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Der Löwe von Flandern. Hendrik ConscienceЧитать онлайн книгу.

Der Löwe von Flandern - Hendrik Conscience


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Ihr durch Verfälschung der Münzen und ungerechte Erpressungen unglücklich! – Und ich sollte Euch noch dienen?! Nein, Ihr seid ein falsches, verräterisches Weib!“

      Wütend riß er seinen Degen aus der Scheide, brach ihn auf dem Knie entzwei und warf die Stücke mit solcher Gewalt zu Boden, daß sie auf die Stufen des Thrones flogen.

      Johanna barst schier vor rasendem Zorn. Ihren Zügen entschwand in teuflischer Verzerrung alles Weibliche; man hätte glauben können, daß sie vom Schlag getroffen sei.

      „Packt ihn! packt ihn!“ stieß sie hervor.

      Die Leibwachen, die noch im Saale waren, wollten diesen Befehl vollziehen. Schon trat ihr Hauptmann an Karl von Valois heran; aber der König liebte seinen Bruder zu innig, als daß er dies dulden konnte.

      „Wer Herrn von Valois berührt, soll noch heute sterben!“ rief er.

      Auf diese Drohung blieben die Wachen regungslos stehen, und von Valois verließ ungehindert den Saal, so sehr auch die wütende Königin zeterte.

      Derart endigte dies stürmische Schauspiel. Gwijde ward zu Compiègne eingekerkert, Robrecht führte man nach Bourges in Berry, seinen Bruder Wilhelm nach Rouen in der Normandie. Die übrigen vlaemischen Herren wurden, ein jeglicher in einer andern Stadt, gefangen gehalten, damit sie einander nicht trösten konnten. Dietrich der Fuchs kehrte als einziger nach Flandern zurück, denn in seinem Pilgerrock hatte man ihn nicht erkannt.

      Mit Hilfe seiner Freunde zog Karl von Valois alsbald nach Italien und kam erst wieder nach Frankreich, als Ludwig Hutin nach dem Tode Philipps des Schönen den Thron bestiegen hatte. Er verklagte dann Enguerrand von Marigny wegen vieler Staatsverbrechen und ließ ihn zu Montfaucon henken. Aber in Wahrheit darf man behaupten, daß der Tod dieses Ministers mehr der Gefangennahme des Grafen Gwijde als seinen anderen Missetaten zuzuschreiben ist, und daß Karl von Valois ihn henken ließ, um für diesen Verrat Rache zu nehmen.

       Inhaltsverzeichnis

      Damals gab es in Flandern zwei Parteien, die einander gegenüberstanden, und die nichts unversucht ließen, um sich gegenseitig nach Kräften zu schaden. Die meisten Edlen und Machthaber hatten bei allen Gelegenheiten zur französischen Regierung gestanden und bekamen deshalb den Namen „Leliaerts“, weil sie der französischen Lilie anhingen. Weshalb sie die Feinde des Vaterlands so begünstigten, wird sich aus dem Folgenden leicht entnehmen lassen.

      Seit einigen Jahren waren durch die kostbaren Ritterspiele, die inländischen Kriege und die weiten Kreuzfahrten die meisten Edelleute verarmt. Hierdurch sahen sie sich gezwungen, ihre Stadt- und Herrschaftsrechte an die Einwohner gegen große Summen zu verkaufen und ihnen Freiheiten und Vorrechte zu verleihen.

      Die Städte verarmten wohl anfangs dadurch; doch bald trug die erkaufte Freiheit die schönsten Früchte. Das niedere Volk, das vordem mit Leib und Eigen den Edlen zugehörte, begriff nun, daß es den Schweiß seines Angesichts nicht mehr für ungerechte Herren vergoß. Es erwählte sich Bürgermeister und Ratsherren und bildete eine Regierung, um welche die Herren des Landes sich nicht im mindesten zu kümmern hatten. Die Gilden wirkten vereint für die allgemeine Wohlfahrt und setzten Obmänner ein, welche der Sachwaltung vorstanden. Die liebenswürdigste Gastfreiheit lockte Fremde aus allen Weltgegenden nach Flandern, und der Handel entfaltete ein Leben und eine Betriebsamkeit, wie sie unter den Lehensherren unmöglich gewesen waren. Der Gewerbefleiß blühte, das Volk wurde reich und war stolz auf die so lang verkannte Würde, es erhob sich mehr als einmal mit den Waffen in der Hand gegen die früheren Herren. Die Edlen sahen ihre Rechte und Güter dadurch schwer bedroht und suchten durch List und Gewalt die wachsende Macht der Gemeinden zu behindern; doch das war ihnen nie geglückt. Denn der Reichtum der Städte erlaubte selbigen, ein Heer aufzubieten, die bestehenden Freiheiten zu verteidigen und sie ungeschmälert zu bewahren. In Frankreich war das anders. Philipp hatte in seiner Geldnot wohl zuweilen den dritten Stand oder die Bürger zusammengerufen; aber dieses verlieh dem Volke nur zeitweilig einiges Ansehen, das unmittelbar darauf durch die Lehensherren wieder vernichtet wurde.

      Die zurückgebliebenen Edlen, die in Flandern nicht mehr viel zu sagen hatten und nun mit allen anderen gleiche Eigentumsrechte besaßen, betrauerten gar sehr ihre verlorene Macht. Um sie wieder zu erhalten, hätten sie die blühenden Gemeinden zerstören müssen. Da es in Frankreich noch keine Freiheit gab und die Herrschaft der Lehensherren dort noch ausschließlich und gewaltherrlich war, so hofften sie, Philipp der Schöne würde die Verhältnisse in Flandern umstoßen und ihnen die einstigen Rechte wieder verleihen. Deshalb also begünstigten sie Frankreich gegen Flandern, und das trug ihnen den Schimpfnamen Leliaerts[16] ein. Deren gab es zu Brügge, das damals nächst Venedig die reichste Handelsstadt der Welt war, sehr viele. Sogar die Bürgermeister und andere Verwaltungsbeamte, die ihre Stellung französischem Einfluß verdankten, waren Leliaerts.

      Die Gefangennahme des Grafen und der ihm treu gebliebenen Edelleute wurde von ihnen mit Freude begrüßt; denn nun war Flandern Philipp dem Schönen ausgeliefert und dieser konnte daraufhin alle Gesetze und Vorrechte umstoßen.

      Der Wortbruch des französischen Hofes erfüllte das Volk mit größter Bestürzung. Das Mitleid steigerte noch die Liebe, mit der es jeder Zeit seinem Grafen ergeben war, und diese Treulosigkeit löste Empörung aus. Aber die zahlreichen französischen Truppen, die allenthalben lagen, und die Uneinigkeit unter den Bürgern brach vorerst den patriotischen Klauwaarts[17] den Mut. So blieb Philipp der Schöne ruhig im Besitz von Gwijdes Erbteil. Als die traurige Mär nach Flandern kam, begab sich Maria, die Schwester Adolfs van Nieuwland, mit zahlreicher Dienerschaft nach Wijnendaal, um ihren verwundeten Bruder in einer Tragbahre in sein Vaterhaus nach Brügge zu überführen. Die junge Machteld folgte angesichts der schmerzlichen Trennung von all ihren Blutsverwandten der neuen Freundin und verließ Schloß Wijnendaal, das französische Besatzung erhalten hatte.

      Das Haus der Familie Nieuwland lag an der spanischen Straße zu Brügge. Zwei runde Türme ragten zu beiden Seiten des Giebels mit ihren Wetterhähnen über das Dach und beherrschten alle umliegenden Gebäude. Zwei Pfeiler aus Quadersteinen in griechischem Stil stützten den Torbogen, den der Schild und Wahlspruch derer van Nieuwland zierte: „Pulchrum pro patria mori!“ Zu beiden Seiten des Schildes schwebte ein Engel mit Palmenzweigen in der Hand. In einem Gemach, welches fern genug von dem dauernden Lärm der Straße lag, ruhte der kranke Adolf auf einem kostbaren Bett. Er war so bleich und durch den Schmerz der Wunde so abgezehrt, daß man ihn kaum wiedererkennen konnte. Zu Häupten des Bettes stand auf einem Tischchen ein kleiner Krug und ein silberner Becher. An der Wand hing der Harnisch, der unter Saint-Pols Waffe geborsten war und dadurch Adolfs Wunde verschuldet hatte; daneben eine Harfe mit zerrissenen Saiten. Rings um ihn war es totenstill. Da die Fenster halb geschlossen waren, wurde das Gemach nur schwach erleuchtet.

      Schweigend saß in einer Ecke Machteld, mit niedergeschlagenen Augen. Der Falke auf der Lehne ihres Stuhles schien an dem Gram der Gebieterin teilzunehmen: den Kopf unter dem Flügel ruhte er regungslos. Einst war das Mägdelein in ihrer munteren Fröhlichkeit gegen jeden Schmerz gefeit gewesen; nun war sie ganz umgewandelt. Die Gefangenschaft aller, die ihr teuer waren, hatte ihr junges Herz tief erschüttert. Jetzt schien ihr alles schwarz und düster: der Himmel war für sie nicht mehr blau, die Felder nicht mehr grün, – durch ihre Träume zogen sich nicht mehr Gold- und Silberfäden. Nur Kummer und stille Verzweiflung fanden den Weg zu ihrem Herzen; nichts konnte sie über den schmerzlichen Gedanken an die Gefangenschaft ihres Vaters trösten.

      Nach einiger Zeit erhob sie sich aus ihrer Regungslosigkeit und nahm ihren Falken auf die Hand. Weinend blickte sie auf den Vogel, und während sie hie und da eine Träne auf ihren bleichen Wangen trocknete, flüsterte sie leise:

      „Du treuer Vogel, traure nicht so bang, mein Vater wird bald wiederkehren. Die böse Königin von Navarra soll ihm kein Leid antun: ich hab so heiß für ihn zum heiligen Michael gebetet, und Gott ist immer gerecht. Darum traure fürder nicht, du lieber Falke.“

      Das Mägdelein weinte heiße Tränen. Schienen auch ihre Worte voller Trost und


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