungen loszugehen und die Scharte auszuwetzen; ich wagte es aber nicht mehr – in dem Riedgras neben dem Erlenbusch, wo ich zu Fall gekommen war, lag der letzte Rest vom Stolz meiner Jugend begraben. Ich war, vielleicht in kluger Wahl meiner Gegner, bis dahin immer Sieger geblieben; hier hatte mich zum erstenmal eine Niederlage getroffen und so getroffen, daß an eine Wiederaufnahme des Kampfes gar nicht zu denken war. Ich schnallte meine Schlittschuh ab und ging still vom Eise fort, selbst den Racheblick unterlassend, mit dem sonst wohl solche Rencontres zu enden pflegten.

      In schwermütiger Verfassung kam ich zu Hause an und nahm hier den oft gehegten und immer wieder verworfenen Gedanken einer Abdikation mit neuer Lebhaftigkeit auf. Es sollte sich aber, so war mein Plan, alles geräuschlos vollziehen, ohne Gespräch darüber und namentlich ohne Vernichtung irgendeines Stücks in der Waffenkammer; nur Spinnweb mochte sich darüber hinziehen. Jeder auf Wiedergewinn meiner Herrschaft abzielende Gedanke war aufgegeben, so ganz und gar, daß ich Begegnungen nach Möglichkeit vermied und mich etwas ängstlich an den Häusern entlangdrückte. Schrecklicher Zustand. Ich war mit einem Male ganz klein geworden und fühlte mich geradezu unglücklich. Der mufflige Bengel stand immer vor meinen Augen. Unter gewöhnlichen Verhältnissen wäre solch elendes Leben ganz unerträglich für mich gewesen. Aber glücklicherweise, die Verhältnisse waren inzwischen andere geworden und änderten sich mit jedem Tage mehr. Abgesehen davon, daß Weihnachten vor der Tür stand und mich momentan wenigstens zerstreuen konnte, begann sich auch mehr und mehr all um meinen bevorstehenden Abgang zu drehn, an den ich jetzt mit Begierde dachte. Nicht daß es mir zu Hause nicht mehr gefallen hätte, fast im Gegenteil; die Eltern waren von besonderer Güte, aber das Bewußtsein, daß die Zeit hin sei, wo die »Blinden in Genua auf meinen Schritt gehört«, hatte mich allmählich um die Möglichkeit jeder echten und rechten Freude gebracht, und ich zählte die Stunden, die mich von der Stelle meiner, wenn ich nicht ginge, sich sicherlich immer aussichtsloser gestaltenden Kämpfe hinwegführen sollten.

      Am 30. Dezember war mein Geburtstag. Ich erhielt diesmal nicht bloß viele, sondern für unsere kleinen Verhältnisse sogar sehr wertvolle Geschenke: Schellers Lexikon, Stielers Atlas, Beckers Weltgeschichte, sämtlich noch jetzt in meinem Besitz und sehr von mir gehegt. Mein Dank war groß und aufrichtig; aber das beste war doch, daß mich die diese Geschenke begleitenden Ansprachen auf meinen Abgang von Hause verwiesen. »Das alles erhältst du wie eine Aussteuer, weil du fort mußt«, so etwa hieß es, und statt traurig über diese Veranlassung zu sein, war ich froh dar über.

      Tags darauf war Silvester und Ressourcenball, und ich schwelgte während desselben in der Vorstellung, über kurz oder lang auch vielleicht mit schönen großen Damen tanzen zu können. Ich lebte so ganz in dieser Zukunftsvorstellung, daß selbst der um Mitternacht eintretende, mich sonst immer erheiternde Nachtwächter mit seinem Horn und seinem abgesungenen Vers keinen rechten Eindruck mehr auf mich zu machen imstande war. Und einen noch geringeren Eindruck machten die Wochen auf mich, die von Neujahr an folgten. Ich erinnere mich erst wieder der Tage kurz vor meiner Abreise, wo meine Habseligkeiten gepackt und überhaupt alle Vorbereitungen für meinen Abgang zur Schule getroffen wurden.

      Es hätte dies trotz meiner durchaus auf ein »Hinaus« gerichteten Sehnsucht eine herzbewegliche Zeit sein können, aber sie war so ziemlich das Gegenteil davon, und wie mir das ganze zurückliegende Jahr mit wenigen Ausnahmetagen immer nur Fatalitäten, Kränkungen und Niederlagen gebracht hatte, so schloß es auch mit lauter Disharmonien und Ärgernissen ab. Ich war freilich an allem persönlich schuld, aber etwas von Schicksals Tücke spielte doch auch mit hinein.

      »Du wirst nun also Abschiedsbesuche bei dem und dem machen«, sagte mein Vater und übergab mir einen Zettel, darauf die betreffenden Namen standen; der letzte Name war der eines Fräuleins von Hochwächter, welche Dame mit ihrer alten Mutter im Steuerrat Königkschen Hause wohnte. Das Fräulein war eine sehr schöne Dame, Ende dreißig, ganz Brunhilde mit Rembrandthut und Straußenfeder und selbstverständlich auch vorzügliche Reiterin. Ich hatte sie ein paarmal gesehen, aber nie gesprochen. Da sollt ich nun Abschied nehmen. Es war mir sehr zuwider, und kurz und gut, ich unterließ es und sagte nur zu Hause, ich sei dagewesen. Alles in dem Vertrauen, daß es wohl erst herauskommen würde, wenn ich fort wäre. Kam es dann zur Sprache, so hatte das nicht viel mehr zu bedeuten. Es kam jedoch eher heraus, und so hatte ich das Vergnügen, zu guter Letzt noch als Lügner entlarvt zu werden. Ich schämte mich. Aber freilich wohl nicht genug.

      Des Schicksals Tücke hatte mir bei dieser Gelegenheit übel genug mitgespielt, ohne sich jedoch dadurch erschöpft zu fühlen. Das Schlimmste kam vielmehr nach und fiel auf den Tag unmittelbar vor der Abreise. Meine Mutter, in unbegreiflicher Verkennung des sonst so gut von ihr gekannten Charakters meines Vaters, hatte diesen beauftragt, mir zum Abschiede noch eine Standrede zu halten und mich zur Sittlichkeit zu ermahnen. An und für sich war dagegen nichts einzuwenden, und wenn meine Mutter selber die Standrede gehalten hätte, so hätte diese, wenn auch vielleicht nicht viel geholfen, so doch im Augenblicke wenigstens mächtig auf mich gewirkt. Ich hätte ihr die Hände geküßt und unter Tränen ein Festhalten an dem von mir geforderten Gelübde versprochen. Aber statt ihrer trat nun mein Vater an. Er war ein sehr stattlicher und mit seinem schönen Blaubart eigentlich wundervoll aussehender Mann, der typische französische Kürassieroffizier. All das hätte nun auf einen zwölfjährigen Jungen, der sich noch dazu sagen mußte: »Das ist dein Vater«, imponierend wirken müssen. Aber dies war nicht der Fall oder doch nur sehr zur Hälfte. Mein Vater, wie oft große, von besonderer Bonhomie getragene Männer, hatte einen unvertilgbar humoristischen Zug in seinem Gesicht, ein eigentümliches Etwas, das sich gerade dann, wenn er am ernsthaftesten sein wollte, über diesen Ernst zu mokieren schien, wodurch sich das Respekteinflößende der Erscheinung wieder in Frage gestellt sah. Dieser humoristische Zug, sonst seine größte Zierde, wurde mir an diesem Abschiedstage verhängnisvoll, denn mit einem Male, während ich noch so vor ihm stand und die Sittlichkeitsermahnungen gesenkten Auges und eigentlich ohne jedes rechte Verständnis mit anhörte, grinste mich ein mir in meiner kleinen Seele sitzender Kobold, der vorhatte, mich à tout prix zum Lachen zu bringen, teuflisch an. Und es gelang ihm auch. Denn mit einem Male barst es krampfhaft aus mir heraus, nicht viel mehr als


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