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Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen. Marcel ProustЧитать онлайн книгу.

Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen - Marcel Proust


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er aus – hinschob; in meiner Erinnerung aber spüre ich diesen Schimmer noch rings um mich. Kommt das daher, daß ich an Tagen, an denen mich Herr und Frau Swann zum Frühstück und nachfolgender Spazierfahrt mit ihnen und Gilberte einluden, beim Warten die mir eingeprägte Vorstellung: gleich wird Frau Swann oder ihr Gatte oder Gilberte kommen, mit meinen Blicken auf den Teppich, die Sessel, die Konsolen, Paravents und Bilder übertrug? Kommt es daher, daß seitdem diese Dinge in meinem Gedächtnis neben den Swann leben und schließlich etwas von ihnen angenommen haben? Und daß durch mich aus diesen Dingen, unter denen ich die Swann ihr Dasein zubringen wußte, Embleme ihres Privatlebens und ihrer Gewohnheiten wurden, von denen ich so lange ausgeschlossen gewesen? (Fremdartig blieben sie noch weiterhin, auch als mir die Gunst erwiesen wurde, mich unter sie zu mischen.) Jedenfalls, so oft ich an diesen Salon denke, den Swann uneinheitlich fand, ohne mit dieser Kritik etwas gegen den Geschmack seiner Frau sagen zu wollen – alles darin war ja noch in dem Stil (dem Mischgebild aus Atelier und Treibhaus) jener Wohnung, in der er Odette kennen gelernt, doch hatte sie schon angefangen in diesem Durcheinander eine Reihe wunderlicher Gegenstände, die sie jetzt selbst etwas »minderwertig« und »talmi« fand, durch eine Fülle kleiner mit alten Louis XIV-Seiden bespannter Möbel zu ersetzen (ganz abgesehen von den Prachtstücken, die Swann aus dem Hause am Quai d'Orléans mitgebracht hatte) – so oft ich jetzt an diesen zusammengewürfelten Salon denke, gewinnt er eine Einheit, einen eigenen Reiz, wie ihn nicht einmal die stilvollsten Einrichtungen, die aus vergangener Zeit uns überkommen sind, noch die lebendigsten neuen, die das Gepräge einer Persönlichkeit tragen, für mich besitzen. Nur wir selbst können gewissen Dingen, die wir sehen, durch unsern Glauben an ihr Dasein Seele geben, und die behalten und entwickeln sie dann in uns. Stellte ich mir vor, wie die Swann in dieser Wohnung ihre Stunden verbrachten, Stunden, die anders waren als die anderer Menschen, das Besondere an ihrem Leben ausdrückten und für ihren Alltag waren, was für die Seele der Körper ist, dann verteilten sich meine Gedanken in überall gleich verwirrender, gleich unerklärlicher Art unter die Gegenstände, verquickten sich mit der Aufstellung der Möbel, der Dichte der Teppiche, der Lage der Fenster und der Aufwartung der Bedienten. Nahmen wir nach dem Essen am großen Erkerfenster des Salons in der Sonne den Kaffee und fragte mich Frau Swann, wieviel Stück Zucker ich wolle, dann entströmte dem seidenen Taburett, das sie mir zuschob (und nicht ihm allein) zugleich mit dem wehen Reiz, den ich ehemals – unterm Rotdorn, dann neben dem Lorbeergebüsch – bei dem Namen Gilberte empfand, auch die frühere Feindseligkeit der Eltern Gilbertes gegen mich. Das kleine Möbel schien sie gekannt und geteilt zu haben, und unwürdig fühlte ich mich, meine Füße auf seine schutzlose Polsterung zu tun, ich kam mir dabei etwas niederträchtig vor. Es war durch heimliche Seeleneinheit verbunden mit dem Lichte der zweiten Nachmittagsstunde, das anders war hier als sonst irgendwo, hier in dem Golf, wo es zu unsern Füßen seine Goldflut spielen ließ, aus welcher bläuliche Diwane, duftige Tapeten auftauchten wie verzauberte Inseln; ja der Rubens oberhalb des Kamins besaß auch nur dergleichen und fast ebenso gewaltigen Zauber wie die Schnürschuhe von Herrn Swann und sein Cape, das mir solche Lust gemacht hatte, ein Gleiches zu tragen. Jetzt aber bat Odette ihren Gatten, es durch ein anderes zu ersetzen, um eleganter zu sein, wenn ich ihnen die Ehre erwies, mit ihnen auszufahren. Auch sie ging nun, sich umzuziehen, obgleich ich darauf bestand, es sei kein Straßenkleid annähernd so schön wie der wunderbare Schlafrock aus Crêpe de Chine oder Seide, altrosa, kirschrot, Tiepolorosa, weiß, mauve, grün, rot, gelb, glatt oder gemustert, in dem Frau Swann mit uns gefrühstückt hatte und den sie nun ablegen wollte. Wenn ich sagte, sie solle so ausfahren, lachte sie spöttisch über meine Unwissenheit oder vergnügt über mein Kompliment. Sie bat um Verzeihung für ihre vielen Peignoirs, sie fühle sich nun einmal nur in ihnen wohl, und verließ uns, um eine der herrlichen Roben anzulegen, die allgemeiner Anerkennung sicher waren. (Unter diesen mußte ich aber bisweilen auf ihren Wunsch die auswählen, die mir für heute am besten gefiele.)

      Wie stolz war ich, sobald wir im Jardin d'Acclimatation ausgestiegen, an Frau Swanns Seite zu gehen! Während sie lässig schreitend ihren Mantel wallen ließ, warf ich bewundernde Blicke auf sie, die sie kokett mit einem langen Lächeln erwiderte. Trafen wir irgendeinen Kameraden Gilbertes, Mädchen oder Knaben, welcher uns von weitem grüßte, so war jetzt ich an der Reihe, von andern als eins der Wesen betrachtet zu werden, wie ich sie früher so beneidet hatte, als einer der Freunde Gilbertes, die ihre Familie kannten und mit der andern Hälfte ihres Lebens verknüpft waren, mit der, die sich nicht in den Champs-Élysées abspielte.

      Oft kreuzten wir in den Alleen des Bois oder des Jardin d'Acclimatation eine oder die andere große Dame aus Swanns Freundeskreis, und sie grüßte uns; manchmal bemerkte Swann sie nicht, dann machte seine Frau ihn aufmerksam: »Charles, sehen Sie Frau von Montmorency nicht?« Auf seinem Gesicht erschien das vertrauliche Lächeln langjähriger Freundschaft, doch zog er tief den Hut mit einer Eleganz, wie sie nur ihm eigen war. Bisweilen blieb die Dame stehen und freute sich, Frau Swann eine Höflichkeit erweisen zu können, die zu sonst nichts verpflichtete; sie wußte, Frau Swann würde nicht weiteren Nutzen daraus zu ziehen suchen, Swann hatte sie ja an Reserve gewöhnt. Gleichwohl hatte sie alle Manieren der großen Welt angenommen, und so elegant und vornehm die Haltung der Dame sein mochte, Frau Swann kam ihr darin immer gleich; sie blieb einen Augenblick bei der Freundin, die ihr Gatte getroffen hatte, stehen, stellte Gilberte und mich ungezwungen vor und bewahrte dabei soviel Freiheit und Ruhe, daß es schwer gewesen wäre zu sagen, wer von den beiden die große Dame war, Swanns Frau oder die aristokratische Passantin. Am Tage, an dem wir bei den Singhalesen waren, bemerkten wir auf dem Rückweg, in unserer Richtung kommend, von zwei andern gefolgt, die sie zu geleiten schienen, eine bejahrte, aber noch schöne Dame, in einen dunklen Mantel eingehüllt und mit einen kleinen Kapotthut auf dem Kopf, der unter dem Kinn mit zwei Bändern befestigt war. »Ah, da kommt jemand, der Sie interessieren wird«, sagte Swann zu mir. Jetzt war die alte Dame drei Schritt von uns; sie lächelte süß. Swann zog den Hut, Frau Swann machte einen Hofknix und wollte die Hand der Dame küssen, die einem Porträt von Winterhalter ähnlich sah. Sie hob Odette auf und küßte sie. »Wollen Sie wohl Ihren Hut aufsetzen, Sie«, sagte sie mit lauter, etwas mürrischer Stimme im Ton einer vertrauten Freundin zu Swann. »Ich werde Sie Ihrer Kaiserlichen Hoheit vorstellen«, sagte Frau Swann zu mir. Swann zog mich, einen Augenblick beiseite, während Frau Swann mit der Hoheit vom schönen Wetter und den neu eingetroffenen Tieren im Jardin d'Acclimatation plauderte. »Es ist die Prinzessin Mathilde«, sagte er zu mir. »Sie wissen, die Freundin von Flaubert, Sainte-Beuve und Dumas. Denken Sie, die Nichte Napoleons I! Um ihre Hand hat Napoleon III angehalten und der Kaiser von Rußland. Ist das nicht interessant? Sprechen Sie ein wenig mit ihr. Aber ich wollte, daß sie uns nicht eine Stunde auf den Beinen hielte.« »Ich habe Taine getroffen, der mir sagte, daß Hoheit mit ihm böse sind,« sagte Swann. »Er hat sich aufgeführt wie ein Schwein«, erwiderte sie derb. »Nach dem Artikel, den er über den Kaiser geschrieben hat, habe ich ihm eine Karte mit p.p.c. abgeben lassen.« Es war für mich eine Überraschung, wie wenn man etwa die Briefe der Herzogin von Orleans, der geborenen Prinzessin von der Pfalz, aufschlägt. Wohl empfand die Prinzessin Mathilde sehr französisch, doch mit der ehrenwerten Derbheit, die dem Deutschland von Einstmals eigen war und die sie gewiß von ihrer württembergischen Mutter geerbt hatte. Sobald sie aber lächelte, wurde ihre etwas karge, fast männliche Freimütigkeit durch italienisches Schmachten gemildert. Und die ganze Erscheinung steckte in einem Aufzug, der ganz Zweites Kaiserreich war. Die Prinzessin kleidete sich gewiß nur aus Anhänglichkeit an die Moden, welche sie einst geliebt hatte, so; aber es wirkte, als habe sie die Absicht, keinen Fehler im historischen Kolorit zu begehen und der Erwartung derer zu entsprechen, die von ihr die Beschwörung einer anderen Zeit erhofften. Ich flüsterte Swann zu, er solle sie fragen, ob sie Musset gekannt habe. »Sehr wenig, Herr Swann«, antwortete sie mit scheinbar verdrossener Miene, es war ein Scherz, daß sie zu ihrem alten Freunde Herr sagte. »Ich hatte ihn einmal zum Diner bei mir. Auf sieben Uhr hatte ich ihn eingeladen. Um halb acht setzten wir uns, da er noch nicht kam, zu Tisch. Um acht erscheint er, begrüßt mich, setzt sich, spricht kein Wort und geht nach dem Essen fort, ohne daß ich den Klang seiner Stimme gehört hätte. Er war schwer betrunken. Das hat mich nicht gerade ermutigt, es noch einmal mit ihm zu versuchen.« Swann und ich standen etwas abseits. »Ich hoffe, diese kleine Sitzung wird sich nicht in die Länge ziehen,« meinte er, »mich schmerzen die Fußsohlen. Ich weiß auch gar nicht, warum meine Frau das Gespräch so belebt. Nachher wird sie wieder über Erschöpfung klagen, und ich kann das lange Aufrechtstehen


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