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Kindheit, Jugend und Krieg. Theodor FontaneЧитать онлайн книгу.

Kindheit, Jugend und Krieg - Theodor Fontane


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ich will doch nicht glauben, du lachst ...«

      »Nein, gewiß nicht, lieber Papa ...«

      »Nun, darum möcht ich doch auch gebeten haben.«

      Und nun nahm er seine Rede wieder auf, um sie – weil ihm selber wohl auch unheimlich zumute war – so rasch wie möglich zum Schluß zu bringen. Ein wahres Glück. Denn wiewohl ich, mit höchster Anstrengung gegen mich ankämpfend, vor Angst und Erregung zitterte, so wär ich doch zum zweiten Male zum Opfer gefallen, wenn die Rede auch nur noch eine halbe Minute länger gedauert hätte.

      »Nun geh, und vergiß diese Stunde nicht.«

      Und ich habe sie auch nicht vergessen. Aber nur das Schreckliche der Szene ist mir geblieben, nicht der Inhalt seiner Rede.

      Am andern Tage brachen wir auf, meine Mutter und ich. Es war beschlossen, mich auf das Ruppiner Gymnasium zu bringen; dort hatten wir noch Anhang und gute Freunde, die mich, wie vor allem das Predigerhaus, in das ich in Pension kam, in Obhut nehmen sollten.

      Eigentlich wäre nun wohl die Reise nicht Sache meiner Mutter, sondern Sache meines Vaters gewesen, und das dreitägige Kutschieren, mit Nachtquartieren in Anklam und Neubrandenburg, in welch letzterem man immer wundervoll zu Abend aß, würde ihm auch sehr gefallen haben; er wog aber ab zwischen angenehm und unangenehm und kam zu dem Resultat, daß das Unangenehme meiner Ablieferung in ein Prediger-, ja genauer genommen sogar in ein Superintendentenhaus, begleitet von Einführung meiner Person bei dem Direktor des Gymnasiums, doch schwerer ins Gewicht falle als das Angenehme des Soupers in Neubrandenburg.

      Und so fuhr ich denn mit meiner Mutter – die in diesen Tagen, ganz gegen ihre Gewohnheit, ungemein weich und nachsichtig gegen mich war – in die Welt hinein. Ein neuer Lebensabschnitt, der zweite, begann für mich, und eh ich auch über ihn, wenn überhaupt, berichte, werf ich noch einen Blick auf das Stück Leben zurück, das mit dem Abreisetag für mich abschloß.

      Es war, trotz des letzten Halbjahrs mit seinen vielen kleinen Ärgernissen, eine glückliche Zeit gewesen; später – den Spätabend meines Lebens ausgenommen – hatt ich immer nur vereinzelte glückliche Stunden. Damals aber, als ich in Haus und Hof umherspielte und draußen meine Schlachten schlug, da mals war ich unschuldigen Herzens und geweckten Geistes gewesen, voll Anlauf und Aufschwung, ein richtiger Junge, guter Leute Kind. Alles war Poesie. Die Prosa kam bald nach, in allen möglichen Gestalten, oft auch durch eigene Schuld.

      Am dritten Tage unserer Fahrt trafen wir in Ruppin ein und nahmen, eh ich in der Pension untergebracht wurde, in einem Hause Quartier, das unserer früheren Apotheke gegenüber lag. »Da bist du geboren«, sagte meine Mutter und wies hinüber nach dem hübschen Hause mit dem Löwen über der Eingangstür. Und dabei traten ihr Tränen ins Auge. Sie mochte denken, daß alles anders hätte verlaufen müssen, wenn »das und das« anders gewesen wäre. Und dies »das und das« war – er. Sie war nicht gern von dieser Stelle weggegangen und ist als eine Frau von über funfzig, äußerlich getrennt von ihrem Manne, dahin zurückgekehrt, um dort, wo sie jung und eine kurze Zeit lang auch glücklich gewesen war, zu sterben.

      Der Tag nach unserer Ankunft war ein heller Sonnentag, mehr März als April. Wir gingen im Laufe des Vormittags nach dem großen Gymnasialgebäude, das die Inschrift trägt: Civibus aevi futuri. Ein solcher civis sollte ich nun auch werden, und vor dem Gymnasium angekommen, stiegen wir die etwas ausgelaufene Treppe hinauf, die zum »alten Thormeyer« führte. Er war vordem Direktor in Stendal gewesen und hatte das Direktorat dort aufgeben müssen, weil er sich an einem Lehrer »vergriffen« hatte. Glücklicherweise wußt ich damals noch nichts davon, ich hätte mich sonst halbtot geängstigt. Oben angekommen, trat uns ein mindestens sechs Fuß hoher alter Herr entgegen, gedunsen und rot bis in die Stirn hinauf, die Augen blau unterlaufen, das Bild eines Apoplektikus – er hätte auf der Stelle vom Schlag gerührt werden können.

      »Nun, mi fili, laß uns sehn ... Ich bitte, daß Sie Platz nehmen, meine verehrte Frau.« Und dabei nahm er einen schmuddligen kleinen Band von seinem mit Tabaksresten überschütteten Arbeitstisch und sagte: »Nun lies dies und übersetze.« Es waren zehn Zeilen mit einem Rotstift links angestrichen, höchstwahrscheinlich die leichteste Stelle im ganzen Buch. Ich tat ganz, wie er geheißen, und es ging auch wie Wasser. »Sehr brav ... er ist reif für die Quarta.« Damit waren wir entlassen, und am nächsten Montag, wo die Schule wieder anfing, setzte ich mich auf die Quartabank.

      Was ich dahin mitbrachte, war etwa das Folgende: Lesen, Schreiben, Rechnen; biblische Geschichte, römische und deutsche Kaiser; Entdeckung von Amerika, Cortez, Pizarro; Napoleon und seine Marschälle; die Schlacht bei Navarino, Bombardement von Algier, Grochow und Ostrolenka; Pfeffels Tabakspfeife, »Nachts um die zwölfte Stunde«, Holteis Mantellied und beinah sämtliche Schillersche Balladen. Das war, einschließlich einiger lateinischer Brocken, so ziemlich alles, und im Grunde bin ich nicht recht darüber hinausgekommen. Einige Lücken wurden wohl zugestopft, aber alles blieb zufällig und ungeordnet, und das berühmte Wort vom »Stückwerk« traf auf Lebenszeit buchstäblich und in besonderer Hochgradigkeit bei mir zu.

      Von Zwanzig bis Dreißig

       Inhaltsverzeichnis

       Vorwort

       Berlin 1840

       Erstes Kapitel

       Zweites Kapitel

       Drittes Kapitel

       »Mein Leipzig lob' ich mir«

       Erstes Kapitel

       Zweites Kapitel

       Drittes Kapitel

       Viertes Kapitel

       Fünftes Kapitel

       Sechstes Kapitel

       Siebentes Kapitel

       Bei »Kaiser Franz«

       Erstes Kapitel

       Zweites Kapitel

       Drittes Kapitel

       Der Tunnel über der Spree

       Erstes Kapitel

       Zweites Kapitel

       Drittes Kapitel

       Viertes Kapitel

       Fünftes


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