Reise durchs Baltikum nach Russland und Sibirien 1829. Alexander von HumboldtЧитать онлайн книгу.
Die fünf Reisen des eingetragenen Vereins „Deutsche Assoziation der Absolventen und Freunde der Moskauer Lomomossow Universität“ (DAMU). 1994, 1995, 1997, 1999 und 2001 folgten den Spuren Alexander von Humboldts und waren wissenschaftlich erfolgreich. Sie haben nicht nur Wegmarken und Häuser, die erhalten blieben, dokumentiert, sondern auch noch erstaunliche Quellenfunde gesichert. Bis 1999 haben auf den Routen vom Ural bis zum Altai neun russische und vierzehn deutsche Gelehrte im Geist der Versöhnung vorbildlich zusammengearbeitet. Als damaliger Projektleiter der Alexander von Humboldt-Forschungsstelle der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin habe ich noch am 7. Juli 1995 die Teilnahme Dr. Christian Suckows an der zweiten Exkursion genehmigen können. Route: Petersburg – Jekaterinburg – Perm mit Untersuchungen im Ural. Das Auswärtige Amt, der Deutsche Akademische Auslandsdienst, die Humboldt-Universität, die Stiftung West-Östliche Begegnungen, die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, die Firma Camping-Ausstatter Albatros, der Russische Kulturfonds und die Lomonossow-Universität haben die Reisen gefördert. Bis dahin hatten 23 Frauen und Männer daran teilgenommen, darunter waren neun Geographen, ein Geologe, zwei Biologen, ein Hydrologe, fünf Mineralogen, zwei Historiker, ein Physiker, ein Fotograf, ein Germanist; es waren sieben Professoren, elf Doktoren und zwei Diplomierte beteiligt.
Angesichts der Aufwertung der Russlandreise ab Ende der 50-er-Jahre sollte unser bedeutendster Vorgänger, der hervorragende russische Geograph Dimitri Nikolajewitsch Anutschin nicht vergessen werden. Er hatte 1915 in Moskau, während des Ersten Weltkrieges (sic!), eine russische Übersetzung herausgebracht und im Vorspann eine vorzügliche Darstellung der russischen Reise Humboldts gegeben. Dr. Christian Suckow wird gewiss in dem von ihm geplanten Dokumentenband aus diesen 234 Seiten das Wichtigste darbieten, oder sollte nicht vielmehr eine deutsche Übersetzung erforderlich sein?
Es gab 1996/97 den ersthaften Ansatz Herrn Thomas Langers aus Detmold, der, begünstigt durch seine russische Ehefrau, die gesamte Route Humboldts von Berlin bis Baty und zurück wiederholen und in einem Bildband dokumentieren wollte. Obgleich er schon, noch ohne Wissen von der DAMU, Vorbereitungen getroffen hatte, und im Ural gereist war, so ist er doch, nicht an sich selbst, sondern an den Umständen der Zeit gescheitert und, vor allem, an mangelnder Unterstützung. Auch aus seinem Brief vom 15.02.1997 ergab sich die Anregung aus dem Band der „Edition Erdmann“ und das Bekenntnis zur Versöhnung von Russland und Deutschland, das alle eint, die in diesem Forschungsfeld arbeiten.
So wird nun der vorliegende Band der EDITION ERDMANN in seiner 6. Auflage fortsetzen, was 1959 und 1961 mit den beiden Bänden einer Humboldt-Biographie und einer Gesprächsausgabe begann: Eine gerechte Bewertung der russischen Forschungsreise Alexander von Humboldts 1829!
DIE RUSSISCH-SIBIRISCHE REISE
ALEXANDER VON HUMBOLDTS 1829
EINE EINFÜHRUNG
Der Leser der Reihe »Alte abenteuerliche Reise- und Entdeckungsberichte« des Erdmann-Verlags lernt mit diesem Werk eine Expedition kennen, die der maßgebende Forschungsreisende und Geograph der Neuzeit, Alexander v. Humboldt (1769–1859), nach jahrzehntelanger vergeblicher Bemühung doch noch 1829 ausführen konnte, aber leider aus politischen Gründen nicht selbst schildern wollte. Nach der von mir 1951 erprobten Methode musste auch diese Reise rekonstruiert werden, basierend auf den vorliegenden Berichten und Dokumenten.
Der Leser wird zunächst kurz in Leben und Werk A. v. Humboldts eingeführt, damit die Grundlage der Reise von 1829 und der zunächst immer wieder verstellte Weg nach Asien deutlich werden können. Die dann folgende Rekonstruktion erlaubt die geistige Begleitung Humboldts von Woche zu Woche: von Berlin durch das damals noch weitgehend von Deutschen kulturell bestimmte Baltikum, über St. Petersburg, Moskau, den Ural, tief nach Sibirien hinein bis zur chinesischen Grenze bei Baty, von da auf anderem Weg zurück über Semipalatinsk bis Astrachan, von dort Befahrung des Kaspi-Sees, zurück durch das wolgadeutsche Gebiet nach Tula und Moskau, von dort Rückfahrt auf derselben Route bis Berlin. Ein Dokumenten-Anhang vereinigt wichtige Original-Quellen.
Eine wissenschaftlich unterbaute Darstellung der Expedition von 1829 gab es bis 1960 nicht. Die erste reisegeschichtlich begründete Gesamtrekonstruktion habe ich 1961 im zweiten Band meiner umfangreichen Biographie geboten (Alexander von Humboldt. 2 Bde. Franz Steiner Verlag, Wiesbaden 1959 u. 1961). Diese Schilderung ist bis heute durch nichts ersetzt worden, so dass ihre Überarbeitung die Grundlage des vorliegenden Buches bildet. In dieser zweibändigen Darstellung und ihren 2555 Anmerkungen habe ich 1959 und 1961 der Forschung die Bresche geschlagen. Ich bin Herrn Verleger Horst Erdmann und dem Altmeister der deutschen Sahara-Forschung, Herrn Dr. Heinrich Schiffers, dankbar, dass sie mich zu dieser Bearbeitung aufforderten, weil es mir ein Anliegen ist, einem breiteren Leserkreis die Bedeutung Humboldts als Asienforscher darlegen und dokumentieren zu können.
In der genannten Biographie wurde erstmals die bis dahin andauernde Unterschätzung der Russland- und Sibirien-Reise von 1829 widerlegt. Als Humboldt im April 1829 seine Reise antrat, wirkte sich nämlich die große Erfahrung der amerikanischen Expedition höchst günstig aus und ebenso eine unermüdliche Vorbereitung von über zwei Jahrzehnten (s. S. 174). Diese Voraussetzung kam der Auswertung zugute, die zuerst in seinem Werk »Central-Asien« (französisch: Paris 1843 in 3 Bänden, deutsch: 1844 3 Teile in 2 Bänden), dann im »Kosmos« (5 Bde. Stuttgart 1845–62) den Gipfelpunkt seiner Leitwissenschaft, der »Physikalischen Geographie«, erreichte.
Die Grundlagen der Routenkonstruktion ergeben sich aus 438 Anmerkungen und einer Literatur-Ergänzung.
ALEXANDER VON HUMBOLDT – KURZER
BLICK AUF DEN LEBENSWEG
Alexander v. Humboldt wurde 1769 in Berlin geboren. Sein optimistischer Vater starb leider schon 1776, so dass die zurückhaltende, etwas kalt wirkende Mutter zusammen mit dem Hofmeister Christian Gottlob Kunth an Einfluss gewann. Der lebensfreudige Vater hatte nämlich zum Hof gedrängt, die Erziehung dagegen wies die Brüder auf den Weg der bürgerlichen Elite, die Wissenschaften. Alexander wurde zusammen mit seinem Bruder Wilhelm (1767–1835) von Hauslehrern auf die Universität vorbereitet. Da der in der frühen Jugend erhebliche Altersunterschied von zwei Jahren zwischen den Brüdern nicht zugunsten Alexanders ausgeglichen wurde und die vorwiegend geisteswissenschaftliche Bildung ohnehin mehr Wilhelm entgegenkam, wurde der Jüngere benachteiligt. Nur ein späteres Kompliment Wilhelms könnte für seine frühe Begabung sprechen. Er schien sich denn auch im ersten akademischen Anlauf an der Universität Frankfurt an der Oder nicht bewährt zu haben.
Das Studium wurde abgebrochen. Während Wilhelm v. Humboldt in der führenden Göttinger Universität schon sein Studium fortsetzen durfte, wurde Alexander zunächst in Berlin von Hauslehrern weitergefördert. Jetzt wurde I. H. Zöllner sein geographischer Anreger. Als man ihm 1788 den ersten freien Ausgang gestattete, suchte er den Botaniker Carl Ludwig Willdenow auf. In einem ungeahnten, von Willdenow wissenschaftlich gezügelten Ansturm drang Alexander erstmals tiefer in eine Naturwissenschaft ein. Begeisterung und Freundschaft verbanden sich und erweckten seinen Genius.
Als niemand an ihn glaubte, fand er von Willdenows Anregungen ausgehend sein erstes raumwissenschaftlich geographisches Forschungsprogramm, das ihn schließlich zur Ausbildung der Pflanzengeographie führte. Ein zweites Programm galt der Aufdeckung vermeintlicher geologischer Strukturgesetze, ein weiteres war der Darstellung der dritten Dimension (= Höhe) in geographischen und geologischen Profilen sowie einer damit verbundenen wissenschaftlichen Symbolsprache (= Pasigraphie) gewidmet.
Dieses dreistufige raumwissenschaftliche Forschungsprogramm zeugt von Humboldts eigenem Erkenntnisdrang. 1793 schuf er sich die von Kant ausgehende sachgerechte Methode. Seit 1796 fasste er dies alles unter dem Leitmotiv einer Physique du monde (Physik der Erde) zusammen. Diesen Ausdruck setzte er mit den Begriffen Theorie der Erde und Physikalische Geographie gleich. Den zuletzt genannten Begriff hat er später im Deutschen meist bevorzugt. Zur Physikalischen Geographie rechnete er wesentliche Teile der Geologie, des Erdmagnetismus, der Klimatologie, die Hydrographie, die Pflanzen- und Tiergeographie sowie den Menschen. Seine sechsjährige Reisevorbereitung auf die Tropen der Neuen Welt disziplinierte und konzentrierte dies alles: Vorbereitung,