Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen. Marcel ProustЧитать онлайн книгу.
(aus einem Rest von zärtlicher Zuneigung, Mangel an Achtung oder Trägheit, sie zu vervollkommnen), sie zu verbessern gesucht hätte. Das gehörte mit zu dem einfachen Wesen, welches uns in Combray so lange getäuscht hatte; und so legte er jetzt, obwohl er für sein Teil immer noch mit sehr hochgestellten Leuten verkehrte, gar keinen Wert darauf, ihnen im Gespräch im Salon seiner Frau irgendeine Wichtigkeit beigemessen zu sehen. Sie waren ihm ja auch weniger wichtig als je zu vor, da der Schwerpunkt seines Lebens sich verschoben hatte. Die Unwissenheit Odettes in gesellschaftlichen Dingen war groß: Fiel in der Unterhaltung der Name der Fürstin Guermantes nach dem der Herzogin, ihrer Kusine, so sagte sie: »Die andern sind Fürsten, haben also eine höhere Stufe erreicht.« Sagte jemand »der Prinz«, wenn er von dem Herzog von Chartres sprach, so verbesserte sie: »Der Herzog; er ist Herzog von Chartres, nicht Prinz.« Vom Herzog von Orléans, dem Sohne des Grafen von Paris, meinte sie: »Komisch, der Sohn ist mehr als der Vater«, und fügte in ihrer Anglomanie hinzu: »Man wird nicht klug aus diesen ›Royalties‹«; und jemandem, der sie fragte, aus welcher Provinz die Guermantes wären, antwortete sie: »Aus der Aisne.«
Swann war Odette gegenüber blind, nicht nur für Lücken ihrer Bildung, sondern auch für das Mittelmäßige ihrer Intelligenz. Ja, sooft Odette eine törichte Geschichte erzählte, hörte Swann seiner Frau heiter, gefällig, beinahe mit einer Art Bewunderung zu, in die sich Reste von Wollust mischen mochten, während Odette in demselben Gespräch, was immer er Feines oder gar Tiefes sagen mochte, gewöhnlich ohne Interesse, flüchtig und ungeduldig anhörte und bisweilen streng widersprach. Man wird schließen, daß diese Unterwerfung der Elite unter das Gewöhnliche die Regel in vielen Ehen ist, wenn man an den umgekehrten Fall denkt, an alle die überlegenen Frauen, die sich von einem Tölpel betören lassen, der ihre feinsten Wendungen unerbittlich kritisiert, während sie mit der unendlichen Duldsamkeit der Liebe vor seinen plattesten Späßen in Ekstase geraten. Um wieder auf die Gründe zu kommen, die damals Odette hinderten, in das Faubourg Saint-Germain vorzudringen: die letzte Drehung des gesellschaftlichen Kaleidoskops war durch eine Serie von Skandalen hervorgerufen worden. Frauen, zu denen man im vollsten Vertrauen ging, waren als öffentliche Dirnen, als englische Spioninnen entlarvt worden. Nun sollte eine Zeitlang – so glaubte man wenigstens – vor allem gute Herkunft und guter Leumund verlangt werden ... Odette war ein Muster alles dessen, womit man eben gebrochen hatte, um übrigens unmittelbar die Beziehung dazu wieder aufzunehmen (die Menschen ändern sich ja nicht von heut auf morgen und suchen in einer neuen Ordnung die Fortsetzung der alten), man wollte es aber in veränderter Form finden, die einem gestattete, auf den Leim zu gehen und anzunehmen, daß es sich nicht mehr um die Gesellschaft von vor der Krise handle. Den verdächtigen Damen dieser Gesellschaft glich Odette nur allzusehr. Die Leute der großen Welt sind sehr kurzsichtig: gerade wenn sie alle Beziehungen zu israelitischen Damen ihrer Bekanntschaft abbrechen und nicht recht wissen, wie diese Lücke zu füllen sei, taucht vor ihnen (plötzlich wie in nächtlichen Gewitterregen aufgeschossen) eine neue Dame auf, die ebenfalls Israelitin ist; aber in dieser ganz neuen Erscheinung sehen sie keinen Zusammenhang mit den vorhergegangenen, entdecken nicht in ihr, was sie verabscheuen zu müssen glauben. Die neue verlangt nicht, daß man ihren Gott respektiere. Man nimmt sie auf. (Um eigentlichen Antisemitismus handelte es sich zur Zeit, als ich anfing, Odette zu besuchen, noch nicht.) Aber sie war genau das, was man eine Zeitlang zu meiden vorhatte.
Swann selbst besuchte oft einige seiner ehemaligen Bekannten, die alle zur hohen Gesellschaft gehörten. Wenn er uns aber von den Leuten, die er gesehen hatte, erzählte, fiel mir auf, daß die Auswahl, die er jetzt unter den früheren Bekannten traf, von demselben halb künstlerischen, halb historisierenden Geschmack geleitet war, der ihn zum Sammler gemacht hatte. Oft interessierte ihn die eine oder andere vornehme, jetzt aber deklassierte Dame, weil sie die Geliebte von Liszt gewesen oder weil ihrer Großmutter ein Roman von Balzac gewidmet war (wie er auch eine Zeichnung kaufte, weil Chateaubriand sie beschrieben hatte), und das brachte mich auf den Verdacht, daß wir in Combray unsern Irrtum, Swann für einen Bourgeois zu halten, der nicht in die Gesellschaft ging, mit einem andern vertauscht hatten, dem nämlich, zu glauben, er sei einer der größten Elegants von Paris. Ein Freund des Grafen von Paris sein, bedeutet nichts. Es gibt ja soviel solche »Fürstenfreunde«, die in einem einigermaßen exklusiven Salon nicht empfangen würden. Fürsten wissen, daß sie Fürsten sind, sie sind keine Snobs und glauben sich außerdem so erhaben über allem, was nicht ihres Blutes ist, daß ihnen die Vornehmen und die Bürger da unten fast auf demselben Niveau zu stehn scheinen.
Übrigens war die Gesellschaft, so wie sie ist, mit den großen Namen, die die Vergangenheit in sie gegraben hat und die sich noch entziffern lassen, nicht nur eine Liebhaberei für den Gelehrten und Künstler in Swann; er hatte auch noch ein ziemlich vulgäres Vergnügen daran – wenn man so sagen kann –, soziale Blumensträuße zu winden, ganz heterogene Elemente zu gruppieren, hier und da aufgegriffene Personen zusammenzutun. Dies amüsante Experimentieren mit Soziologie (wenigstens fand Swann es amüsant) hatte nicht auf die Dauer bei allen Freundinnen seiner Frau die gleiche Rückwirkung. »Ich habe die Absicht, die Cottard und die Herzogin von Vendôme zusammenzuladen,« sagte er lachend zu Frau Bontemps mit der lüsternen Miene des Feinschmeckers, der Nelken in einer Sauce durch Cayennepfeffer zu ersetzen probiert. Dies Projekt, das den Cottard, in des Wortes alter Bedeutung, recht kurzweilig vorkam, sollte zum Unglück Frau Bontemps sehr verdrießen. Sie war erst jüngst von den Swann der Herzogin von Vendôme vorgestellt worden und hatte das ebenso angenehm wie natürlich gefunden. Dies den Cottard zu erzählen und sich dadurch ins Licht zu setzen, war mit das Köstlichste an ihrem Vergnügen. Aber wie frisch Dekorierte, sobald sie ihre Auszeichnung empfangen haben, es gern sähen, daß die Quelle der Orden versiege, wäre es Frau Bontemps sympathisch gewesen, wenn nach ihr niemand aus ihrer Klasse der Fürstin vorgestellt worden wäre. Innerlich verfluchte sie Swanns verderbten Geschmack, einer nichtigen Ästhetenschrulle nachzugeben und dadurch den Sand, den sie den Cottard mit ihrem Bericht über die Herzogin von Vendôme in die Augen gestreut hatte, wegzublasen. Wie sollte sie jetzt fertigbringen, ihrem Manne zu erzählen, der Professor und seine Frau würden auch ihr Teil an dem Genuß haben, den sie ihm als so einzig angepriesen hatte? Wenn die Cottard wenigstens wüßten, daß sie nicht ernstlich, sondern nur zum Spaß eingeladen waren. Allerdings war es den Bontemps gerade so ergangen, aber Swann hatte von der Aristokratie die ewige Manier des Don Juan übernommen, der von zwei armen Frauen jeder einredet, nur sie sei die ernstlich geliebte, und hatte zu Frau Bontemps von der Herzogin von Vendôme als von jemandem gesprochen, mit dem zusammen zu speisen für sie, Frau Bontemps, durchaus angezeigt sei. »Ja, wir gedenken die Fürstin zusammen mit den Cottard einzuladen,« sagte Frau Swann ein paar Wochen später, »mein Mann meint, daß diese Konjunktion etwas Amüsantes ergeben könnte.« »Konjunktion«, sagte sie; wie sie nämlich von dem »Kleinen Clan« her gewisse Lieblingsgewohnheiten der Frau Verdurin behalten hatte, zum Beispiel, laut zu sprechen, um von allen Getreuen gehört zu werden, so wandte sie auch gewisse Ausdrücke an, die im Kreise Guermantes beliebt waren, dessen Anziehungskraft sie von weitem und unbewußt erfuhr, wie das Meer die des Mondes, ohne sich ihm darum spürbar zu nähern. »Ja, die Cottard mit der Herzogin von Vendôme, finden Sie das nicht komisch?« fragte Swann. »Ich glaube, es wird dabei für Sie nur Ärger herauskommen; man soll nicht mit dem Feuer spielen«, antwortete Frau Bontemps wütend. Übrigens wurde sie mit ihrem Mann ebenfalls zu diesem Diner geladen und ebenso der Fürst von Agrigent. Frau Bontemps und Cottard pflegten auf zweierlei Art von diesem Abend zu erzählen, je nach den Leuten, an die sie sich wandten. Zu den einen sagte Frau Bontemps einerseits und Cottard andererseits, wenn man sie fragte, wer zugegen war, in lässigem Ton: »Nur der Fürst von Agrigent, es war ganz intim.« Andere riskierten, besser informiert zu sein (einer fragte Cottard sogar einmal: »Waren nicht auch die Bontemps da?« »Die hab ich ganz vergessen«, antwortete Cottard errötend dem Ungeschickten, den er von da an zu den Lästerzungen rechnete). Für diese letzteren nahmen die Bontemps und die Cottard, ohne miteinander zu Rate zu gehen, eine Version an, deren Aufbau bei beiden derselbe war, nur die jeweiligen Namen wurden vertauscht. Cottard sagte: »Nun ja, es waren nur die Herren des Hauses, Herzog und Herzogin von Vendôme da – (dann, mit einem leisen Schmunzeln) Professor Cottard und Frau und ferner, weiß der Teufel, warum! – denn sie paßten dahin wie die Faust aufs Auge – Herr und Frau Bontemps.« Frau Bontemps sagte genau dasselbe Sprüchlein, nur nannte sie Herrn und Frau Bontemps mit selbstzufriedenem Ton zwischen der Herzogin von Vendôme und dem Fürsten von Agrigent, und die